(CLXXXII.)
Der Raben Zeugschafft.

[307] Es ist eine nachsinnige Frage: Warum doch die verständigen Alten so viel auf das Vogel-Geschrey gehalten / (welches Gott verbotten / 5. Mos. 18. 10.) und sondre Leute bestellet / die Hüner gehalten / und von derselben Bezeugung / das zukünfftige vorgesagt? Die Ursache ist / daß sie vermeint / die Vögel unter dem Himmel und auf der Erden / haben eine genaue Verwandschafft mit dem Gestirn / wie der Han mit der Sonnen / welcher Aufgang er verkündiget / und daß die kleinen Hüner (so wie die Schwachen und Krancken die änderung der Planeten leichter spüren) eine Trägheit spüren lassen / wann der unfreundliche Saturnus oder der Mars die Sonne übel anblicket. Also sind die Krohen oder Däen Saturnische-Vögel / und wann sie dieses Gestirns ůbeln Zustand verspüren / begeben sie sich aus dem Wald / und bedeuten durch ihr Geschrey Hunger und Pestilentz. Die Raben riechen wo ein todes Aaß ist / darvon sie sich nehren können / und die Hunde spüren deß Wildprets und ihrer Herrn Fußtritte / welches uns Menschen zu erkundigen unmöglich.

2. Diese Vergleichung der Himmlischen und Irrdischen Sachen ist in vielen befindlich / und wird von den Alten einstimmig behauptet. Die Erdgewächse haben eine natürliche Fühlung / welche in ihren Ursachen verborgen ist / als der Maulbeerbaum schlägt nicht auß / es seye dann die Kälte vorüber / die Wundkräuter vergleichen sich mit der Waffen Spitzen / die Widergifft dienen gleich den Schlangen / die Lungenkräuter sind durchlöchert / etc. Alles aber was geschaffen ist / dienet Gott Rache zu üben wider die Bösen / wie wir aus nachfolgender Geschichte hören wollen.

3. Zween Rauber / die sich von andrer Schaden aus dem[307] Stegräif genehret / begegneten auf eine Zeit einem Kaufmann / deme sie nit allein abnahmen / was er hatte / sondern hinter den Busch führten / und damit er sie nit verrahten solte / ermordeten. Als er nun in Todesnöthen / und durch sein siehentliches Bitten nichts erhalten konte / rufft er die vorüber fliegenden Raben an / und bittet sie / daß sie doch diese Ubelthäter anmelden / und zu gebührlicher Straffe bringen wolten.

4. Die Raben fliegen schreiend fort / und geben dardurch gleichsam zu verstehen / daß sie solche Bitt gehöret / und zu rechter Zeit außrichten wolten. Die Rauber aber verlachten diesen Einfältigen / und furchten sich noch für Gott / noch für den Vögeln unwissend / daß er auch durch die geringste Thiere / als Mucken / Frösche / Omeyssen unn allerhand Ungezieffer straffen kan / wie an der Geschichte von Pharao / zu Mose Zeiten / zu lesen.

5. Drey Tage hernach sitzen diese zween in einem Wirtshauß / und verzechen miteinander den abgenommenen Raub massen übelgewonnenes Gut nit auf den dritten Erben kommet / und nach dem Sprichwort übel gewonnen / übel zerronnen: weil in solchem Gut der Fluch Gottes lang hernach / oder auch wol alsobald verspüret wird / daß solches kein Verständiger geschencket wünschen solte.

6. In dem sie nun / wie gesagt / frölich sind / kommen viel Raben / und setzen sich auf den Lindenbaum für dem Wirtshause mit einen solchen Geschrey / daß nit nur die zween Rauber / sondern auch alle / die es anhörten / darfür erschrocken; massen alles Geschrey der gantz schwartzen Vögel für unglückselig / und für ein böses Zeichen gehalten wird; hingegen aber andrer Farbe Vögel sollen glückselig seyn / wann sie sonderlich zu der rechten Hand deß / der sie höret / sitzen / oder fliegen.

7. Für diesem Galgengeschrey entsetzet sich der eine Rauber / sagend: Hör doch unsers Mannes Zeugen; Der andre lachte darüber / jedoch mit erblasten Angesicht / und scheute den Keller / der ihnen zu trincken gebracht / und es angehöret / von seinem Gewissen überwiesen / daß er unschuldig Blut vergossen / welches gegen den Himmel um Rache schreien würde.[308]

8. Der Keller meldete diese Rede seinen Wirt an; der Wirt wuste / daß vermittelst der Raben / ein Todter Leichnam / unserne darvon in den Wald gefunden / welches bereit sehr zerfressen / von der Obrigkeit einzugraben befohlen worden / und faste alsobald den Argwahn / daß diese Gesellen solchen Mord begangen.

9. Dieses wil er gleichwol der Obrigkeit anzeigen / weil ihm der Kauffmann bekant gewesen / und vormals bey ihm gezehret / daß er seinen Tod zu rächen / und dann den Weg zuversichern ursache / massen er von den Raisenden seine Nahrung suchen muste. Gibt deßwegen den Gesellen einen Trunck zum besten / und sendet inzwischen solches der Obrigkeit anzumelden.

10. Die Schergen kommen alsobald / und nehmen diese beede in Verhafft / sondern sie mit einander ab / und der Bannrichter verhöret sie / wie gebräuchlich / wer sie wären? Was ihr Gewerb? Wo sie herkommen / und hin wolten? Endlich / ob sie nit darbey gewesen / als ein Kauffmann auf die Taschen geschlagen worden? etc. Diese zween treffen zusammen / wie die alten Susannä-Männer / und verreden sich / daß man sie an die Volter wirfft / und die Warheit herauß zwinget.

11. Diese Gesellen bekennten / daß sie die Rache Gottes über sie verspürten / und ob zwar niemand bey der Mordthat gewesen / als die Raben / daß doch ihr Zeugschafft ihnen das Gewissen reg gemacht / und sie deß Abgeleibten Befehl / vermittelst Göttlicher Schickung / treulich außgerichtet. Diese zween haben also empfangen / was ihr Thaten wehrt waren / und sind lebendig gerädert worden / zwischen Genua und Liborno / einem Flecken / dessen Name der Erzehler vergessen /

12. Hierauß ist zu beobachten / daß von allen verborgenen Sünden zu verstehen / was dorten Salomon1 von den Verleumdern und Afterrednern der Könige saget: Die Vögel deß Himmels führen die Stimmen / und die Fittig haben / sagens nach. Wer will etwas verbergen für dem / der das Aug gemachet / und das Ohr geschaffen hat? GOtt ist allwissend / und erkennet auch unsere Gedancken / wie solten ihme seyn /[309] dann unsere Wercke verborgen seyn / daß Erste nicht zu verdienter Straffe / auf unerwarte Weise / solte ziehen können?

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Predig / 10/20.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 307-310.
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