(CLXXXIV.)
Der Fürstenlust.

[313] Das menschliche Leben wird füglich mit einem Gesang verglichen / in welchem vielmehr schwartze / als weise Noten sind / verstehe vielmehr Unglück als Glück zu ersehen ist. Man siehet / daß zu Zeiten in dem aufsteigen und absteigen etliche Stuffen übersprungen werden / daß viel Kreutzlein und harte b. (weh) darbey / daß die Stimme nit kan allezeit / auf den obersten Linien bleiben / sondern muß auch auf die untersten fallen. Dieses findet sich auch in nachgehender Geschichte / da ein Fürst sich als einen Componisten erweiset / der ohne die Lehrsätze der Kunste ein gar übelklingendes Intervallum, und einen seltzamen Sprung gemachet.

2. Diese Geschichte nennen wir den Fürstenlust / weil etliche Herren sich kützeln / und zu lachen wie Nero / sind begierig der unmöglichen Sachen1 / und suchen ihr Belieben in wunderlichen und sehr nachtheiligen Händlen / wie man dann lieset / daß besagter Nero die Stadt Rom an zehen Orten anzünden lassen / zu sehen / wie etwann Troja in dem Feuer gestanden. Es vermeinen aber solche Herren / ihnen durch dergleichen unerwarte Abenteur einen unsterblichen Namen zu machen / es sey gleich selber rühmlich oder nicht / wie dort Hephestion / der den Tempel der Dianä zu Epheso angezündet.

3. Ein Italianischer Fürst / dessen Namen billig zu verschweigen / hatte / als sein Cantzler gestorben / einen wunderlichen Einfall. Zu solchem hohen Dienst hatte er ihm außersehen einen von seinen Rähten / welcher durch seine Tugend unn Geschicklichkeit dieser Stelle wol verdienet / und sich dem Fürsten jederzeit getreu / verschwiegen und gehorsam erwiesen / wie er dann zu thun schuldig / weil er von schlechter Ankunfft / durch[313] seines Fürsten Hülffmittel und gnädige Handbietung zu der besagten Stelle befördert worden.

4. Dieser Justinian hatte niemals keine Gedancken zu dem Cantzlerdienst / weil ihm andre Rähte vorgiengen / und sein Sinn / von Jugend auf / ferne von allem Ehrgeitz / und wolte lieber hoher Ehre wehrt / dieselbe andern überlassen; als unwürdig solche betretten; wol wissend / daß wer hoch hinauf steiget (wie in der Music oder Singkunst) auch wieder hoch herab fallen könne / und begnügte er sich in seinem mittelmässigen Zustand / in welchen Gott ihn gesetzet hatte.

5. Der Fürst war fröliches Sinnes / und wolte seinen Justinian / mit einem denckwürdigen Possen zu der ledigen Cantzlersstelle befördern / und befahle etlichen von seiner Wachte / sie solten aufwarten und thun / was er ihnen gebieten werde. Nach gemachter Anstellung lässet er Justinian für sich kommen / stellet sich gantz zornig / und redet ihn mit folgenden / oder dergleichen Worten an.

6. Verrähter / ist das der Dienst / welchen du mir zu laisten verpflichtet bist? ist das die Danckbarkeit / mit welcher du meine Gnade erwiederst? Ich habe dich nichtigen Gesellen aus dem Staub erhaben / und zu Ehren gemacht / ich habe dich hoch geacht und dir willfahrt in allen was du begehret unn habe deine Heucheley für pflichtschuldige Treue gehalten. Wie hör ich nun von dir / daß du zu einen eidbrüchigen Verrähter worden? wann ein Fremder / der einen benachbarten Fürsten bedienet / dergleichen in meinen Lande angesponnen / wolte ich so sehrüber ihn nit erzörnen / weil er seines Herrn Dienst befördert / als über dich / der du mir auf so viel weise verbunden / und fast von den ersten Kindsbeinen in meinem Brod gewesen bist.

7. In dem ergrimmet er gleichsam in sich selbsten / und als Justinian ihm einen underthänigen Fußfall thun wollen / wil er ihn nit anhören / sondern befihlet / man soll ihn in das Gefängnis bringen; sein Verbrechen seye Sonnenklar / mit vermelden / daß er die Obrigkeit / das Schwert von Gott empfangen / solche Ubelthäter / nach Gebühr abzustraffen. Mit[314] diesen Worten / welche ein Vorurtheil deß Todes / muste sich der unschuldige Justinian abweisen lassen / etc.

8. In der Gefängnis bereitete er sich zum Tod / beichtete / bekennte seine Sünde mit reuigem Hertzen / und erfreute sich / daß er die Schuld der Natur / in Unschuld bezahlen solte: doch entsetzet er sich sehr für der Schande / und wolte dem Kerkermeister erzehlen / daß er bey seinem Fürsten müsse seyn verleumdet worden / und daß er tausent Leben / wann es möglich / für seinen Herrn lassen wolte / etc.

9. Der Kerkermeister antwortete mit vielen Scheltworten / riesse ihm den langen Ehrenmantel von dem Leib / und sagte / daß er Befehl / ihn folgenden Morgens hinrichten zu lassen. Hierauf fieng Justinian an zu beten / und seine Seele Gott zu befehlen / betraurend den elenden Zustand der Hofleute / welcher gute Dienste Federleicht / und ihres Fürsten Ungenade Bleyschwer / wie sie stetig auf dem schlipferigen / ja / verflucht / der sich auf Menschen verläst / etc.

10. Mit anbrechenden Morgen / als Justinian die Henckersknechte erwartete / verkehrte sich das Trauerspiel in ein Freudenspiel / welches doch endlich einen traurigen Außgang wiederum erlanget. Die Edelknaben bringen einen sammeten Sessel / man kleidet jn an mit Sammet und Seiden / welches er alles geschehen liesse / wie ein Rind das mit Kräntzen gezieret / zum Schlachtopfer unterwegs ist / etc. Bald darauf bringt man ihm in einen schönen Kästlein / deß Fürsten Insiegel / und sagt ihm an / daß S.F.G. ihm die Cantzlersstelle ertheilet / und zu solchem hohen Ehrendienste / alles wolergehen anwünschen lasse / etc. Was geschehen / were ein Fürstenlust gewesen.

11. Justinian erwachte von den tiefen Todes gedancken / und wuste sich in diesen Handel nit zu schicken / sagend: Wann dieses kein Traum / und sich alles in dem Wercke verhält / wie ihr mir saget / so werde ich meinen Fürsten schlechte Dienste laisten können / in diesem Ampt / welches ich mich gantz unwürdig achte; dieweil ich hierüber meine Gesundheit / aus Schrecken und Erwartung deß schändlichen und unverdienten Todes / verlohren / daß meines Lebens nicht lang mehr seyn wird.[315]

12. In den veränderten Kleidern wird er für den Fürster geführet / welcher lachte / und ihn zu empfangen entgegen kame. Justinian aber fiele in eine Ohnmacht: Man trägt ihr auf das nächste Bett / man öffnet ihm eine Ader / und muste er nach dreyen Tagen die Welt gesegnen / mit grosser Betrübnis seines Fürsten / welcher ungescheut sich vernehmen lassen / daß er den getreusten unter allen seinen Dienern verlohren / und ist also sein lachen in weinen verändert worden. Hierauß erhellet / wie gefährlich es seye / Fürsten und Herren zu einem Schauspiel dienen / oder auch mit ihnen zu spielen / weil sie meinsten theils gewinnen wollen.

1

Nero impossibilium flagrantior. Tacit.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 313-316.
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