(LXV.)
Die geitzigen Sachwaltere.

[232] Jenes Thier / welches der Prophet gesehen / mit drey Reyen Zähnen / das einen grossen Theil der Welt verzehret / bildet etlicher massen die Geitz- und Geldsüchtigen Rechtshändler / welchen wenig entfliehen / daß sie nicht von ihnen solten gebissen oder verschlungen werden. Es ist leider die Gerechtigkeit / bey unsrer Zeit ein Gewerb / welches ihrer viel durch die ungerechte Mittel nehret / und in dem man einem jeden daß seine zu urthelen vorschützet / nimmt man was ihm Gott gegeben. Jener sagte / daß die Gerechtigkeit ein Netz für den Augen / ein Goldwage in der rechten / und eine Angelruten in der lincken / mit welchen sie Häuser und Landgüter fische.

2. Der Soldat nimmt von seinen Feinden / was er in der Plünderung findet / und hat recht darzu / weil er Leib und Leben / ja seine Seele in Gefahr setzet: Der Sachwalter aber nimmt von seinen Freunden / was er ohne Recht erschreibt / und mehr als er erfindet / in dem er seinen Gewaltgeber mehrmals in grosse Schulden stecket / und das Ey isset / in dem eß ihme die leeren Schalen der Hoffnung überlässet. Keine Plünderung ist so arg / als diese / welche unter dem Mantel der Gerechtigkeit verübet wird.

3. In der Normandia in Franckreich war eine Hauptkirchen mit reichen Einkommen versehen / derselben Bischofliche Stelle aber war strittig / ob sie solte von dem Papst oder von dem Capitel vergeben werden. Das Capitel erwehlet einen in Namen deß Königs auß ihren Mitteln; Ein andrer erhält eben solches Bischthum vō Rom auß. Diese beede kommen darüber in grosse Rechtfertigung / welche sich sechs Jahr lang verzögerte / und ist für unterschiedlichen Parlamenten rechthängig gemachet worden.[232]

4. Vor Zeiten sind den Bischoffen und frommen Geistlichen grosse Güter zu gewendet und verschaffet worden / nit daß sie weltliche Herren seyn / und mit Fürstlichem Pracht Hof halten solten; sondern daß sie die Kirchen unterhalten / armen Leuten darvon Gutes thun / und die tüchtige Jugend solten zu dem Studiren und freyen Künsten aufferziehen lassen. Nach dem sie aber solche Güter theils mißbraucht / hat Gott das Amt von ihnen genommen / daß viel nicht mehr Haußhalter seyn können. Dieser beeden streitenden Bischoffe Rechtsache war nach sechs Jahren so wenig geendet / als wenig inzwischen die Einkunfften ertragen.

5. Der nun / welchen das Capitel erwehlet / wolte sich nicht länger in dem Rechtsgang an dem güldnen Faden lassen herum führen / wie Theseus in dem Cretensischen Irrgarten. Damit er aber dem Capitel wegen der Strittigkeit mit dem Stul zu Rom / nichs begeben möchte / hat er sich der Wahl wider begeben / und ist ein andrer erwehlet worden / welcher sich mit dem von Rom gegen einem Stück Geldes verglichen damit er auch seiner auffgewandten Unkosten wider habhaft worden.

6. Das Feuer und das Wasser / der Hagel und Donner thut so grossen Schaden nicht / als die Geitzigen / ungewissenhaffte und vermessene Rechtskrämer / welche die Leute in Friedenszeiten außbeuten / mit ihren Federn-Spieß an den Bettelstab jagen / und zu unsterblicher Feindschafft reitzen und verhetzen. Das Recht und die Gerechtigkeit ist wie das liebe Korn / welches uns die beste Nahrung gibet; wann aber das Getraid faulet / so wird es in das ärgste Gifft verwandelt; Also wann die Gerechtigkeit in Ungerechtigkeit verkehret wird / durch gewinnsichtige Zanckdichter / so vergifftet sie dann das gantze Land. Die Gottsfürchtigen unn Gewissenhaffte-Rechtsverständige / helffen eine Sachen vergleichen / und rathen zu Fried und Einigkeit / wie die bösen zu Unfried und Weitläufftigkeit. Zu Heidelberg ist ein Doctor vom Churfürsten Friederich der Statt verwiesen worden / daß er einer rechthängigen Sache Vergleich gehindert.[233]

