(L.)
Die Phariseerin.

[171] Hütet euch vor dem Sauerteig der Phariseer / sagt unser Erlöser / welcher ist Heucheley / und eins Wolffshertz unter den Schafskleidern. Darum ist das Schwanenfleisch zu essen verbotten / weil es weisse Federn / aber ein schwartzes Fleisch hat / und jener Zöllner gange gerechtfertiget in sein Hauß / als er seine Sünde bekennet; der Phariseer aber / welcher sich seiner guten Wercke rühmte / hatte noch nicht ein Gebott völlig gehalten. Also wurde jenes Weib in deß Phariseers Hause / welche eine offentliche Sünderin / nicht verdammet / wie der Phariseer / der Christum geladen / daß er ihn fienge in seiner Rede / und bey sich selbst gesprochen: Wann dieser ein Prophet were / so[171] wüste er / wer und welch ein Weib das ist / die ihn angerühret / dann sie ist eine Sünderin: Ich aber / sagte er bey sich bin kein Sünder / sondern heilig und rein: Aber GOttes Gedancken sind nicht wie der Menschen Gedancken. Er kennet das Hertz / die Menschen aber den falschen äusserlichen Schein / wie an nachgehender Phariseerin zu ersehen seyn wird.

2. Es hatte sich Agathina / eine offentliche Metze zu Venedig / nach Verona erhoben / und alldar viel leibeigne Knechte durch ihre Schönheit erworben / unter welchen so wol fremde / als einheimische sich in ihrer Dienstbarkeit glückselig geschätzet / und ihren Reichthum vermehren helffen. Wann die Ehre in äusserlichen Schein und Ansehen zu suchen / hätte man keine ehrlichere Frau finden können / als eben diese / massen sie in Kleidern / Worten und Geberden ihre Handthierung meisterlich zu verbergen wissen.

3. Unter vielen Lastern hatte Agathina die Tugend deß vorbesagten verzweiflenden Spielers / daß sie den Armen viel gutes zu thun pflegte. Ob wol GOtt dergleichen unreine Opfergaben hasset / und einen Eckel darvor hat / so bitten doch die Armen für ihre Wolthäter / daß sie GOtt zu Gnaden wieder annehmen wolle; ich sage zu Gnaden / nicht aus Verdienste / dann sonsten die Gnade keine Gnade wäre.

4. Nachdem nun Agathina ihr sündiges Leben erkennet / und darvon abzustehen gewillet / füget sich / daß sie / wegen ihres Reichthums / einen ehrlichen Gesellen heuratet / weil sie wuste / daß sie der Buhler Anlauffen nicht abhalten würde können / als durch eine Mauren (verstehe deß Klosters) oder durch einen Mann / dem sie mit ehelichen Pflichten allein verbunden / und aller andrer müssig zu gehen gehalten seyn möchte.

5. Wie die Pferde / welche follesweis / die Wölffe erschrecket / allezeit scheu sind. Also hatte Agathina / so bald sie aus dem Rachen deß Höllenwolffs gerissen / und nun ein neues Leben angefangen / einen Abscheu vor aller Unreinigkeit /[172] und vertraute ihr Gewissen einem verständigen Beichtvatter / Namens Julian / welches diesen verlohrnen Groschen wieder gefunden / und das verirte Schaf zu der Heerde gebracht.

6. Ob sie bey solchem Zustande / ihrer natürlichen Neigung nach / viel reichliche Almosen in der Armen Hände verborgen / ist leichtlich abzunehmen / und war sonderlichen Anzeigen ihrer wahren Busse / daß sie allen äusserlichen Schein und Kleiderstoltz fahren lassen / sich still und eingezogen in Worten und Geberden verhalten / und alle Mannspersonen / ausser ihren Ehevogt geflohen; die Sünde und derselben Verdacht gäntzlich zu vermeiden. Wann die Raisenden spat auf sind / so eilen sie desto emsiger zu der Herberge. Agathina hatte ihre zuvor begangene ärgerliche und vierfältige schwere Sünden mit spater doch ernstliche Reue betrachtet / und den Tod täglich vor Augen gehabt / welcher der Weg ist zu dem himmlischen Vatterland / dahin sie mit brünstigem Verlangen söhnlich getrachtet.

