Viertes Buch.

[234] Das persische Heer lagerte sich in den Wiesen um Tabris. Usong hielt es nicht der Klugheit gemäß, einen sieghaften Feind zu verfolgen, der die Kräfte nicht verlohren hatte, wodurch er den Persern war überlegen gewesen. Der Kaiser hatte immer eingesehen, daß ohne Fußvolk eine standhafte Säule von Jenjitscheri nicht zu bezwingen war, und nunmehr hatte die Erfahrung das ahnden seiner Weisheit bestätiget. Er erhielt zwar die späte Hülfe von Venedig, aber sie ersetzte den Mangel an Völkern nicht, die im Gebrauche der Feuergewehre geübt wären.

Eine schaudrichte Stille herrschte in den Zusammenkünften, und auch im kaiserlichen Hause. In jenen durfte niemand sich nach dem Schicksale der Kriegsbedienten erkundigen, weil er selbst eine leidige Zeitung zu vernehmen, oder andere in Betrübniß zu setzen befürchten mußte. Ganz Persien war in[235] Trauer, und kein angesehenes Haus war, das nicht einen würdigen Abkömmling verloren hatte.

Nuschirwani hatte gesagt, nun darf ich weinen, und hatte sich eingeschlossen, ihr Unglück zu betrauern. In den Jahren, wo sie hoffen sollte, das Vergnügen einer glücklichen Ehe lange zu geniessen, verlor sie einen liebenden Gemahl, den sie mit allem dem Feuer liebte, das in ihrem Gemüthe herrschete. Sie sah des Kaisers Munterkeit abnehmen, seit dem Tode der holdseligen Liosua hatte ihn niemand fröhlich gesehen. Ihre ganze Zärtlichkeit vereinigte sich auf den jungen Ismael, dessen Auferziehung sie selbst übernahm, ob sie wohl dabey die weisesten und tugendhaftesten Perser sich helfen ließ.

Sie verließ den alles versprechenden Knaben fast niemals. Sie hatte von der Kindheit an ihn lallend angenommen, und selber unterwiesen. Die ersten Gründe der Weisheit hatte sie ihm aus den Fabeln beygebracht, die Locman oder Saadi hinterlassen, oder sie selbst erfunden hatte. So wie er anwuchs, wurden die Fabeln zu Erzählungen, in denen er allemal die Tugend loben und belohnen, allemal das Laster schelten und bestrafen hörte.[236]

Die Erbfürstin machte einen nützlichen Gebrauch von der Kunst der Mahler1: sie wußte, daß sinnliche Bilder die Kinder mehr aufwecken, und unendlich mehr anziehen, als abgezogene Begriffe. Sie fand Mittel, fast die ganze Sittenlehre in Gemählde einzukleiden, die eine Erzählung erklärte. Der künftige Held gewann an dieser Art ihn zu unterrichten einen solchen Geschmack, daß man ihn nicht ersättigen konnte. Bald stellte ein Gemählde einen Sultan vor, der in ein ödes Zimmer trat, wo nichts als ein Schäferkleid und ein Hirtenstab war: der Sultan sah erzürnt die ihm nachfolgenden Höflinge an. Nuschirwani erklärte das Bild durch die bekannte Geschichte des persischen Staatsdieners aus Kerman. Sie ließ dann den Fürsten selber seine Schlüsse aus der Geschichte ziehen, und half ihm zur Anwendung. Ismael siehet, sagte sie, daß ein Fürst den Verleumdungen der Neider unterworfen ist, und daß er sich hüten soll, als wahr anzunehmen, was nicht erwiesen ist.[237] Denn der getreue Diener ließ sich nicht bewegen, zum zweytenmale seines Herrn Wankelmüthigkeit sich bloszustellen, und der König verlor die Stütze seines Reiches. Mehemet Ali Bey war der treueste Diener, und seine Tugend konnte ihn nicht vor dem Neide schützen. Der König sollte sich aber erinnert haben, daß es eine bloße Sage war, das verschlossene Zimmer verheele große Schätze. Hätte er die Pflicht eines weisen Fürsten beobachtet, so hätte er aus den Rechnungen des Ali Bey's selber wissen können, ob dieser Wasir untreu wäre.

Auf einem andern Blatte sah man in einer Entfernung Byzanz in seiner Herrlichkeit liegen, und Timur, dessen Bildung kenntlich, und auch dem jungen Erbfürsten bekannt war, die Augen von der prächtigen Aussicht abwenden. Was sagte Timur, der Schrecken der Welt? Er wurde von dem griechischen Kaiser gebeten, seinen Hof zu besuchen; denn Timur hatte ihn vom Bajazid errettet, dem Ahnherrn Machmuds. Aber Timur antwortete: die Stadt ist zu schön, ich möchte versucht werden, sie behalten zu wollen. Er zog ab, und nahm kein Dorf für den Lohn seiner Hülfe an, die doch vielen tausenden muthigen Tartaren das Leben gekostet hatte.[238]

Auf diese Weise füllte sich Ismaels Gemüth mit den glänzenden Bildern der Tugend, bis daß sie ihm zur Natur wurde. Auch in Bildern lernte er die verschiedenen Geschöpfe, womit die Welt ausgezieret ist, die Reiche, in welche die Menschen die Erde getheilt haben, die einem jeden Lande eigenen Reichthümer, und die Ordnung der Himmel. Oefters schlug ihm die Kaiserstochter zur Strafe ab, ihm eine Geschichte zu erklären, und lernen war seine Belohnung.

Andere auserwählte Männer unterrichteten ihn in den Leibesübungen, die einem Fürsten zur Zierde dienen. Aber man sorgte aufs genaueste, daß unter seinen Meistern kein untugendhafter sich einschleichen konnte, und daß kein Wort gesprochen wurde, das in der reinen Seele des Knaben einen Flecken gelassen hätte.

So wie er älter wurde, lehrte man ihn sein künftiges Volk, und eine jede Landschaft von Persien kennen, und ihre wichtigsten Städte, und die Früchte der Natur und der Kunst unterscheiden. Nuschirwani brachte bey einer jeden gelesenen Stelle eine edle Geschichte an. Hier wurde die schöne Panthea gefangen, und ihrem Gemahle wieder unberührt zugeschickt: und dieser Gemahl setzte hernach das Leben für den enthaltsamen Cyrus[239] zu. Das gewinnt man, sagte Nuschirwani, mit der Tugend, sie erwirbt uns die Zuneigung der Völker, und ist der einzige Preiß, um welchen man die unschätzbare Treu wahrer Freunde erkaufen kann.

Nunmehr war Ismael reif von Gott zu hören. Nuschirwani brachte ihm die unumschränkten Begriffe bey, die doch nur einen Theil der Größe von Gott ausdrücken. Sein Sinn wurde mit lebhafter Liebe gegen den Gutthäter der Menschen belebet, und er lernte mit Zittern den Namen des Richters der Welt verehren, vor dem die Kaiser Menschen sind. Die Kaiserstochter arbeitete unermüdet, dem Gifte der Schmeichler vorzukommen, und den Erben von Persien zu überzeugen, daß der Thron nur darinn seinem Besitzer eine wahre Größe gebe, weil er auf demselben mehr Gutes thun könne. Gott, sagte sie, erwartet aber auch von demjenigen am meisten, dem er seine Macht anvertrauet hat. Wehe dem, der in der Beylage ungetreu ist, für die er ewig antworten soll?

Sie lehrte ihn die Anfänger der kaiserlichen Häuser kennen, den Cyrus, den Ardeschir2, den[240] Yao, den Wuwang, den Oguz. In der Tugend dieser Helden, in ihrem unermüdeten Eifer für das Wohlseyn ihrer Völker lag die Wurzel ihrer Größe, und ihres ewigen Ruhmes. Auf eben die Weise zeigte sie ihm die Fürsten, unter denen die größten Reiche zu Grunde gegangen waren, den Sardanpul, den Balschazzar, den Tscheü, die letzten Abassischen Kalifen. Die Wollust, sagte sie, erniedrigt das Herz, und beugt es in die Zunft der Thiere. Ein Fürst, der sich ihr übergiebt, verliert das Zutrauen der Völker, und er verfällt in die heimliche Verachtung der Schmeichler selber, die ihn beherrschen: unter seinem Sohne sinkt der wankende Thron ein, den seines Vaters Untugend erschüttert hat.

