(LXIV.)
Der Tugendfreyer.

[229] Die Liebe nennet man ins gemein ein Verlangen der Schönheit / welche theils in dem Gemüth bestehet / und fast Englisch oder über irrdisch ist; theils den Leib betrifft und fast Viehisch kan genennet werden. Menschlich aber ist beedes den Verstand und den Leib zugleich zu lieben. Solches Verlangen ist gleich dem Geitz / der sich mit Geld niemals ersättigen lässet / vnd je mehr er erlangt / je mehr er haben will; ja die Liebe gegen eine Verständige Frau / nimmt mit zuwachsenden Jahren nicht ab / sondern vermehret sich allein: Die Schönheit deß Leibs aber kan leichtlich ein Fieberlein zu Grund richten / daher der Spanier Sprichwort wahr Quien se casa por amores, buenas noches malos dias.


Gute Nächt und böse Tage /

Bringt der armen Schönheit Plage.


2. Dieses hat zum theil erfahren eine Jungfer zu Angers / welche wir wegen ihrer übertrefflichen Schönheit Helenam nennen wollen / weil sie die Ursacherin vieler Flammen in ihrer Buler Hertzen / die sie als eine irrdische Göttin gleichsam angebett / und auff alle Weise verehret. Antonin / Prosper / Jovian und noch etliche andre warteten dieser Helena auff / und vermeinte ein jeder Pariß zu werden / wann sie sich nur hette wollen entführen lassen. Doch liebten diese alle nur den äusserlichen Schein der Schönheit / wie alle fleischlich gesinnten Freyer.

3. Heliodor ein armer doch tapfferer Jüngling / hatte so viel Verstand / daß er sich bey Helena angenehmer / als alle die andern machen konte / und betrachtete dieser sonderlich ihre Tugend und guten Sitten / welche der Grund einer beständigen Liebe seyn sollen. Ob nun wohl Heliodor ärmer / als alle die andern / wurde er doch von Helena mehr geliebet /[229] wie gesagt jene liebten sie wegen Schönheit jhres Leibes; dieser aber wegen der Schönheit ihrer Tugend / welches Helena gar wol erkante.

4. Hierüber führte sie nun viel schöne Gespräche / die schärfsten Pfeilen in deß kleinen Bogen Schützens Köcher genennet werden. Als dieser Hertz besagter massen in der Wahl schwebte / und sich auff Heliodors Seite neigte; fügte sich / daß ein Regen vom Himmel diese schöne Blume welck machte; Ich wil sagen / daß Helena ein gefährlicher Fluß fället / als eben Antonin von ihren Freunden zu einem Ehegatten / als daß güldene Kalb / welches sie ehren und lieben solte / außerlesen worden. Darzu wolte Helena nicht verstehn / sondern lieber einen armen Mann haben / der reich werden könte / als einen reichen / der durch ein leichtfertiges Leben verarmen möchte.

5. Besagter Hauptfluß nun fühle der schönen Helena auf die Zahne / daß die fordern außfielen / und ihre Lippen so groß auffgeschwollen / daß sie ein fast ungestaltes Angesicht bekame. Diesen Verlust ihrer Schönheit erdultete sie mit grosser Gedult / ob sie wohl sahe / daß ihre Liebhaber Urlaub hinter der Thůr nahmen / und sich anderweit versahen; wie die Mucken auß einer kalten Küchen entfliehen / und sich zu dem Goldhönig wenden.

6. Also schauet ihr Jungfrauen / wie gar nichtiges Nichts eurer Buler Augen verblendet. Eure Schönheit ist das Liecht / um welches diese Schnacken herum schwermen / so lang es brennet: Ist es durch einen ungefähren Wind außgeleschet / so verlassen sie das Liecht / und machen sich darvon. Dergleichen Wanckelmut werden auch die Weibsbilder beschuldiget / welche doch nit so sehr auf der Männer Schönheit / als Stärcke und Höflichkeit sehen. Dahero Syreno über seine Diana klagt.


Wie soll ich doch vergessen

Daß sie an diesem Rand

ist neben mir gesessen

und hat mit eigner Hand:

Viel lieber Tods erbleichen

als von der Treue weichen

geschrieben in den Sand?

Wer solt der Treue trauen[230]

Die gibet Wort und Pfandt

Die läst Verschreibung schauen

Von Liebgelobter Hand?

So leichtlich kan zerstieben

das / was ein Weib geschrieben

in weich entwichten Sand.


7. Die Aertzte wendenten allen Fleiß an / der Helena ihre vorige Schönheit wider zuwegen zubringen / aber alles umsonst: Doch hat sich Heliodorus nicht lassen wendig machen / und sie von den Befreunden / als einen köstlichen Tugendschatz mit vollen Freuden erhalten.

8. Diese beede Vertraute haben brünstig einander geliebet / und so viel beständiger / weil sie ihre treue Liebe auf nichts unbeständiges / welches der Zeiten Raub unterworffen / gegründet ware. Also muß denen / die Gott lieben / alles zum besten kehren / und die zu ersten das Reich Gottes suchen / muß das andere alles zufallen.

9. So bald nun Helena schwanger worden / hat sich die Geschwulst in ihrem Angesicht verzehret und als sie zum zweitenmahl darnider kommen / ist sie zu ihrer ersten Gesundheit völlig gelangt: Daß also Heliodor mit seiner doppeltschönen Ehegattin wol vergnügt in behagen lebte.

10. Nach dem diese verdunckelte Sonne in vollem Schein widerum erschienen / hat sie vielfältige Anbeter gehabt / welche sie auch mit grossen Beschenckungen ehren wollen; solche aber hat sie verächtlich zurucke erwiesen / daß eine solche Festung auch durch keinen Esel mit Gold beladen zu überwältigen.

11. Ihre Abschlägliche Antwort und häußliche Arbeit / benebens der Tapfferkeit ihres Manns / haben endlich alle diese Liebsmucken von dem Hönig vertrieben / daß keiner Gelegenheit übels mit ihr und von ihr zu reden Ursach gehabt. Beede wurden von andern geneidet wegen ihres Wolergehens / und wann man jemand einen gesegneten Ehestand wünschen wollen / hat man gesagt: Euch ergehe es / wie Heliodor und der schönen Helena.

12. Also hatte die Tugend nach langem streiten den Obsieg / da hingegen das Laster über kurtz oder lang muß zu[231] Schanden / und wo nicht zeitlich hier / doch dorten ewig abgestraffet werden. Die Tugend giebet ein tügliches End / das Laster bleibet ein unentberlicher Last.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCXXIX229-CCXXXII232.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon