Send-Schreiben.

Den grossen Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte betreffend.
Edler und Ehrnvester.

Hochgeehrter / Großgůnstiger Herr Gevatter: Es ist E.E.E. ohne einiges Beybringen / wol bekant / daß der Mensch / wann er zu etwas gutes gelangen solle / zu demselben durch Lehrhaffte Anweisungen muß angefůhret werden. Wie E.E.E. in dero herauß gegebenen unterschiedlichen Schrifften stattlich dargethan.

Es haben aber verständige Männer allezeit darfůr gehalten; solche Lehrsame Anweisungen seyen noch viel nachdrücklicher und beweglicher / wann sie mit vorgegangenen Thaten bescheinet und gleichsam außgebildet wůrden.

Schlagen wir die Heilige Schrifft auff; so finden wir ingleichem hin und her viel von Exempeln: welche wann sie gut sind / uns zur Nachfolge; wann sie aber böß sind / vns zum Abscheu fůrgestellet werden.

So man fromm ist; bringts ewiges Lob: denn es wird beede bey Gott und den Menschen /[1] gerůhmet: wo es ist; da nimt man es zum Exempel an: sagt der redliche Jůde / Philo, in seiner Weißheit. IV. 1. 2.

Solches Trůbsal ließ Gott ůber Tobiam kommen: daß die Nachkommen ein Exempel der Gedult hätten / wie an dem heiligen Hiob: stehet in den Büchlein Sirachs / II. 12.

Der fůrnehme Schrifftgelehrte Eleasar / ein betagter / und doch sehr schöner Mann / sagte / gleich fůr seiner Marter: Ich will jetzt frölich sterben / wie es mir alten Mann wohl anstehet / und der Jugend ein gut Exempel hinter mir lassen: daß sie willig und getrost / um deß herrlichen Gesetzes willen / sterben: I.B. der Maccab. VI. 26.

Von der standhaftigen Mutter der sieben Söhne / welche sie unverzagt / wegen der Göttlichen Warheit hinrichten liesse / lesen wir in dem folgenden VI. Cap. v. 20. Es war ein grosses Wunder an der Mutter / und ist ein Exempel / das wol wehrt ist / daß mans von ihr schreibe.

Von dem freywilligen vnd reichen Allmosen der Corinthier schreibet der hochverdiente Heydenlehrer Paulus: Euer Exenpel hat viel gereitzet / II. Cor. IX. 2. von sich selber setzet er: Mir / fürnehmsten Sünder ist darum Barmhertzigkeit widerfahren: auff daß an mir fůrnemlich Jesus Christus erzeigete alle Gedult / zum Exempel denen / die an ihn glauben solten / zum ewigen Leben. Tim. I. 15. 16.[2]

Der Apostel Jacobus vermahnet die hin und her zerstreuete zwölff Geschlechte Israel: Nehmt meine liebe Brüder / zum Exempel deß Leidens und der Gedult / die Propheten / die zu euch gered haben / in dem Namen deß Herrn: V. 10.

Der liebliche Hauß-Zuchtlehrer Sirach sagt Befehlsweise / von allen solchen guten Exempel ins gemein: Sehet an die Exempel der Alten / unnd mercket sie: Wer ist jemals zu Schanden worden / der auff Gott gehoffet hat? II. 11.

Von den bösen Exempeln / sagt er also: Die sich an Huren hängen / werden wild / kriegen Motten unnd Wůrmer zu Lohn / unnd verdorren / den andern zum mercklichen Exempel XIX. 3.

Von dem hochmůtigen / und zu letzt an den liechten Galgen gehängten Haman lieset man in den Stůcken Esther / V. 23. daß er ein Exempel sey / wie Vntreu gestraffet werde.

Der wolgeprůfte Apostel Petrus schreibet; GOtt hatt die Stätte Sodoma und Gomorra zu Aschen gemacht / umgekehret und verdammt: damit ein Exempel gesetzt den Gottlosen / die hernach kommen wůrden: II. Ep. II. 6. welches der treue Judas widerholet / in seinem Sendschreiben / v. 7.[3]

Von den Hartnäckigen und unglaubigen Juden erinnert vorgedachter Paulus: So lasset uns nun Fleiß thun / einzukommen zu dieser Ruhe: auff daß nicht jemand falle in dasselbe Exempel deß Vnglaubens: Ep. an die Ebr. IV. 11.

Weil dann die Exempel / auff beeden Seiten / so einen mächtigen und kräfftigen Nachdruck haben: Als haben E.E.E. eine sehr löbliche und nůtzliche Arbeit verrichtet / in dem sie auß dem alltäglichen Menschlichen Leben / viel nachdenckliche fröliche und traurige Exempel / so sich theils zu unsrer Vätter / theils zu unsren Zeiten begeben (welche sonst gemeiniglich in Wind geschlagen werden) zusammen gesammlet / und dieselbige zu fruchtbarer Beobachtung / jetzo ans Tagelicht kommen lassen.

Ich trage keinen Zweiffel / gleich wie E.E.E. kein anders Absehen hat / dann dem Nechsten nach allen Kräfften zu dienen: Also werde es auch derselbe / mit danckbarem Nachrum / stetig erkennen: wie denn gegen E.E.E. ich mich / meines Orts / zu aller Můglichkeit / schuldigst befinde. Empfehle hiemit E.E.E. Gottes vätterlichen Obhut / zu langwirigen erwünschtem Wolergehen. Geschrieben den 21. Brachmonats 1648.

Johann Michael Dilherr

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. I1-IV4.
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