Sieh deinen Ahnherrn, sagte die edle Nuschirwani mit Entzücken, sieh ihn, einen kleinen Fürsten der Mongalen, einen Gefangenen, einen Sclaven, sich durch seine Tugend auf den Thron von Persien schwingen. Dieser Tugend ist mein Ismael die Erwartung des schönsten Thrones der Welt schuldig. Usong ist durch sie für sich selbst glücklich geworden, und seine Enkel geniessen den Lohn seiner Verdienste. Und was kostet ihn dieser Thron? Nichts als die willige Befolgung seiner Pflichten, wobey er mehr Vergnügen fand, als die elenden Kalifen bey ihren Buhlschaften, unter dem eisernen Stabe ihrer Veziere,[241] unter dem drohenden Säbel ihrer eigenen Leibwache, und unter der täglich sich erneuernden Furcht, noch vor dem folgenden Morgen vom Throne in einen umgitterten Thurm gestossen zu werden. Usong wird von der Liebe seiner Unterthanen wie mit flammenden Schwerdtern bewacht: sein Herz giebt ihm das einzig überzeugende Zeugniß seiner innern Würde: es fühlt keine Triebe, die es vor der Tugend zu verbergen wünschte: sein Feuer wird für die Welt lauter Licht und fruchtbare Wärme. Die ganze Erde wiederholt das Zeugniß seines Herzens, und von dem Munde hundert Völker umschallt den Usong der Ruhm seiner großen Eigenschaften.

Das Herz brannte dem edlen Knaben: soll ich ein Enkel Usongs, und nicht tugendhaft seyn, nicht den Ruhm der Welt verdienen, nicht dem obersten Wesen gefallen, ein unwürdiger Mensch, er Verworfner vor Gott, der Welt und den Nachkommen seyn?

Der Krieg wider die Osmannen wurde zwar durch keinen Frieden geendigt, aber ohne Hitze geführt. Machmud hielt seine Eroberungen besetzt, ohne Persien anzugreifen, und hatte eine Wüste zwischen ihm und dem Usong gemacht, die keiner von beyden mit einem Heere durchziehen konnte, ohne sich dem Untergange bloszusetzen. Usong hatte[242] nach Pir Hamets Tode keine Ursache mehr, Karamanien in Besitz zu nehmen, er kannte die Schwierigkeiten des Krieges, und die Schatten der unersetzlichen Freunde schwebten beständig vor seinen Augen, die bey Arzendgan gefallen waren. Doch that er einen Feldzug wider einige georgische Fürsten, die den Löwen gereitzt hatten, den sie für tod hielten. Aber Usong bewies ihnen sehr bald, daß Persien nichts von seiner Macht verloren hatte, und zwang die Fürsten Gorgora und Pancraz, jährlich ein vorgeschriebenes Gewicht Gold zum Zeichen ihrer Unterwerfung ihm zu bringen3.

Der Hof zu Tabris vergrößerte sich durch die Ankunft einer zahlreichen Bothschaft vom mächtigen Könige der Patanen. Sie brachte ansehnliche Geschenke, Elephanten und andere seltene Thiere, die Usong mit Vergnügen sah. Der Patan hatte bey dieser Bothschaft keine andere Absicht, als die Begierde, einen Herrscher näher zu kennen, von dem das Gerücht so viel erhabenes ausbreitete.

Eine andere Bothschaft kam im Namen verschiedener Stämme der Mongalen. Sie brachten die Zeitung vom Absterben des Timurtaschs, und vereinigten sich, die Herrschaft ihrer Horden seinem[243] erhabenen Sohne anzubieten, dessen große Thaten bis zu ihnen, in die Wüsten der östlichen Tartarey, durchgedrungen waren.

Usong erklärte sich gegen die Unterthanen seines Vaters nach einigem Bedenken: Euer Glück, sagte er, edle Brüder, erfordert einen gegenwärtigen Fürsten: mich hat das Schicksal auf den Thron von Persien abgerufen. Euer Zutrauen rühret mich, ich werde ihm entsprechen. Tarkemisch, aus dem Blute des Tschengis, ist der getreue Gefährte meiner Gefahren gewesen, er ist bey Arzendgan verschont worden, da so viele Helden von eurem Blute fielen. Ihn schlag ich euch zum Khane vor. Er hat Tugenden, die euer Eigenthum seyn werden. Usong müßte euch durch andere rathen. Tarkemisch wurde auf einen Schild erhoben, den die Edlen unter den Mongalen mit ihren Köpfen stützten, und reisete mit ihnen ab. Er schwur dem großmüthigen Usong eine ewige Dankbarkeit zu, und der Kaiser erinnerte sich des Versprechens, das Liewang von ihm gefodert hatte, niemals der Nachbar von China zu werden.

Die Bothschafter hielten sich eine lange Zeit zu Tabris auf. Usong ließ sie zu den freundschaftlichen Abendmahlzeiten bitten, die er wechselsweise seinen Vertrauten, und denjenigen gab, deren Verdienste[244] er auszeichnen wollte. Ein Freund des Kaisers zu seyn, war der Preiß erhabener Eigenschaften, und das Ziel der tugendhaften Ehrbegierde. Der Kaiser war in dieser auserlesenen Gesellschaft freymüthig, und sah auch gern, wenn die Gäste ihm den Anlaß gaben, über die wichtigsten Angelegenheiten der Regierung sich zu erklären.

Der Patan fieng an: Herr der Zeiten4, sagte er, wie ich bey der Pforte deiner Burg anlangte, so fragte ich nach deinem Wasir, dem wollte ich die Briefe von dem Wasir meines Herrn, und die Geschenke übergeben, die der hohen Stelle angemessen waren, auf welcher Persiens Polstern erhoben ist5. Man kennt hier keinen Wasir, war die Antwort. Ich glaubte, vielleicht hat Persien seine Kolas, oder seine Häupter in einer jeden Abtheilung der verschiedenen Geschäfte des Reiches. Ich fragte nach dem Haupte des Kriegswesens: es fand sich keines, und eben so gieng es mit den Kammersachen, der Gerechtigkeit, und der innern Ordnung.

Gott hat dem weisen Usong seines Ahnherrn, des gefürchteten Tschengis, Geist gegeben, er übersieht,[245] wie die Sonne, sein ganzes ausgebreitetes Reich auf einmal. Ist aber Usong, wie die Sonne, unermüdlich? Sie glänzt heute über dem Haupte des Kaisers eben so lebhaft, als sie über dem Oguz glänzete. Kann aber ein Sterblicher sich schmeicheln, unermeßliche Lasten zu tragen, und niemals zu ermüden? Das Wesen, das den Usong von allen Sterblichen mit so großen Eigenschaften unterschieden hat, läßt ihn dennoch in der Reihe der Sterblichen, deren Oberster er ist! Möchte es deine Tage verlängern, wie die Tage der ersten Kaiser, wie die Tage des Cajumaras6! Aber Usong muß alt werden, er wird einen Nachfolger haben. Werden die Kräfte des ehrwürdigen Greises die Last tragen können, welcher der jüngere Usong gewachsen war? Werden deine Nachfolger eben die Riesenschultern der Bürde, des Staates unterziehen, mit denen Usong Persiens Wohlfarth stützet? Verzeihe, Weisester der Herrscher, wenn der Diener deines Freundes einen Zweifel äussert, der eine Wirkung der aufrichtigsten Theilnehmung an deinem Wohlstand ist. Könnte Usong nicht, wie andere Herren, Hülfe in treuen Dienern finden, er, der scharfsichtig, sie wohl zu wählen,[246] und aufmerksam wäre, sie ihren Pflichten getreu zu erhalten?

Usong sagte mit der Freundlichkeit, die bey ihm nach dem Tode der geliebten Liosua die Stelle seines fröhlichen Lächelns vertretten mußte: Ich erkenne es als eine Glückseligkeit, daß auch weise Freunde mich lieben: es wolle der Khan meine Antwort hören.

Einen Wasir Azem7 wurde ich nimmermehr annehmen, so eingeschränkt meine Kräfte sind. Ich will von meinem Volke geliebet seyn: ich will, daß es glücklich sey. Ist der Wasir ein würdiger Verweser des Staates, so bleibt der Dank des Volkes bey ihm stehen, so wie die Wohlthaten von ihm kommen. Der Wasir wacht über den Gesetzen, er erhält die Ordnung, seine sind die Siege, sein die Erhörung der Bittschriften, sein die Gerechtigkeit. Ein solcher Wasir wäre eine Wolke zwischen mir und meinem Volke. Die Perser sähen an ihm den Glanz, ich bliebe ungesehen und verborgen. Mein Ehrgeitz ist, gutes zu thun, ich muß also selbst sehen, selbst befehlen.

Hat der Wasir Fehler, ist er unfähig, ist er habgierig, beredet ihn sein Ehrgeitz Eroberungen zu[247] machen, läßt er sich von seinen Günstlingen einnehmen, drückt er die allzuschimmernden Verdienste anderer Diener des Reiches: hat das Volk Ursache zu gerechten Klagen, so trift den Usong die Schuld, den unweisen Usong, der übel gewählt hat, den trägen Usong, der auf dem Throne sitzen will, aber die Pflichten des Zepters zu schwer findet. Usong ist unglücklich, sein Volk liebt ihn nicht mehr. Aber er ist noch viel elender, denn sein Volk ist unglücklich. Und wenn er schon erwacht, wenn er den Wasir stürzt, der das Volk zu murren gezwungen hat, so ist vieles Gutes verabsäumt, das ohne den Untüchtigen hätte geschehen können, viel Böses geschehen, das ein minder mächtiger Diener nicht würde gewagt haben, das nicht geschehen wäre, wenn Usong selbst die Geschäffte gekannt und geleitet hätte. Und wo ist die Sicherheit, daß ein zweyter Wasir ohne Fehler seyn werde?

Ein Fürst hat keine Ursache geitzig zu seyn, er sinkt unter dem Ueberflusse. Er soll nicht eifersüchtig über gute Diener seyn, von ihnen kann er nicht verdrungen werden, er hat sie nicht zu befürchten. Ein jedes Verdienst im Reiche macht den Herrscher größer, weil es das Reich glücklicher macht. Kein fleißiger Landmann ergräbt eine neue Quelle, die mich nicht bereichere: kein Pflug entsteht,[248] dessen Arbeit ich nicht geniesse: kein Zweig der Handlung erweitert sich, ohne den Glanz meines Thrones zu vermehren. Usong leidet hingegen von allen Fehlern seiner Bedienten. Er ist also innigst durch sein eigenes Glück verbunden, alle Guten zu lieben, alle Bösen zu entfernen, alle Theile des öffentlichen Wohlseyns zu vermehren, alle Arten von Ungemach vom Reiche abzuwenden: denn die Ruhe seines Gemüthes, und die Liebe der Perser ist sein theurestes Eigenthum. Wird ein anderer besser für den Usong sorgen, als Usong für sich selber?

Ich will die Geschichte nicht anführen, worinn ich doch die Folgen erwiesen finde, die der Fürsten Fehler oder Tugenden haben. In den Abendländern dulden die Völker auch böse Fürsten viel ruhiger, und sie leiden sie als Strafen des Höchsten, wie die Blitze, und den Hagel, den Gott als Zeichen seines Zornes auf schuldige Länder ausschickt. Und doch selbst in den Abendländern habe ich gefunden, daß die Tugenden und die Laster der großen Staatsdiener die Thronen umgestürzt haben. Drey mächtige Wasire drungen bey den Franken die Enkel ihrer Helden vom Throne weg8, und erniedrigten sie in den Stand geschorner[249] Derwische: und schlimme Staatsverweser haben andere Reiche von ihren Schätzen entblößt, ihr wahres Wohl verabsäumt, und das Schiff des Staates, woran sie das Steuer führten, gerade an die Klippen geleitet.

So lang Usong Kräfte fühlt, für sein Volk zu arbeiten, so lang wird diese Arbeit seine Wollust seyn. Das hat die Tugend vor der Wollust bevor, daß beyde durch die Gewohnheit zur Natur werden: daß aber die Tugend den Menschen erhebt, und die Wollust ihn erniedrigt; daß bey jener das Vergnügen durch die Gewohnheit zunimmt, und bey dieser die Empfindung täglich schwächer, und endlich zum Eckel wird. Usong ist dabey nicht zu bedauren: er genießt, was ihn einzig vergnügen kann, den täglichen Anblick des Wohlstandes seiner Perser. Welche Georgische Schöne kann den Reitz haben, den ich bey einer Stadt finde, die aus ihrem Schutte steigt, oder bey einem neuen Dorfe genieße, dessen Einwohner wohlgekleidet, freudig ihren Pflug mit starken Ochsen treiben, und am Abende unterm Schatten eines Tschinars ihrer Kinder Vergnügen, und die Aufnahme ihrer Felder überdenken.

Meine späten Nachfolger kann ich nicht kennen, meine Verpflichtung geht nicht so weit, ihre[250] Fehler sich nicht die meinigen. Davon ist aber Usong überzeugt, daß unter einem Fürsten keine Völker glücklich seyn können, der nicht selbst arbeitet, nicht selbst für sie sorget. Alles, was ich thun kann, ist, meinen nächsten Nachfolger so zu bilden, daß ich hoffen könne, er werde ein Kaiser, und nicht die Larve eines Kaisers seyn, durch die ein andrer sprechen und befehlen müsse. Die gute Auferziehung des Thronerben ist das einzige Mittel, das einen herrschenden Stamm auf dem Throne befestigen, und den Wohlstand des Reiches verewigen kan.

Usong sprach mit einem Feuer, das in alle Gemüther drang, und eine dauerhafte Verehrung seiner Tugend bey den erlauchten Fremden bewirkte. Dennoch brachte der Gesandte von Venedig seine Zweifel an. Er war ein Sohn der Freyheit, der die Härte der Regierung, und die despotische Gewalt verabscheute: ihm war unbegreiflich, wie eine Herrschaft gerecht geführt werden könnte, wo ein einziger Wille für alle zum Gesetze würde. Verzeih, erhabner Freund der Tugend, sagte er, wenn ein in entfernten Ländern gebohrner mit befremdeten Augen die morgenländischen Staatsverfassungen ansieht. Gewähre mir die Gnade, die Zweifel aufzulösen, die in meinem Herzen wider die Regierung eines einzigen, vielleicht durch blosse Vorurtheile erzeuget,[251] geherrschet haben. Wenn jemals die unumschränkte Gewalt einen sieghaften Vertheidiger finden kann, so wird es Usong seyn, der diese Gewalt so offenbar zum Besten der Welt anwendet.

Aber wie manchen Usong wird die Geschichte unter den unumschränkten Herrschern der Morgenländer finden? Mir kömmt die Regierung eines einzigen wie eine gesetzliche Tyranney vor, die ihre grausamen Wirkungen unfehlbar ausübt, wenn nicht ein Wunder der Welt auf dem Throne sitzt. Ich habe mir Haruns Alraschids, ich habe mir Timurs, und so vieler andern morgenländischen Helden Geschichte bekannt gemacht: sie waren große Fürsten, herzhaft, edelmüthig, öfters auch gerecht: sie beschützten die Wissenschaften, und hatten überhaupt einen Gefallen an der Tugend, und an den Gemüthsgaben ihrer Unterthanen. Aber diese guten Eigenschaften erfüllen noch nicht die Pflichten eines Beherrschers, sie versichern das Leben und das Glück der Völker nicht. Wie grausam hat nicht Harun aus einer niederträchtigen Eifersucht den edlen Giafar, und das würdigste Geschlecht unter den Arabern, die Barmekiden, unterdrückt? Würde ein solches Unrecht möglich gewesen seyn, wenn sein Rath über das Blut des unschuldigen Giafars gerichtet hätte, der bloß die Rechte der Natur einem[252] unsinnigen Verbote vorgezogen hatte9? Wie oft hat Timur ganze Völker ausgerottet, wie oft hat er den ihre Schlüssel bringenden Städten Gnade versprochen, und dennoch dem Schwerdte den Lauf gelassen: Wie manche Kriege hat bloß der Ehrgeitz bey den gesetzfreyen Fürsten erweckt? Wie haben die Osmannen halb Asien verwüstet, und Europa mit den rauchenden Spuren der Verheerung angefüllt, bloß weil ein Sultan nach dem Namen eines Gazi10, und nach dem Rechte einer Dschiami11 lüstern war?

In freyen Staaten werden alle Entschlüsse von vielen genommen. Es ist nicht leicht möglich, daß ein ungerechter Entschluß von vielen ungleich denkenden, von vielen mit einander eifernden Männern angenommen werde, dabey nicht mancher, oder dabey gar keiner, seinen eigenen Vortheil siehet. Der heimliche Stolz, der auch in tugendhaften[253] Herzen keimt, waffnet die Beredsamkeit derjenigen, die den Verfechter eines ungerechten Anschlages nicht lieben; es wird schwerlich geschehen können, daß er zugleich dem Hasse seiner Gegner, und der Wahrheit zu widerstehen vermöge, die der Beweggrund des uneingenommenen ist.

Aber bey einem unumschränkten Herrscher ist der Zorn eines Augenblickes ein Todesurtheil, eine aufwallende Leidenschaft zerstöret eine Stadt, und der Grimm über ein hartes Wort wird zur Kriegeserklärung. Der Strahl fällt augenblicklich nach dem Blitze, und die Reu kömmt nach dem Unglücke.

Ich sehe, daß Usong nach den Gewohnheiten Persiens unumschränkt herrscht, daß er auch eine eigenthümliche Herrschaft besitzt, die ihren Sitz in den Herzen der Völker hat. Wie hat aber seine Tugend das Mittel gefunden, daß unter einer keinen Gesetzen unterworfenen Macht niemand leidet, niemand klaget, und so viel tausend Münde sich alle zu seinem Lobe vereinigen?

Eine aus vielen weisen Männern bestehende Regierung kann nicht auf einmal verfallen. Der Tod des einen würdigen läßt sich verschmerzen, wo so viele andere übrig sind. Zeno starb, aber[254] Venedig blieb blühend. Unter Monarchen hängt das Glück des Reiches am Athem eines Sterblichen. Kaum hat die Welt einen Timur bewundert, so folgen auf ihn unwürdige Enkel, wollüstige, träge, unfähige Fürsten. Die Wahl, die in einem freyen Staate den verachteten, den ehrlosen, den untüchtigen ausschließt, hat keine Kraft wider die Rechte der Geburt. Ein großes Volk muß sich einem Wütriche, einem Sardan-Pul unterziehen, und geht mit ihm zu Grunde. So sind die Timuriden verschwunden, die Enkel der Geisel der Welt.

Usong sprach: Ich will den abendländischen Weisen nicht die Ungerechtigkeiten entgegen setzen, die durch den Rath freyer Staaten nicht eben selten begangen worden sind. Ich will nicht darauf dringen, daß zu Rom der Ehrgeitz den Rath, und selbst einen tugendhaften Cato, eben so oft zu ungerechten Kriegen aufgebracht hat, als bey den Osmannen oder beym Timur die Lust zur Vergrösserung. Ich gestehe es auch ein, daß es gefährlich ist, einem Menschen eine unumschränkte Macht zu lassen; bey Gott ist die Allmacht an ihrer Stelle, denn er ist allweise, und allgütig. Ich finde selbst, daß mein Herz sich wider die plötzlichen und unüberlegten Todesurtheile erhebet, die in den Morgenländern so gemein sind; diese schleunige Ausübung mörderischer Befehle ist für den Unterthan[255] unerträglich, und auch für den Herrscher gefährlich. Wann es nichts kostet als zu wollen, so werden die Menschen immer zu viel wollen, und durch eben diese willkührliche Anwendung ihrer Gewalt verlieren die Fürsten das Zutrauen ihrer Unterthanen, und werden zuletzt durch den gesammelten allgemeinen Haß wie reissende Thiere überwältiget. Mir ist das Blut des geringsten Persers unschätzbar: niemand hat die Macht es zu vergießen, als das Gesetz.

In Persien habe ich getrachtet eine Staatsverfassung einzuführen, die für den Herrscher nicht gefährlich wäre, und wobey das Volk die Ausbrüche willkührlicher Leidenschaften nicht zu besorgen hätte. Eine freye Staatsverfassung scheint den Morgenländern nicht angemessen (Hier bückte sich der Patan, und bezeugte durch seine Geberden, daß er eine Einwendung hätte, schwieg aber mit Ehrerbietung); ihre heftigen Leidenschaften scheinen also Schranken zu bedürfen, die nur die monarchische Macht nachdrücklich behaupten kann. Es blieb übrig, die Perser vor der Unterdrückung sicher zu stellen.

Ein jeder Unterthan, ein jeder Gerichtshof, ein jeder Theil der Staatsverwaltung, muß das Recht haben, sich an den Kaiser zu wenden: sie müssen nicht nur ihre eigenen Angelegenheiten zu betreiben, sondern auch die Nothdurft des Reiches[256] zu beherzigen frey seyn: über alle Zweige der Regierung nimmt hier der Beherrscher ungeahndet und ungestraft Vorstellungen an.

Der Kaiser verdammt niemand, auch diejenigen nicht zum Tode, die so frech wären, ihn persönlich zu beleidigen. Alle Strafen, alle Verurtheilungen werden von den Gerichtshöfen überlegt, und darüber die mehrern Meynungen eingeholt. Ein guter Kaiser hat nicht zu befürchten, daß derjenige ungestraft hingehen werde, der gegen ihn gefrevelt hat. Er behält dabey das Recht zu begnadigen, und ein kluger Fürst wird es willig ausüben. Das Gesetz bestraft den Schuldigen, und dem Herrscher bleibt das edle Vorrecht, zu vergeben.

Die Abtheilungen der Staatsverfassung bleiben von einander unabhängend: der Gottesdienst, das Kriegswesen, die Gerechtigkeit und die Kammersachen mit der Policey, sind völlig getrennte Körper, bey denen jeder Befehl von den obersten Häuptern zu den untersten gehorchenden, ungestört hinabsteigt. Der Kaiser ist der einige Mittelpunkt, wo sich die Vorträge aller dieser Abtheilungen vereinigen. Die Trennung der Machten in einem Reiche versichert den Thron der Fürsten, und verhindert die Verbindungen, die wider ihn entstehen könnten. Es wird zwischen den verschiedenen[257] Staatsgliedern allemal einige Eifersucht, und einige Fremdheit bleiben.

Der Kaiser verfügt in keiner dieser Eintheilungen der Reichsverwaltung einige neue Verordnung, ohne eben diejenige angehört zu haben, in die das Geschäfft gehört. Dreymal soll der Kaiser ihre Gründe anhören und untersuchen lassen, und die Ausschreibung der Befehle soll stille stehen: endlich aber muß des Kaisers Befehlen Gehorsam geleistet werden, weil doch ein Ende des Zweifels seyn muß.

Der Kaiser findet seine Sicherheit auch in seinen Abgesandten. Sie machet keinen Theil eines der Staatsglieder aus, und haben keine Beysitzer auch keine eigene Macht, als die Ausführung zu hemmen, wann sie glauben, dieselbe würde nachtheilig seyn, und einen Bedienten des Staates in die Unthätigkeit zu versetzen, beydes, bis des Kaisers Wille eröffnet ist. Der Kaiser wird auch über des Abgesandten Vorstellungen die Gründe des Hofes anhören, wohin die Sache gehöret. Sonst soll der Abgesandte über alles ohne Aufnahme wachen, was zum Besten des Reiches abzwecket, und über alles an den Kaiser uneingeschränkt einberichten. Er wird auch auf dasjenige seine Aufmerksamkeit richten, was nicht eigentlich in die[258] großen Abtheilungen gehört; die Handlung, die Schiffahrt, die Gelehrsamkeit, werden seiner Aufsicht anbefohlen.

In allen Befehlen sollen die nöthigen Feyerlichkeiten beobachtet werden, alles wird man in die erforderlichen Bücher eintragen. An diesen äusserlichen Einschränkungen ist alles gelegen: sie unterscheiden eine ordentliche Regierung von der Herrschaft der barbarischen Gewalt.

Mit diesen Vorsorgen glaubte ich, wäre der Uebereilung gesteuert: und der Wahrheit bliebe der Zugang zum Throne offen: und dennoch bleibt dem Usong mehr Gewalt, als er auszuüben gedenkt.

Endlich wird mein Freund zugeben, daß eine monarchische Herrschaft einen wesentlichen Vorzug über die Regierung von vielen hat. Die letztere sinkt langsamer ins Verderben, aber dieses Verderben ist unheilbar, keine Heldentugenden einzelner Männer können dem zum Untergang hinreissenden Wirbel widerstehen. Die Tugenden eines Agis, eines zweyten Cato sind in dem verdorbenen Sparta und Rom verlohren, und führen beyde zu spät gebohrne Rechtschaffene ohne Nutzen für ihr Vaterland in das Verderben. Die Sparsamkeit[259] wird lächerlich. Die Strengigkeit zieht dem Gerechten den Haß seiner Mitbürger zu, und das heimliche Geständniß ihrer Unwürdigkeit macht alle diejenige zu unversöhnlichen Feinden des Tugendhaften, deren Niederträchtigkeit sein glänzendes Beyspiel beschämt. Hingegen kann ein einziger Monarch, wann er ernstlich will, ein in die gröste Unordnung gerathenes Reich wieder in den besten Zustand bringen. Vespasian heilte die Wunden, die sechs böse Herrscher seinem Rom geschlagen hatten, und nach dem heimtückischen Domitien lebte es mit verdoppeltem Glanze unter dem Trajan auf. Aber die Republik sank von den Gracchen an immer tiefer, und eilte unrettbar zu ihrer Zerstörung. Da die Herzen verdorben waren, so ließen sich die Gesetze selbst zur Unterdrückung der Freyheit mißbrauchen, und die Staatsverfassung wurde unter dem Vorwand ihrer Erhaltung gestürzt.

Der Kaiser schwieg, aber es stiegen doch in seinen Gedanken Entwürfe einiger Verbesserungen auf, die er nachwärts ins Werk setzte. Er wandte sich gegen den Patan, und fragte ihn, was er für ein Bedenken bey dem Satze hätte, daß keine Freystaaten in den Morgenländern sich haben erhalten können.[260]

Ein neues Volk erscheint seit einiger Zeit an dem Ufer des Indus, sagte der Patan, das allerdings im genauesten Verstande ein Freystaat ist. Man hält dafür, es sey aus Tibet entsprungen. Diese Fremdlinge sind zahlreich, und in zwölf Stämme abgetheilt. Im Frieden haben sie kein Oberhaupt; ihr Gesetzbuch liegt auf einem Altare, und nach demselben richten ihre Aeltesten. Im Kriege wählen sie einen obersten Feldherrn. Sie haben sich fast des ganzen Indus bis an die See bemächtigt. Ihre Liebe zur Freyheit herrschet bis in den Gottesdienst: sie kennen keine äusserlichen Feyerlichkeiten, und beten in der Stille einen einigen Gott an12. Usong dankte dem Bothschafter für die Neuigkeit, und wandte sich gegen den Bothschafter von Venedig. Nun haben die Helvetier einem dem ihrigen ähnlichen Bund in Indostan: denn Usong kannte jenes Volk auch insbesondre wegen der Kriegszucht, die bey demselben neben der vollkommensten Freyheit dennoch überaus scharf war, und, wie der Kaiser anmerkte, das meiste zu den Siegen dieser Bergleute beygetragen haben mochte.

Der Kaiser vernahm bald darauf Machmuds Tod, den ein schmerzhaftes Uebel gewaltsam weggeraft hatte. Der Sultan hatte seine Waffen gegen die Abendländer gewandt, und einen Einfall[261] in Italien gethan; er schien das alte Rom zerstören zu wollen, so wie er das neue bezwungen hatte. Seinen Thron bestieg Bajazid, ein friedfertiger Herr, der mit seinem eigenen Bruder zu kämpfen hatte, und alle Gedanken ablegte, Persien zu beunruhigen.

Usong hielt nunmehr seine Gegenwart zu Tabris nicht mehr für nöthig. Geheime Triebe zogen ihn nach Schiras, wo er eine mildere Luft für sein annahendes Alter zuträglich zu seyn glaubte, und wo der Sitz der Künste war, die unter seiner unmittelbaren Aufsicht stunden, und durch seine Freygebigkeit unterstützt wurden. Das Frauenzimmer gieng mit dem Thronfolger dahin ab: der Kaiser aber bereisete zum letztenmale die westlichen Provinzen, und besuchte die Städte die er noch nicht gesehen hatte.

Er sah das den Persern unterworfene Armenien, das wichtige, und durch seine Lage befestigte Tiflis, und die Gegenden, wo der Euphrat und der Tiger ihren Ursprung nehmen. Er hatte einen täglichen Anlaß zu dem wahrhaftigsten Vergnügen. Alle Aecker waren bebaut, unzählbare Pflüge machten Gefilde fruchtbar, wo einzelne Antilopen geweidet hatten.[262]

Die Flüsse im heissen Mesopotamien, und in Irak, waren überall zum wässern abgegraben, und eine segensreiche Fruchtbarkeit durch die durstigen Flächen vertheilt. In allen Dörfern sah Usong neue Häuser, wohlgekleidete Bauern, mit ihren Weibern, mit Silber geschmückt, die Stimme der Freude und des Frohlockens stieg aus allen Hütten. Usong war nicht mehr einer sinnlichen Freude fähig, aber das Herz des Helden schwoll dennoch von Vergnügen auf, das so viele Glückseligkeit erweckte, woran er einen so wesentlichen Antheil hatte. Zuweilen mußte er dennoch bestrafen.

Er fand unweit Amadan einen Landmann, der ein wohl zugerüstetes Pferd leitete, und vernahm, daß es einem der Richter dieser Stadt zugeführt wurde. Der Richter war in den persischen Dichtern wohl belesen, selbst scharfsinnig, und wegen seines angenehmen Witzes dem Kaiser vortheilhaftig bekannt worden. Usong ließ auf den Landmann achten, und vernahm bald, das Geschenk sey angenommen, und das Geschäfft vor dem Richter beträfe eine der Wasserleitungen, die unter den Landleuten allemal die heftigsten Zwiste veranlassen. Beyde wurden vor den Diwan gefodert: sie mußten ihren Fehler eingestehen. Du, sprach der Kaiser zum Landmann, hast einen nützlichen Mann[263] verführt, der alle Eigenschaften zu einem einsichtigen Richter besaß: du hast Persien beraubt; was hat es theurers als tugendhafte Männer? du sollst in Mogostan leben, und dein erster Fehler soll dein Tod seyn. Usong wandte sich hierauf nach dem zitternden Gelehrten: Wer hat besser gewußt als du, daß Geschenke ärger als Räubereyen sind, daß sie aus den Händen der Unschuld ihr rechtmäßiges Eigenthum reißen, und es dem Verführer zutheilen? du sollst auch in Mogostan, in eben dem Dorfe mit demjenigen wohnen, von dem du dich hast bestechen lassen: so oft ihr einander sehet, soll euer Anblick euch erinnern, daß kein Laster in Persien unbestraft bleibet.

Usong kam endlich in Schiras zurück. Seine Künstler hatten manche Jahre ihres Beschützers entbehrt, und kein Geld befruchtet die Künste, wie das Auge des Herrn. Er suchte Hülfe für diejenigen Werke, die geschwächt waren, er munterte die Fleißigen auf, er belud sich mit einem großen Theil der Waaren, die sie verfertigten. Die Chinesen hatten nun ganze Dörfer mit fruchtbaren Maulbeerhecken, und mit Schildereyen baumwollener Tücher besetzt: und die chinesischen Geschirre wurden in Persien an vielen Orten vortreflich nachgeahmt, auch wohl an Festigkeit,[264] am lebhaften Firnisse, und an gutem Geschmacke übertroffen.

Der erste Befehl des Kaisers war, seiner geliebten Liosua ein Denkmal aufzurichten. Er erwählte dazu einen Hügel, auf den man vom Palaste eine freye Aussicht hatte. Das Grabmahl wurde nach dem chinesischen Geschmacke ausgeführt, und in silbernen Lampen brannte Tag und Nacht weisses Naphtha um den Sarg. Einige der ältesten Diener der Kaiserinn wurden zu Hütern gesetzt, denen das leichte Amt zum Troste ihres Alters dienete.

Usong gab hier verschiedene Verordnungen aus: denn der bemühte Kaiser beschäftigte sich mit einer jeden Angelegenheit seines unermeßlichen Reiches, und eines jeden Theils desselben, als wenn er nur etliche Dörfer zu beherrschen gehabt hätte13. Er sah die Handlung blühen, die Karawanen kamen von Halep, mit den Waaren der Abendländer beladen, nach Mosul. Die tatarischen Schätze wurden von Bockhara nach Mesched gebracht, und aus Indostan giengen die Reichthümer dieser fruchtbaren Gegenden über Kandahar nach Schiras.[265] Die Schiffe aus Arabien, aus Gusurat und Atschin brachten nach Basra die Früchte ihrer Länder, und die Reichthümer des glücklichen Serendibs14.

Usong wußte, wie die Handlung die zweyte Stütze des Reiches ist, denn dem Ackerbau gab er den Vorzug, der so unmittelbar unentbehrlich ist. Einige Karawanen waren angegriffen worden, die Usbeken streiften noch dann und wann, und schadeten dem Handel nach Bockhara. Usong gab ein Gesetz, nach welchem er versprach, dem Ueberwältigten aus dem Schatze alle die geraubten Güter zu bezahlen, die auf der Landstrasse mit Gewalt weggenommen würden, und der Statthalter sollte von der Landschaft die Ersetzung desjenigen wieder verlangen, das inner ihren Gränzen geraubet worden wäre. Dieses großmüthige Gesetz, das auch die gesittetesten Völker nachzuahmen nicht uneigennützig genug sind, ist in Persien15 auch unter den gewaltsamsten Regierungen heilig geblieben. Die Landschaften fanden ein leichtes Mittel, daß keine Räuberey[266] mehr so leicht ihnen zur Last gereichen konnte. Sie nahmen Strassenreuter16 an, deren Anzahl der Gefahr nach bestimmt wurde, und diese leichte Anstalt reinigte sehr bald die Strassen so vollkommen, daß man mit unbedecktem Gelde von Orsa bis nach Kandahar reisen konnte, ohne einen Angriff zu befürchten. Denn da diese Reuter auf allen Landstrassen beständig hin und her eilten, da man die Fremden nöthigte, bey jeder Stadt Zeugnisse zu nehmen, und ohne dergleichen Scheine niemand durchgelassen wurde, so verlohren die Räuber alle Hoffnung, unverfolgt zu bleiben, und vermieden mit der größten Sorgfalt die persischen Gränzen. Alle Perser, und insbesondre die ganze Landmacht hatte Befehl, den Strassenreutern beyzustehen, und Usong würde den Stolz der Kriegsleute streng bestraft haben, die von dem Reiche sich besolden liessen, aber zu dessen inneren Ruhe nicht hätten dienen wollen. Alle die Unbequemlichkeit der Räuberey fiel nun auf die keiner Ordnung fähigen Osmannen, deren Länder von ganzen Schaaren von Freybeutern geplündert wurden.

Der Kaiser erinnerte sich an den Einwurf des Patanischen Bothschafters, sein zunehmendes Alter[267] erforderte einige Verminderung seiner Arbeit. Er gab nunmehr den großen Abtheilungen der Reichsverwaltung Häupter; eine jede hatte einen Vorgesetzten, der mit dem Kaiser arbeitete. Vier Tage waren für diese vier obersten Staatsbedienten bestimmt, an den übrigen arbeitete er in Gegenwart aller der Häupter über die allgemeinen Geschäffte des Reiches. Da nicht alle dieser Abtheilungen gleich viel Geschäffte anbrachten, so blieb die übrige Zeit für die Schreiben der Abgesandten. Jedes Haupt hatte vier Beysitzer, alle aber wurden aus eben der Abtheilung genommen, deren sie vorgesetzt waren. In dem gewöhnlichen Laufe trug das Haupt dem Kaiser vor: alle Beweise mußten bey der Hand seyn. Denn sehr oft, und zumal auf die Warnung hin eines Abgesandten, untersuchte der Kaiser auf der Stelle, ob der Vortrag mit den Beylagen übereinkäme, und er war unerbittlich, wann er im geringsten Umstande eine Unrichtigkeit verspürte. War das Geschäfft zu weitläuftig, so ließ er sich alle Urkunden geben, und untersuchte es, sobald er Zeit fand, oder gab es einem Vertrauten zu untersuchen. Er blieb beym Gebote, daß vor dem endlichen Entschlusse ein jedes Haupt, und alle Beysitzer, ihre Meinung schriftlich von sich geben sollten: das Aufbehalten der Schriften machte sie behutsam im Anführen des Verlaufs, da nicht die geringste Unrichtigkeit[268] übrig bleiben mußte. Usong hob aber das Recht nicht auf, das ein jeder Unterthan hatte, sich an den Kaiser zu wenden, und die öffentlichen Verhöre giengen täglich vor sich.

Ismael war so weit herangewachsen, daß er zu wichtigern Lehren tüchtig war. Der Kaiser gab ihm aus jeder Abtheilung einen geschickten und dennoch angenehmen Mann zum Lehrer, und fugte einen fünften bey, der über die allgemeinen Angelegenheiten des Reiches den Erbfürsten unterrichtete. So lernte er von Jugend auf den Gottesdienst, den Kriegsstaat, die Rechte, die Steuersachen, und die Policey des ihm zugedachten Reiches im innersten kennen. Zu den Kriegsübungen der kaiserlichen Leibwache, auch der um die Städte verlegen Landmacht wurde er zugezogen, weil doch die Jugend am besten durch die Sinne sich unterrichten läßt. Man zeigte ihm die nöthigen Künste, das Giessen des Geschützes, die Werkstätte der Waffen, und der vornehmsten Waaren. Der Kaiser ließ den Schach Sadu den Rechtsfragen beywohnen, und die Beweise der vortragenden Richter, und die Gründe anhören, worauf sich das Urtheil gründete. Zu den Uebungen im Reiten, im Fechten, sogar im Schwimmen, wurde er angeführt. Sein Gemüth war zugleich feurig und[269] biegsam, er flog zur Ehre durch alle Wege, und das Beyspiel seines großen Ahnherrn spornte ihn zur Vollkommenheit an.

Usong ließ ihn die jährlichen Reisen unternehmen, die nunmehr dem Kaiser zu beschwerlich waren. Ihm wurden auserlesene Begleiter mitgegeben, die seine Aufmerksamkeit auf alle würdige Gegenstände richteten. Er that selber den Vortrag an den Kaiser, und brachte die Anmerkungen über alles an, was er in den vier Abtheilungen wichtiges gesehen hatte. Das Volk liebt allemal seine jungen Fürsten, und ein günstiges Vorurtheil entsteht in allen Herzen, wenn sie mit der Blüthe der Jahre die Keime der Weisheit vereinigt finden. Leutselig wie sein Ahnherr, fähig wie Nuschirwani, schön wie Haider, gewann Ismael aller Herzen, und frohlockete über die Zeichen der Liebe, mit denen man ihn überschüttete.

Usong war zu groß, eifersüchtig zu seyn; er wollte, daß Ismael auch im Kriege sich üben sollte. Die Aufruhr einiger Balluschen, eines wilden Bergvolkes, das ein Stamm der Patanen ist, aber weiter nach Süden wohnt, nöthigte den Kaiser, ein kleines Heer wider sie auszuschicken. Der[270] erfahrne Scherin führte es an, und Ismael gieng als ein Freywilliger mit zu Felde. Scherin zeigte ihm die Absicht eines jeden Befehls, den er gab, und eines jeden Schrittes, den das Lager that.

Der Khan drang sehr vorsichtig in die Gebürge, machte sich allemal aller Anhöhen Meister, ehe das Hauptlager vorrückte, und das Feuergewehr, so wenig er desselben hatte, machte ihn sehr bald den halb ungewaffneten Wilden so fürchterlich, daß sie sich unterwerfen mußten. Sie legten vor einem Rasenhügel die Waffen nieder, worauf Ismael in einer prächtigen Rüstung stund, und gaben Geisel. Man führte an den nöthigsten Orten einige Befestigungen auf, die man besetzte, und ein fliegendes Lager blieb einige Jahre am Eingang der Gebürge stehen. Ismael kam voll jugendlicher Freude wieder, seinem Ahnherrn die Begebenheiten des Feldzugs zu erzählen: sein Herz wallete vom mächtigen Gefühle des ersten Sieges. Usong umarmte den liebenswürdigen Erbfürsten, und zog ihn nunmehr zu den Versammlungen der vier Abtheilungen; er fragte ihn zuweilen um seine Meynung, billigte sie, oder brachte ihn liebreich zurechte, und bog ihn unter die Last, die ihm nunmehr nach dem Laufe der Natur bald auffallen mußte.[271]

Nuschirwani war unermüdet besorgt, die anwachsenden Jahre ihrem großen Vater angenehm zu machen. Bald ließ sie wilde Thiere mit einander streiten, womit sich der Kaiser belustigte, weil doch allemal, wie er sagte, ein Räuber starb. Sie ließ die seltensten Thiere zusammenbringen; man fand an Usongs Hofe den mit einer Mähne dem Löwen sich nähernden Baburath, dessen röthlichter Pelz17 mit schwarzen Flecken beworfen war. Die äthiopische Giraffa, mit dem Kameelhalse und den Pamherflecken zeigte in der fremdesten Gestalt die mildesten Sitten. Bald ließ die Erbfürstin die verschiedenen Leibwachen sich in den Waffen üben: bald erschien eine Menge Arbeiter, deren jeder die Waaren trug, die er verfertigt hatte, und wobey Nuschirwani allemal etwas neues und unerwartetes anzubringen wußte. Bald wurden dem Kaiser indische Edelsteine gebracht, deren Werth und Fehler er sehr wohl kannte, und mit denen er in einer müßigen Viertelstunde sich beschäfftigte. Bald ließ man Dichter kommen, die ihre Gesänge ablasen. Sie ließ auch einige Kämpfer um Preise streiten, ohne einander zu verletzen; andere Preise wurden dem schnellsten Läufer, und auch wohl dem flüchtigsten Pferde ausgetheilt. Diese letztern Kämpfe hielt Usong für nützlich, weil sie[272] die Perser anfrischeten, ihre edle Pferde mit arabischen Hengsten zu verbessern, die man den persischen noch vorzieht.

Usong sah wohl, daß diese Veränderungen lauter Künste der sorgfältigen Liebe der klugen Nuschirwani waren; er zeigte auch eben deswegen ein mehreres Vergnügen an allen diesen Schauspielen, als wie er würklich fühlte. Er hatte seine Munterkeit niemals wieder erhalten, nachdem er seine Gemahlinn verlohren hatte: obwohl er mit der Trapezuntischen Despoina als ein liebreicher Gemahl lebte, und sie um desto glücklicher zu machen suchte, je härter, auch wohl Usongs wegen, ihres Hauses Schicksal gewesen war. Auch die Gesundheit hatte bey seiner ehemaligen Krankheit gelitten. Er fühlte seine Kräfte abnehmen, und ein allgemeiner Eckel gewann bey ihm die Oberhand. Man sah ihn oft des Nachts nach dem Grabmahle der Liosua sehen, und ob er wohl zu gütig war, mit seinem Kummer seine Gemahlinn zu betrüben, so merkte man doch wohl, daß er nicht mehr lang von seiner Verstorbenen getrennt zu bleiben hoffte.

Eine neue Gesandschaft von Venedig unterbrach des Kaisers Schwermuth. Joseph Barbaro, ein Edler, wurde von Venedig abgeschickt, um des Kaisers[273] beharrliche Freundschaft anzusuchen. Er brachte wiederum Kriegsvorrath und Leute mit, die in der Verfertigung der Waffen, und im Gebrauche des Geschützes erfahren waren. Ihn begleitete Nicolo Crespo, Herzog einiger Inseln im ägeischen Meere, ein junger und liebenswürdiger Herr, der die Anmuth der europäischen Sitten mit den grösten Vorzügen der Bildung verband.

Zeno lebte noch; er schickte seinem durchlauchtigsten Freunde eine Anzahl Bücher, die nach der nicht mehr seltenen Erfindung mit zinnernen Buchstaben abgedruckt waren. Die besten Geschichtschreiber von Italien, und vom alten Rom waren unter der Zahl derselben. Der edle Zeno bezeugte sein Vergnügen, daß er unter den ersten gewesen wäre, die innere Größe des jungen Usongs zu kennen, und ihn zu lieben.

Die Gemahlinn des Kaisers genoß alle Freyheit, die sie bey den morgenländischen Christen würde gehabt haben: sie hatte eine eigene Kirche, worinn sie ihre Andacht verrichtete. Ihre jüngere Schwester, die schöne Eudoxia, begleitete sie bey einer der großen Feyerlichkeiten der Christen. Crespo fand sich auch dabey ein, und bemerkte die aus der bescheidensten Kleidung ausbrechenden[274] Reitze der jungen Fürstin von Trapezunt. Es war ein anmuthiges Gemische von Andacht, von Demuth, und von einer fürstlichen Würde. Der Herzog von Naxos sah ihre Schönheit nicht unempfindlich an; ihm gefielen noch über die reizenden Züge die Spuren der Tugend, die er in dem ganzen Wesen der jungen Schönen wahrnahm. Er fand noch mehrere Gelegenheit sie zu sehen, und entzündete sich täglich mehr.

Die kaiserliche Gemahlinn sah alle Christen als ihre Verwandten an, und gab dem Fürsten von Naxos den Vorzug, den seine Geburt und seine angenehmen Eigenschaften verdienten. Durch ihre Güte aufgemuntert, wagte er es der Despoina zu eröffnen wie sehr er wünschte, ihrer liebenswürdigen Schwester Hand zu verdienen. Usongs Gemahlinn trennte sich ungern von ihrer Schwester, sie fand aber unendlich mehr Hoffnung zu der Glückseligkeit der jungen Eudoxia bey einem christlichen Fürsten, als bey irgend einer Vermählung mit einem Mahometaner. Sie selbst hatte den Unterschied des Glaubens nicht zu büssen gehabt; sie wußte aber, wie sehr sonst die morgenländischen Fürsten auf die Annehmung ihrer Grundsätze bey allen den schönen Einwohnerinnen ihres Harems zu dringen pflegten. Sie machte dem Crespo Hoffnung,[275] und leitete es dahin ein, daß er der jungen Fürstin seine innigste Liebe zu erkennen geben konnte. Crespo gewann einen so großen Antheil an ihrer Hochachtung, daß Eudoxia kein anderes Beding vorschrieb, als die Einwilligung ihres Beschützers, des Usongs. Sie war nicht schwer zu erhalten. Seine weise Güte sah nur auf das wahre Glück derer die er liebte; er fand keinen gültigen Einwurf wider des Crespo Ansuchen, und die Trauung sollte in der Stille vor sich gehen: aber ein tiefes Stillschweigen herrschte über die ganze Sache, da es im Morgenlande einer bescheidenen Fräulein schon misfällt, auch nur genannt zu werden.

Die schöne Eudoxia besuchte einmal die tugendhafte Nuschirwani, als unvermuthet Ismael in seiner geliebten Mutter Zimmer trat, bey welcher er eine jugendliche Bitte anzubringen hatte. Die fürstliche Fräulein konnte nicht entweichen, sie war ohne Schleyer, und in aller Freyheit, die der Besuch einer vertrauten Freundinn giebt. Ismael sah sie nur zu wohl, und fand an ihr eben die Reitze, die der griechische Fürst verehrte. Sie verließ zwar, sobald es ihr möglich war, das Zimmer der Kaiserstochter: aber ihre Augen hatten ihre unglückliche Macht schon ausgeübt. Ismael war mit aller der Lebhaftigkeit eines Jünglings, und mit der Heftigkeit eines Morgenländers[276] entflammt, und sah kein Glück mehr vor sich, als in dem Besitze der schönen Griechinn.

Er konnte seine Leidenschaft nicht bezwingen, und bat seine erlauchte Mutter um ihre Fürsprache beym Kaiser. Da er doch Persiens einziger Thronerbe wäre, da er nicht unvermählt bleiben würde, so hoffte er, man würde ihm die einzige Braut nicht versagen, bey welcher er glücklich zu seyn hoffen könnte.

Nuschirwani liebte ihren Sohn, aber noch mehr die Tugend: sie hatte eben das zarte Gefühl der Gerechtigkeit, wodurch jener Kaiser so berühmt worden war, dessen Namen sie trug. Sie belehrete den feurigen Ismael über die wahren Umstände, und suchte ihn zu überzeugen, Eudoxia sey nicht mehr frey, und seine Liebe sey den Gesetzen entgegen. Er stieß die bittersten Klagen aus: und selbst die Verehrung seiner Mutter konnte ihn nicht verhindern, wider seinen Mitbuhler sich einige Worte zu erlauben, die heimliche Drohungen waren. Man vernahm auch von seinen Vertrauten, er hätte die heftigste Leidenschaft geäussert, sobald er von seiner Mutter zurück in seine Zimmer gekommen wäre.[277]

Nuschirwani hoffte, der große Usong würde den feurigen Fürsten besänftigen, und einem Ausbruche vorkommen, der dem Kaiser sehr unangenehm seyn würde, ihm der die Mildigkeit selbst war, und in dessen erlauchtem Hause noch niemals eine Leidenschaft war bekannt worden, welche die Tugend hätte mißbilligen können.

Usong ließ den Erbfürsten von Persien vor sich kommen. Ismael, sagte der ehrwürdige Monarch, zweifelt an meiner Liebe nicht: er ist der einzige Zweck aller meiner Arbeiten: alles, was ich für Persien thue, das thue ich für ihn, und in der Absicht, ihm ein ruhiges und glückliches Reich zu verlassen. Aber ich liebe den tugendhaften, den sich zu einem guten Herrscher bereitenden Ismael: einen ungerechten, einen gewaltthätigen Ismael würde ich nicht lieben, auch nicht wenn er meiner Nuschirwani Sohn wäre.

Ismael ist nur zwey Schritte vom Throne entfernt, er wird in wenig Jahren selbst fühlen, wie schwer der Zepter ist. Dennoch ist es möglich, diese Last zu erleichtern. Wann Ismael mit dem Ruhme eines tugendhaften Fürsten den Thron besteigt, wann Persien von ihm sein Glück hoffen[278] kann, so werden ihm alle Herzen entgegen gehen, und alle seine Befehle werden der Wille des Volkes seyn.

Wie aber, wenn derjenige, der auf mich folgen soll, ein Fürst wäre, der seine Begierden der Gerechtigkeit vorzieht, der versprochene Bräute ihren Verlobten entreissen, und Bande trennen will, die keine Menschen mehr auflösen sollen? was wird Persien von Ismael erwarten, wann der junge Tieger an der Kette der väterlichen Gewalt schon raubet, schon seinem Grimme die noch zarten Klauen leihet? wer wird vor dem erschrecklichen Wütriche sicher seyn, wenn ihn kein Gesetz, keine Ehrerbietung mehr einschränken wird?

Aber so unglücklich wird Ismael nicht seyn: er wird für den Einfall eines Augenblickes die Ehre nicht verscherzen, ein tugendhafter Fürst zu seyn: eine jugendliche Begierde wird nicht mehr auf ihn vermögen, als die Hoffnung einer glücklichen Regierung, der Beyfall aller seiner Perser, und das Glück eines ganzen lange vor ihm ausgedähnten Lebens.[279]

Ismael war feurig, aber tugendhaft: er bückte sich, küßte des Kaisers Hand, ihm blieb die einzige Bitte, abwesend zu seyn, wenn er die edle Eudoxia auf ewig verlieren sollte. Vor seinen Augen sie in die Arme eines geliebten Mitbuhlers gehen zu sehen, wäre für seine schwache Tugend zu viel.

Die Usbecken hatten nach einer langen Ruhe unter neuen und gierigen Fürsten einen Einfall in Khorassan gethan, und Usong ließ unter dem Nortimur, einem der wenigen übriggebliebenen Nowianen, ein fliegendes Heer wider sie zu Felde gehen. Ismael zog mit den Persern wider die Räuber, seine Erfahrung in Kriegssachen zu vermehren. Nortimur wollte die Usbecken nicht nur zurücktreiben, Persien würde nur eine kurze Ruhe genossen haben. Er nahm sich vor sie zu bestrafen, und für eine lange Zeit abzuschrecken, ihre friedlichen Nachbaren zu reizen.

Sie waren, sobald sie den Anzug der Perser vermerkt, gegen ihre Gränzen zurückgewichen. Die Flächen von Khorassan lagen hinter ihnen, und sie hatten sich eines engen Thales zwischen gähen Felsen bemächtigt, das sie gegen ihre Lande führte.[280]

Nortimur versah sich mit einer Heerde Pferde, dem angenehmsten Raube für die Usbecken. Er lagerte sich in der Fläche, die hieher des vom Feinde besetzten Thales war. Er zog seine Völker nahe zusammen, so daß der Haufen klein schien. Die Pferde ließ er zwischen ihm und dem Feinde unter einer schwachen Bedeckung grasen. Die Räuber, deren Begierden nichts, als die Furcht zähmen konnte, glaubten eine leichte Beute zu finden. Sie fielen aus ihrem festen Lager, und bemächtigten sich der Pferde begierig, deren Bedeckung entfloh; Nortimur selbst zog sich um etwas zurück.

Er sah die Usbecken nunmehr beschäfftiget, die flüchtigen Pferde zu haschen; ein jeder von ihnen hatte fast ein Pferd zu schleppen, das seinem unbekannten Meister ungern folgete, als Nortimur das Panier von Persien vorrücken hieß. Die Völker kannten das Wahrzeichen, und brachen mit verhängtem Zügel, und dem hirkanischen Säbel in der Faust, in die zerstreuten Usbecken. Sie fanden wenig Widerstand bey den mit ihrer Beute bemühten Feinden; die Räuber flohen nach der Enge, wodurch sie sich zurückbegeben mußten. Da sie aber fast nur einzeln durchkommen konnten, so wurden die meisten von den Persern der Rache aufgeopfert, die sie oft gereizt hatten, und wenige konnten entkommen.[281]

Der Feldherr rückte ihnen nach, und besetzte ihre besten Städte; denn nichts ist feiger, als geschlagene Räuber. Seine Absicht war nicht, Persiens Gränzen auszudähnen, aber er gewährete den bestürzten Feinden nicht eher den Frieden, bis sie ihm eine Anzahl ihrer Mursen zu Geiseln gegeben hatten, die sie alle drey Jahre gegen eine gleiche Zahl verwechseln sollten. Die Geisel wurden in die festen Plätze von Khorossan vertheilt, und genossen, ausser der Freyheit, sonst alle Mildigkeit von Seiten der Perser. Usong wollte versuchen, ihre Herzen zu gewinnen, und es gelang ihm bey vielen.

Dieweil Persiens Ehre vom Nortimur behauptet wurde, und Ismael den beschäftigten Eifer eines herzhaften Jünglings mit dem Ruhme sättigte, den er durch seine Tapferkeit und Kriegswissenschaft erwarb, wurde die schöne Eudoxia getraut, und verließ Schiras. Ihr Haus setzte sich zu Venedig, und ihre Töchter18 vermälten sich nachwärts in die edelsten Geschlechter der Republik. Usong beschenkte die Schwester seiner Gemahlinn mit einer Freygebigkeit, die seiner würdig war: und als Ismael frohlockend zurück kam, waren alle Vorwürfe seiner Leidenschaft entfernet.

Usongs vornehmstes Geschäffte war nunmehr der Unterricht, den er für seinen Thronfolger selbst aufsetzte,[282] und davon er eine Abschrift bey jeder der vier Abtheilungen der Staatsverfassung niederlegte, auf daß das Reich wissen möchte, was Usongs Staatsregeln wären, und auf daß Ismael erwarten müßte, man würde seine Regierung gegen die Räthe seines großen Ahnherrn halten, und so von ihm urtheilen, wie er diese Räthe befolgen würde. Ich habe kein Geheimniß, sagte der edle Usong: möchte doch jeder Perser in mein Herz schauen, und die Triebe einsehen, die es lenken! Die vornehmste Urkunde hatte er sich vorgenommen, dem Ismael bey einer Feyerlichkeit zu übergeben, die in seinen Gedanken schon festgesetzt war: sie war von Usongs eigener Hand geschrieben, und sie enthielt wesentlich, was man in diesem Auszuge lieset.[283]

Quelle:
Albrecht von Haller: Usong. Reutlingen 1783, S. 234-284.
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