(XXVIII.)
Deß unbekanten Danckbarkeit.

[111] Wie die Danckbarkeit ein allgemeines Lob / welches alle Tugenden begreifft; so ist / wie Seneca vermeinet / die Undanckbarkeit das gröste Laster / welches alle Schandmahle bemercket. Die Großmütigen können leichter eine Unbilligkeit erdulten / als eine Wolthat sonder Widergeltung: Daher ein Soldat / dem Julius Cæsar das Leben geschencket / sich beklagt / daß er ihn genöthiget / Undanckbar zu leben und zu sterben. Die Wolthätigkeit ist ein so grosser Saamen / daß er auch in steinern Hertzen Frucht zu bringen pfleget; deßwegen etliche gewolt / man soll den Undanckbaren an dem Leben straffen / wie zu lesen in dem CCLXXX. Gesprächspiele. Die Danckbarkeit eines Unbekanten / welche wir zu erzehlen gewillet / ist so seltzam / daß man es mehr für ein Gedicht / als für ein Geschichte halten solte / wann solche in der Stadt Löven nicht genugsam bekant were.

2. Es ist nicht leichtlich gehöret worden / daß ein Kind drey Vätter gehabt / dieser aber von dem wir reden / hat einen natürlichen und zween Zieh- oder Pflegväter bekommen / solcher Gestalt: Zween Studenten zu Löven / von der grossen Stadt Gand bürtig / hatten sich auf besagter hohen Schule eine geraume Zeit aufgehalten / die Gesetze und das Recht zu studieren: Pflegten aber vielmehr ohne Gesetz und Unrecht zu leben / wie bey vielen noch der Gebrauch.

3. Diese so wir Nicer und Gangreich nennen wollen / hatten gewisse Nachrichtung erlangt / daß etliche andre von ihren Bekanten eine Wilprets Pasteten bestellt / welche ihnen die Magd des Pastetenbeckers um ein Uhr in der Nacht bringen solte / willens sich auf gut Studentisch lustig darbey zu erweisen. Nicer und Gangreich machten den Anschlag die Pasteten unterwegs aufzufangen / und den andern die Nachwart zu lassen; der Poß aber gienge wider sie hinauß.

4. Sie verwarten die Magd bey einem Eckhauß / da sie vorbey gehen muste / und nahmen von derselben ein in weisses Tuch eingehülltes schweres Stück / daß sie für die Pasteten /[112] in ein Serviet oder Handtuch gewickelt / angesehen / und tragen es nach Hauß / solche miteinander zu verzehren. Als sie nun die Beuthe beschauen wollen / finden sie ein schönes fast neugebornes Kind / welches vielmehr zu essen haben wolte / als zu essen taugen konte. Wer war bestürtzter als diese zween? Die Magd / welche ihnen dieses Pastetenkind willig gelassen / war nit mehr zu betretten: Sie fragen in der gantzen Stadt nach / wo dieses Wildpret möchte herkommen seyn; können aber nichts gewisses erkundschaften.

5. Entlich wollen sie das Kind / unter den Findlingen zu ernehren / aushändigen / man wil es aber nit annehmen / und machen sie sich verdächtig / daß einer oder der andre Vater darzu seye; wollen es aber doch nicht unerbärmlich Hungers sterben lassen / sondern es wird ihnen von J. Lipsio gerathen / sie sollen diesen Pflegling einer Ziehmutter anvertrauen / und für ihrer beeder Sohn auferziehen. Dieses thun sie / und haben den Schaden unverschulder Weise / wie auch das Gespött / aller die von solcher Pasteten sagen hören.

6. Nachdem nun diese Studenten wiedernach Gand ziehen musten / nahmen sie diesen ihren Sohn mit sich / und wolte ihn einer dem andern nicht überlassen / weil sie ihn mit gesamten Unkosten unterhalten / und das Kind gegen beede gleiche Liebesneigung verspüren liesse. Als Theodon (also haben sie ihn genennet / weil er ihnen von GOtt geschencket) grösser wurde / gab er zu erkennen / daß er von guter Art / und von keinen schlechten Eltern herkommen. Er lernet wol / hielte sich bescheidner als sein Alter mitbrachte / und weil ihn ein jeder bey sich haben wolte / werden sie endlich rähtig / den Knaben zu einem Kauffherrn zu bringen / und richteten auch solches mit gewissem Beding zu Wercke.

7. Theodons Herr handelte viel in Hispanien / und nam diesen Jüngling mit sich / daß er nach und nach die Kundschaft erlangt / und nach etlichen Jahren zu Lisbona / als seines Herrn Sachwalter / oder Factor zurucke verbleibt. In dem er nun die Handelschaft genugsam verstehen lernen / und sein Herr verstirbt / bringt er die Kundschaft an sich / und[113] gedencket sich zu verheuraten / wird aber von dem frühzeitigen Tod dahin gerafft / daß er kaumlich Zeit / den erlangten Reichthum durch einen letzten Willen außzutheilen.

8. Seine Verlassenschafft war zehen tausend Ducaten / welche er allen seinen Ziehvättern verschaffet / mit Bitt / daß sie 2000. Ducaten seinen Eltern geben wolten / im Fall selbe wiederum solten gefunden werden / welches aber nie geschehen / und er also unbekant / aber nicht undanckbar gegen seine Wolthäter verblieben. Also bleibet das Gute nicht unbelohnt / wie das Böse nicht ungestrafft.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CXI111-CXIV114.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.