7. Unter den Beichtkindern deß Vatter Julians waren auch Taciana / eine Adeliche / ehrliche und Gottsfürchtige Frau / wie sie darvor von jederman gehalten wurde / und dem äusserlichen Ansehen nach eine noch lebende Heilige war. So leicht es ist / der Menschen Augen zu blenden / so unmöglich ist sich für Gott dem Hertzenkündiger zu verbergen. Diese redete von täglichem fasten / und füllte sich mit besten Speisen an; sie lage auf ihren Knien zu beten / und hatte ihre Gedancken von den Worten entfernet; sie gabe Almosen / bestellte aber Zeugen und Trompeter darzu / die ihr Almosen rühmten für den Leuten.

8. Diese Phariseerin ärgerte sich an Agathina / weil sie wuste / daß sie zuvor an dem Hurenzoll gesessen / und sich dardurch bereichert. Sie konte sich nicht enthalten / ihrem Beichtvatter zu verweisen / daß er diese Sünderin aufnahm / und mit ihr zu reden sich entblödete; setzte auch darzu / daß er sich verdächtig / und selbst verwerflich machen würde. Julian[173] berichtet sie / daß er verpflichtet / die Irrenden auf den rechten Weg zu weisen / und (wie Eliasar dem Isaac) unsrem Heiland die Seelen zu zuführen / deren etliche weiß und reinlich / etliche schwartz und büssend / aber doch Gott angenehm / weil sie mit dem Blut deß Lamms abgewaschen und gereiniget worden. Christus were in die Welt kommen / die Sünder und Sünderin seelig zu machen / und nicht die Frommen / massen er auch solches erwiesen an dem Samaritanischen und Cananeischen Weiblein / der Purpurkrämerin / der Magdalena und vielen andern mehr.

9. Mit diesem Bericht war Taciana übel zu frieden / und danckte GOtt / daß sie nit wäre wie andre Leute / und machten ihr ein Gewissen / einen solchen Beichtvatter zu haben / der die Schanddirne vertheidiget / und sich vielleicht ihrer Sünden theilhafftig machte. Dieses war Muckensäugen und Kamelverschlingen / wie hernach folgen wird.

10. So bald Taciana der Agathina ansichtig wurde / gienge sie aus der Kirchen / wann sie zu beten niderkniete / so stunde sie hingegen auf / und setzte den Fuß ferne von ihr / daß Julian bewogen worden ihr zu zusprechen und zu bitten / sie wolte diese betrübte / und reuige Sünderin nicht mehr betrüben / und sich ja nicht heiliger zu seyn beduncken lassen / als unser Heiland selbsten / welcher sich nicht gescheuet mit den Sündern das Brod zu brechen / und sie mit seinen Gesprächen zu heilen / etc. Man solle die Sünde / aber nicht die Sünder hassen / nachdem sie ihr Unrecht erkennen / und Busse zu thun gewillet sind.

11. Dieses alles hat der Taciana Verdacht gemehret / daß es mit Julian und Agathina nicht recht müsse hergehen / deßwegen sie vorbesagter Verachtung / die üble Nachrede und falsche Verleumdung beygesetzet / und sie in der Stadt für eine Ehebrecherin außgeschrien / welches alles Agathina mit Gedult und Demut / als eine Bestraffung bevor verübten Ubels / ertragen.

12. Als einsten die beede einander nechst dem Beichtstul[174] begegneten / und Taciana nicht entweichen kundte / lässet sich Agathina gegen ihr vernehmen / daß sie erkenne die Schande / welche ihr nachgesagt were / und solche / vor ihrem Ehestand beschehen / nicht ablaugne; selbe aber nunmehr schmertzlich bereue / und an der Barmhertzigkeit Gottes keines wegs zweiffle. Deßwegen bittet sie / Taciana wolte ihr auch Gnade widerfahren lassen / und sie in dem Hause Gottes / in dem Bet- und Bußhause / soviel Christlicher Liebe würdigen / daß sie nicht wie biß anhero / sich ihrer Gegenwart entziehen / und sie / als eine verbannte Person / fliehen solle. Es were ja die Christliche Kirche ein Acker / darauf auch das Unkraut befindlich / ein Meer darinnen unterschiedene Fische / und ein Garten von guten und bösen Fruchtbäumen. Gott lasse seine Sonne aufgehen über gute und Böse / und halte kein Ansehen der Person / etc.

13. Agathina wolte diesem Gespräch nicht abwarten / und beförchtete / daß die Wort aus einem unreinen Munde / ihre reine Ohren befleckten / kehrte sich deßwegen von ihr / und drenget sich durch die Leute darvon. Die Heucheley unnd Gleißnerey ist ein Schmincke oder Anstrich / welches kurtze Zeit wäret / und die Personen / so solchen gebrauchen verächtlich und lächerlich machet. Die Warheit / welche nicht aus Christlicher Liebe gereget wird / kommet aus falschem Hertzen / und wird man uns messen / mit dem Maß / mit welchem wir andren messen.

14. Diese Phariseerin hatte den Scheffel ihrer Sünden erfüllet / und muste nun offenbar werden / was in Verborgen lage. Ihr Mann Vital war alt und reich / und hatte sie gefreyet / sonder andre Aussteuer / als ihre Schönheit / welche er mit allen Tugenden geschmuckt vermeinet / in dem sie sich mit falscher Gottesfurcht geschmincket / und wie die Sonnenblumen / ihre Augen zwar nach dem Himmel gerichtet / mit den Wurtzeln aber in der Erden verblieben.

15. Taciana Mann war alt / wie gesagt / hatte aber einen jungen Kutscher / welcher seines Herrn Mangel ersetzte.[175] Dieses Feuer konte nicht lange Zeit verborgen bleiben / man sahe etliche Funcken darvon scheinen / welche dem Vital / nach der Italianer Eifersinn / unter das Gesicht leuchten mussten deßwegen er sich vergewissern / und dieses Zweiffels / durch eine erdichte Raise entledigen wollen.

16. Der Mann ist kaum aus der Stadt / wie Taciana vermeint / daß sie nicht ihrem Kutscher / aus den Sprüchen Salomonis zugeruffen: Komm laß uns genug bulen biß am Morgen / und laß uns der Liebe pflegen / dann der Mann ist nicht daheime / er ist einen fernen Weg gezogen / und hat den Geltsack / wol gespickt / mit sich genommen / etc. Aber weit gefehlt.

17. Vital ergreifft diese Ehebrecherin in der Schandthat / und nöthiget Tacianam / daß sie den Kutscher selbst ermorden muß / nachmals zwinget er die Magd / welche zu diesem Handel geholffen / daß sie ihrer Frauen den Dolchen in die Brust stossen musste / und er durchsticht die Kuplerin / zeigt der Obrigkeit den gantzen Verlauff an / und wird aller Straffe erlassen.

18. Wie dieser Phariseerin Nam hierdurch offenbaret / und sie in der gantzen Stadt viel Nachredens verursachet / ist leichtlich zu gedencken / und wird noch heut zu Tage erfüllet / was Paulus von der letzten Zeit zuvor gesagt / daß darinnen kommen werden viel / die in Gleißnerey Lügenreder sind / Brandmahl in ihren Gewissen haben / Spötter / die in ihren eignen Lüsten wandeln / und den Schein haben / eines Gottsfürchtigen Lebens / aber die Krafft verlaugnen / etc. Aus welchen Worten leichtlich zu schliessen / warum GOtt so sehr zörne über die böse Welt / weil er nemlich einen Greuel hat an hohen Augen / falschen Zungen / an den Hertzen / die mit bösen Tücken umgehen / und den Füssen / die behend sind Schaden zu thun / welches alles zu unsrer Zeit für eine kleine oder keine Sünde geachtet wird.


Ende deß zweiten Theils.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CLXXI171-CLXXVI176.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Lotti, die Uhrmacherin

Lotti, die Uhrmacherin

1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.

84 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon