(LXXXIV.)
Der verlohrne Sohn.

[304] Die verständigen Gesetzgeber haben jederzeit dahin getrachtet / daß sie das Volck nicht nur durch Furcht und Zwang / sondern auch durch die Ergetzlichkeit in schuldiger Gebür erhalten. Unter solchen zulässigen Gelieben ist gewesen das Freuden und Trauerspiel / welches den Lesens- und Schreibens unerfahrnem Pöfel für Augen stellet / und in das Gedächtniß drůcket / was sie sonsten noch hören wollen / noch verstehen können / massen das Exempel viel kräfftiger und mächtiger zu unterrichten ist / als die blosse Lehre. In Hispanien / Welschland und Franckreich ist der Schauplatz zu solchem Ende im Gebrauch / und wird zu Zeiten auch mißbraucht / daß mehr Ergerniß als Guts darauß erfolget / welches kein Verständiger wird gut heissen. Daß aber auch Gutes darauß erfolge / wann sonderlich der Inhalt auß H. Schrift genommen (wie wir dessen an Job und Tobia / der Ebreer Trauer- und Freudenspiel so uns übergeblieben /) wird auß nachgesetzter Erzehlung zu erhärten seyn.

2. Sophron ein Frantzösischer Edelmann / war von seinem Vater / als der ältste und liebste Sohn zu Hause aufgehalten / ob er gleich die Jahre / in welcher man die Welt zu sehen / Belieben trägt / völlig erlanget. Nach seines Vaters tödtlichen Hintritt / hat er seine Mutter genötiget / daß sie ihme sein Vätterliches Erbtheil einraumen / und ihn ziehen lassen müssen. Also versilbert er das meiste / und lässet das wenigste zurücke / nimt seinen Weg durch die Lombardia in das Florentinische / und kommet nach Rom.[304]

3. Der Ort / die Lufft / die Speisen und das Getränck belustiget Sophron mit grosser Zufriedenheit / und sonderlich kostet er eine Frucht / welche wir Lotham nennen wollen / die ihn seines Vatterlands gantz vergessen machte. Die Frucht aber war so theur / daß er ihn das Essen gleichsam erhungert brachte. Ich will sagen / daß ihn die Schönheit einer Hofdirne mit frölichem Angesicht / zu einen Bettler gemacht. Er schreibt in Franckreich / er wolle sich zu Rom nieder / und in Dienste einlassen / man solte das übrige / so er noch zu haben / verkaufen / und ihme das Gelt zu wechslen / wie auch geschehen.

4. Sein letztes Vermögen muste gleichfalls in dem schneeweissen Bussen der Lotha verschmeltzen / welche vermeinte diesen reichen Herrn zu heuraten / und von ihrem Huren Zoll abzulassen. In gar kurtzer Zeit hat dieser verlorne Sohn Haab und Gut verlohren / und gedencket Lotham zu heuraten / welches ihme und allen Frantzosen keine geringe Schande gewesen / weil sie vermutlich das alte Handwerck würde fortgetrieben haben.

5. Der Frantzösische Gesandte / an den er befohlen / bemühet sich ihn zu bereden / daß er von unbedachtsamen und schändlichen Vorhaben abstehen solte / und bedräuet ihn mit der Gefängniß. Solcher nun zu entfliehen / raiset er mit Lotha nach Ferrara / von welcher Statt sie bürdig ware. Der Frantzösische Gesandte schreibt an den Päpstlichen Statthalter / und wird Sophron gleichfals Einhalt gethan / daß er mit der Verehlichung nicht verfahren konte / wie zu Rom.

6. Hierdurch werden sie nach Venedig / die Freystatt aller Hofdirne getrieben / aldar lassen sie ihre von langer Zeit hero vollgezogene Hochzeit / ehelich bestättigen. Zu Venedig ist es theur zu zehren / wann man sonderlich nichts gewinnet / wie dann Lotha ihre Nahrungs Mittel Sophron untergeben / und aus Franckreich Gelt erwartet / das nicht anderst als in Worten kommen konte. Lotha will / ihr Mann solte sie in Frankreich führen / er aber wuste / daß er mit einer solcher Gefertin seiner Mutter nicht willkommen seyn würde / und suchte allerhand Entschuldigung / sich solcher Raise zu entschütten.[305]

7. Sie ziehen beede nach Padua / und halten mit ihrem wenigen so kärglich Hauß / als ihnen möglich. Lotha machet Kundschafft mit etlichen Studenten / die ihr aber nicht viel geben konten / weil selbe allezeit lieber borgen als leihen. Also war Sophron blutarm vnn Hörnerreich / weil Lotha das alte Handwerk wider herfür suchen muste / vnd sich vnd ihren Mann dar mit zu ernehren; wie der Hund vnd das Schwein / so in dem Unflat fekt werden wollen.

8. Es begiebt sich aber / das etliche Schauspieler den verlornen Sohn spielen. Sophron ist vnter den Zusehern / suchend etlicher bösen Stunde zu vergessen. Er findet aber eine kurtze Abbildung seines Lebens / welche ihm so zu Hertzen gehet / daß er solchen auch in der Bekehrung nachzuahnen entschlossen / und deßwegen mit Lotha Rath hält; bekennend, daß er sein Vätterliches Vermögen alles verzehret vnd kein andere Hoffnung sehe / als die Barmhertzigkeit seiner lieben Mutter.

9. Lotha hatte keinen Lust mehr Franckreich zu sehen / vnd war fro daß ihr Mann die Neuen Kauffleute ihrer alten Waren durch seine Abwesenheit nicht verscheuete; ließ ihn willig ziehen / gegen dem Versprechen / daß er ihr Gelt zu machen / oder sie gar mit Einwilligung seiner Mutter abholen wolte.

10. Als Sophron nach Hause gekommen / hat ihn seine Mutter mit offenen Armen empfangen / in ihrem Hertzen einen heimlichen Fürsprecher für diesen ihren Sohn angehöret vnd sich bewegen lassen / daß sie ihme verziehen; vnd ihre Freuden-Thränen mit seinen Buß-Thränen vermischet. Ob nun wol seine Brüder scheel sahen / daß sie gegen diesem unartigen Sohn so gütig war / hat sie doch ihn zu Gnaden angenommen / und als er versprochen / der Lotha müssig zu gehen / seines bösen Lebens nit entgelten lassen.

11. Lotha hat sich inzwischen wider nach Venedig begeben / da die Weiber / wie in Platons Regiment / fast gemein sind / unnd ist kurtze Jahre hernach gestorben. Sophron / hat dessen durch etliche Freunde Nachrichtung erlanget / unnd sich gefreuet / daß er solches Schandbandes erlassen / zu der andern und ehrlichen Ehe schreiten können / welches[306] er auch gethan / und in selber sein Leben Christlich beschlossen.

12. Dieses Exempel lehret den Nutzen der Freudenspiele / in dem durch solches Sophron auß seinem Sündenschlaff / in welchem er seiner selbst nicht empfunden / und wider zu sich kommend / zu recht gebracht worden Wolte Gott alle ruchlose Weltkinder folgten diesem Sophron nach / und bereueten ihr sündiges Leben / weil es noch heute heisset / und die Gnaden-Thür offen stehet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCIV304-CCCVII307.
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