7. Es fraget einer seinen Schrifftsteller / ob seine Sache gut were: Ja / sagte er / ich lasse mir nicht leyd darbey seyn: Die Sach ist gar gut. Nach dem er nun derselben verlustiget worden / hat er seinen Mann wider erinnert / der erstgemelten Worte. Ja / versetzte er / die Sache ist für mich gut gewesen / dann ich habe / wie ihr wist / viel darbey verdienet / und war mir nicht leyd / weil ihr mich bereit wohl bezahlt gehabt. Liese also den armen Mann wider gehen / gleich wie ein Zahnbrecher / der gesagt / die Salbe helffe gewiß; wo nit in den Krancken doch ihn den Gesunden / der die Salbe verkaufft.

8. Ein halsstarriger / eigensinniger Kauffmann hatte einen verzweiffelten bösen Handel / welchen er auß Neid und Boßheit gegen seinem Feind hinauß führen und durchdrucken wollen. Der vornemste Sachwalter oder Advocat wolte ihm nit dienen / weil keine Ehre darbey einzulegen; doch verguldete ihm der Kauffmann die Hände so wol / daß er ihm das Wort sprache / und den gegenseitigen Anwalt mit viel hönischen Reden durchzoge. Der Gegner gibet seinem Wortsprecher eine stattliche Verehrung / er solte sich nicht lassen weich finden / und die angeführten nichtige Gründe mit der Warheit umstossen / welches er auch so meisterlich gethan / dz er d' Kläger mit Abtrag der Schaden / und einer grossen Geltstraffe verlohren.

9. Deß beklagten Anwalt kame den andern Morgen zu ihm / sagend: Bruder / du hast mir gestern eine gute gegeben. Der klagende Sachwalter wolte sich entschuldigen / der ander aber bedanckte sich vielmehr / und erzehlte / daß er von seiner Parthey mehr empfangen / als die Sache angetroffen / weil er seine Spottreden mit schänden und schmähen widerfochten. Also waren diese gute Freunde / wie zuvor / und wolte Kläger auß dieser Sache noch mehr Geld lösen. Wie aber?

10. Er fügte sich zu seinem Kauffmann / der sich bey Verlust der Sachen / doch vergnügte / weil er seinen Feind gleichwohl für Gericht herum gezogen / viel versaumen machen / und sein Mütlein gekühlt / als er verstanden / wie er seinen Wortsprecher beschencken müssen. Ob er nun wol der Sache verlustiget worden / begehrte doch sein Sachwalter[234] Erstattung seiner Ehre / welche er in seiner bösen Sache vernachtheilt / und nöthiget den Kauffmann / daß er sich / gegen einer grossen Summa Geldes mit ihm vergleichen müssen / und wahr gemacht / daß die Narren und Halßstarrigen machen die Gelehrten reich.

11. Dieses Wort Halsstarrig ist hergenommen von denen / welchen die Rede in dem Halse also erstarret und erhartet / daß sie das Haupt noch neigen noch wenden können / und wird gebraucht von denen Klüglingen / so ihres eignen Sinnes beharren / und sich noch neigen noch wendig machen lassen / biß sie mit Reu unnd Leid ihre Thorheit erkennen / und sagen müssen: ich hab es nicht so gemeinet.

12. Ein solcher Zungendrescher / sagte auff eine Zeit / daß Gegentheil seine Sache mit Geschenck und Gabe / (welche auch Gifft genennet werden / weil sie stets das Recht vergifften und tödten) auswürcken wolle / etc. Als er nun hierüber bespracht / und zu sagen angestrenget worden / wer dann Geschencke genommen / hat er geantwortet / daß der Gegentheil ihme etliche Ducaten angebotten / er solte auff seinem Wege seyn / hette sie aber nicht angenommen. Solches war herum gedreht / dann er erstlich Richter und Schöpffen beschuldiget / und es hernach auf sich gezogen. Die Gab hatte er nicht genommen / wie ein Dieb / aber angenommen / als von einem Bekanten und Freunde. Es bleibet also darbey / daß die Geschencke so vermessen / daß sie den schlaffenden Richter auffwecken dörffen / seine Augen / wann er wachet / zu verblenden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCXXXII232-CCXXXV235.
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