(LIV.)
Der unchristliche Gerhaber.

[193] Daß man die Gerhaber von gern haben / die ihrer Pflegkinder bestes suchen / benamet / hat Fructolus / dessen wir in vorhergehender Geschichte gedacht / mit seinem Exempel erwiesen. Wie es ferner mit Laureau / Fortunata / Octavia und Montor ergangen / wollen wir in folgender Erzehlung / under veränderten und besser schicklichen Titel ausfindig machen.

2. Nach den Montor wider zu völliger Gesundheit gelangt / hat er erfreulich verstanden / daß sich Laureau mit Fortunata vermählet / die gleichsam mit einem Blutbach geschiedene adeliche Häuser vereiniget / und deßwegen nicht unterlassen beede neue Eheleute zu besuchen / ihnen alles gesegnetes Wol ergehen anzuwünschen / und Laureau als ein Erretter seines Lebens zu ehren. Er bespricht sich mit Octaviana deß Laureau[193] Basen / und schleust aus dem Band der Höfligkeit gleichfals eine ehliche Verlöbniß / mit einer ehrlichen und beeder theils Stand gemästen Außsteure.

3. Montor war mit Fructulo wol bekannt / und mit vertrauter Freundschafft zu gethan / deßwegen er sich auch bemühet / diesem eigennutzigen Gerhaber den Kopf zu recht zu setzen / und in seiner Pfleglinge Verheuratung einwilligen zu machen: aber vergebens / und hat nicht viel gefehlet / daß diese beede nicht von Worten zu Streichen kommen. Gute Wort wolten so wenig statt finden / als das Honig in Geschwere und Eyterbeulen / welche dardurch erhitzet und gefährlicher werden. Alle andre Befreunde betrachteten diese Heurat als eine Schickung Gottes / und erfreuten sich über den getroffenen Frieden beeder Geschlechte / sagende: Daß Fortunata ihr Gelübd vollzogen / indem sie den gefreyt / der ihr Laureau Kopf gebracht. Fructulus aber hatte ihr Vermögen in Handen / und war / wie gesagt / ein solcher Gerhaber / welcher seiner Pflegtochter bestes gesucht / und gern gar gehabt hette.

4. In dem nun Fructulus den tapfern Laureau nicht mehr vor die Klingen fordern lassen darf / weil er bereit einmahl mit ihme und seinem Vatter gefochten / bestellet er / durch grosses Versprechen und kostbare Belohnung / einen Koch / der sich in Laureau Dienste begeben / und ihm mit Gifft meuchelmörderischer Weise hinrichten sollen. Dieses erkundschaftet Montor / und warnet Laureau; bringt auch die Sache mit scharffer Bedrauung dahin / daß der Koch solches vorwesende Bubenstück bestehet / und desselben Anstiffter bekennet. Laureau will sich an diesem Meuchelmörder nicht rächen / sondern schickt ihn Fructulo wider zu / welchem er / seinem Vorgeben nach / entloffen / mit Bitt ihn mit gebührlicher Straffe anzusehen. Fructulus sagte / daß ihme dieses alles unwissend / und von dem Koche auf ihn erdichtet worden.

5. Als nun dieses Stücklein mißlungen / besinnet Fructulus ein anderes / und stellet sich gantz freundlich / mit Bitt / seine gewesene Pflegtochter wolte zu ihm kommen / ihn berichten / was sie für Ursach ihren Feind zu heuraten / und weil[194] die gantze Freundschafft in solche Verlöbniß gewilliget / wolle er solche auch für angenehm halten / Rechnung thun / und ihr Vermögen außhändigen. Ob nun wol Laureau nit gerne darzu verstanden; wolte er doch solche einige Vermittlung deß Friedens nicht ausschlagen.

6. Fructulus empfähet also seine Pfleglinge freundlich / lässet sie aber in seinem Hause in Verhafft nehmen / und in eine Kammern versperren / weil sie wider seinen Willen zu ehlicher Verlöbniß / und derselben Vollziehung geschritten. Als solches nach wenig Tagen Laureau in Erfahrung gebracht / und eben dazumahl an einem Fieber gelegen / hat er sich so sehr ergrimmet / daß das Fieber zugenommen / und er fast aberwitzig zu reden angefangen: massen deß Menschen Haupt wie ein Uhrwerck / dessen Räder (wann sonderlich das Hirn rein / und die Gewerbe zart und klein sind / leichtlich in stecken oder andre Unrichtigkeit kommen können.

7. Zu diese Unglück fügte sich / daß Fortunata sich schwanger befande / und von Fructulo so viel stränger / (als welcher den Baumen und die Frucht haste) gehalten wurde. Dieses Gerhabers unchristliches Verfahren konte Montor nicht verborgen seyn / der durch Beschenckung so viel bey der unschuldig gefangenen Hüterin zu wegen brachte / daß sie bey Nachts erlassen / unn Laureau zu geführet werden können; darüber er so sehr erfreut / dz seine Kranckheit sich also bald zu einer Besserung geschickt / unn ist also nach wenig Tagen widerū genesen.

8. Fructulus sendet Fortunatæ eine Rechnung über seine Verwaltung und getragene Vormundschaft / in welcher / wie leichtlich zu erachten / so gewissenhafft / als zuvor in andern Stucken verfahren: Doch war Laureau damit zu frieden / der Hoffnung / einmal von diesen losen Mann zu kommen / welchen er wol Gerichtlich fürnehmen / und zu mehrer Darlegung hette anstrengen können: Er liesse sich aber in diesem Stuck gütlich finden / und seinen Zorn mit der lieben Sonnen untergehen. Weil ihn auch Fructulus mit Fortunata zu Gaste gebetten / verhoffte er diesen seinen Feind mit Freundlichkeit zu gewinnen / und mit Wolthätigkeit zu verbinden.[195]

9. Wie das Feuer niemals in Wasser / und das Wasser / ohne Wunderwerck / nicht in Feuer verwandelt wird; also werden sich die Flammen selten mit den Bösen in beständiger Freundschafft befinden. Fructulus hatte eine noch viel unchristlichere That / als bißhero zuverüben / Anstellung gemachet / nemlich diese. Unter das Zimmer / in welchem Laureau und Fortunata zu Tische sitzen solten hatte er etliche Tonnen Pulver verborgen / willens solche anzustecken / und sich nach verübter Rache mit der Flucht zu retten.

10. Dieses erkundschafftet Montor durch deß Verräthers Haußgenossen / zeiget es so bald Laureau an / und warnet ihn für bevorstehendem Schaden / welcher aber nit unterlassen / mit seinen andern Befreunden zu erscheinen / und sie vor der Mahlzeit dahin zu führen / wo das Pulver verborgen. Als nun solches schädliche Vorhaben entdecket / hat Laureau gebetten solches verschwiegen zu halten / und ihm zu verstehen gegeben / in was unwiderbringliche Gefahr er sich und jhn samt seinem gantzen Hause gesetzet / da er doch böses mit gutem zuerwiedern / und sein guter Freund seyn und bleiben wolle. Also kan ein Großmütiger mit Wolthaten rühmlichste Rache üben.

11. Hierbey ist es nicht verblieben / sondern Fortunata muste noch mit einem Fußfall den ungetreuen Gerhaber üm Verzeihung bitten / daß sie ohne sein wissen und einrahten sich in eheliche Verlöbniß eingelassen; mit Vorwendung der verblenden Jugend und blinden Liebe / etc. Mit was Bestürtzung und Verwirrung deß Gemüts Fructulus solches angehöret / ist leichter zu gedencken / als zu beschreiben. Wie das Bley dem Feuer eine Zeitlāg widerstehet / unn hernach plötzlich zerschmeltzet; also war auch dieses Fructoli hartes und schweres Hertz. Er muste seine Boßheit durch solche wolthätige Freūdlichkeit überwinden lassen / und sein erkanntes Unrecht bitterlich beweinen; und das Leben anders nicht erwünschen / als diesen jungen Eheleuten redliche und angenehme Dienste zu leisten / nach seinem Vorgeben.

12. Dieser Fructulus hat auch mit seinem Exempel gelehrt / daß die betrügliche Bubenstücke nicht lang dauren /[196] sondern derselben Stiffter zu Schanden machen. Alsbald darauff dieser unchristliche Gerhaber ohne Notherben gehlinges Todes verstorben / hat Fortunata Laureau sein Gut auch ererbet / welches er mit den ihren zu vermehren / verhofft / in dem er ihren Tod verursachen wollen / und noch auf viel lange Jahre seine Hoffnung vergeblich angeordnet hatte.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CXCIII193-CXCVII197.
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