(CXCIV.)
Der verliebte Ziprianer.

[347] Die Liebe wird mit dem warmen Unflat / oder hitzigem Koth verglichen / welcher dorten den alten Tobiam blind gemacht; die Schmertzen und das Unheil / welches nach solcher Blindheit erfolget / ist die bittre Gall dardurch man sehend / und seiner Thorheit einträchtig wird. Hiervon redet der in solchem Handel wolgeübte David Psal. 38/11. wann er sagt: Meine Krafft hat mich verlassen / und das Liecht meiner Augen ist nicht bey mir. Und an einem andern Ort / bittet er: Oeffne mir die Augen HErr / daß ich sehe deine Wunder / etc. Verstehe in den Göttlichen Schickungen / welche mir in meiner Blindheit sehr wunderlich und unerwartet fürkommen. Dieses alles wird mit mehrern erhellen / aus nachfolgender Erzehlung.

2. Ein Neapolitanischer Herr / Conuillo genannt / war bey Jahren / und mit dem Ziperlein / (der Reichen Kranckheit / weil sie von wollustigen Leben herrühret) schmertzlich geplaget / daß man von ihm sagen können / was dorten der Poet von dergleichen Personen geschertzet:


Solt er essen oder gehen

hatt' er weder Hand noch Fuß:[347]

aber zu den Jammer-Wehen

hatt' er Hände / Füß / und Zeen /

ja der Glieder überfluß.


3. Dieser Ziprianer hatte einen einigen Sohn / aus dem ersten Ehebett / welcher bereit in den Jahren / daß er sich zu beweiben gedachte / und zwar mit seines Herrn Vattern Eiwilligung und Beyratung. Es gefiele seinen Augen eine Jungfrau seines Standes / welche die Schönheit und Reichthum Liebwürdig machten / und wurde diese Werbung wol angenommen / auch bereit deßwegen Handlung gepflogen / und die Haubtpersonen in dem Spiel waren mit gleicher Leibesneigung einander wol zugethan.

4. Conuillo wurde von den Befreunden der Terentia besucht / und er kame auch wieder ihnen / wann er mit seiner Plage einen Anstand getroffen / massen nach jenes Wort / das beste an dem Ziperlein ist / daß der Schmertzen aufhöret. Dieser Alte betrachtete der Jungfer Schönheit / und weil die wolgeordnete Liebe von sich selbsten anfähet / stellet er seines Sohnes Werbung auf sich / und lässet die Freunde nicht bitten / sondern in dem Heuratsbeding gebieten.

5. Die Ziprianer sind ins gemein Cyprianer / ich wil sagen / aus der Insel Cypern / der Frau Venus Vatterland / unn verursachet jre Brunst / die ůbermässigen Schmertzen ihrer Kranckheit. Diese Heurat machte der begebende Fall schwer / daß wann Conuillo mit Terentia Kind' zeugen würde / welcher Gestalt sie Erben und seiner Verlassenschafft theilhafftig werden solten?

6. Hierüber bedachte sich dieser Liebblinde nicht lang / sondern versihet seinen Sohn / mit einem geringen Geschäffte / und setzet Terentiam / mit dero künfftigen Kindern zu Haubterben aller seiner Güter. Was kan das Geld nicht? ja was vermag der Geitz nicht? Terentia lässet sich durch diese Hoffnung und ihrer Eltern zusprechen bewegen / daß sie dem Alten anhängt / und den Jungen verlässet.

7. Diese Handlung nun sicherlich zu vollziehen / sandte Conuillo seinen Sohn nach Rom / wol wissend / daß das außgeleschte Liecht / bey den Flammen / leichtlich wieder anzubrennen[348] pfleget. Mit was Wehmut er geschieden / ist unschwer zu ermessen. Sein Vatter gebrauchet sich deß Rahts / welchen er ihn gegeben / beraubet ihn alles dessen / das ihm die Geistlichen und Weltlichen Rechte zueignen / und wann er ihm auch sein Mütterliches hätte können entwenden / würde er solches nicht unterlassen haben.

8. Terentia wird von ihrem Alten schwanger / die Frucht aber erfreuret in der Blüte / und das Kind überlebet wenig Tage. Emilio der Sohn hatte so grosses mißfallen ob dieser Begegnis / daß er eine Mönichskutten anziehet / und wider seines Vatters Willen / alles Vermögen seiner Mutter in das Kloster bringet. Conuillo mehrte durch diese zweyte Ehe seine Ziperleins-Schmertzen / und ersahe viel zu spat / daß er thörigt gethan / und sein Leben so vieler grösserer Qual unterworffen / in dem er seines Namens Gedächtnis außgeleschet / ohne Leiberben / und sein Gut in andren Händen lassend / dahin sterben müssen.

9. Zu Erfüllung dieser Erzehlung / wollen wir Anlaß nehmen / zu reden von dem Ziperlein und von der alten Leute Leibspflegung. Ermeldte Kranckheit wird von den Bauren das lauffende Gicht genennet / und kommet her von scharpffen und subtilen gesaltznen Feuchtigkeiten / welche in die Gelencke triefen / und derselben Bewegung mit grossen Schmertzen hindern. Weil nun die Fůsse von der Hitze und Wärme ferner / als andre Glieder / und gleichsam zu Ende deß Leibes / trieffet solche gesaltzne / kalchige / gallische und schäumige Feuchtigkeit erstlich dahin / wo sie dann verbleibet / und durch die Schweißlöchlein endlich vertufftet.

10. Die Grundursache dieser Kranckheit ist der Mangel der natürlichen Hitze / welche besagte Feuchtigkeit nicht verzehren oder außtreiben kan / daß sie endlich überhand nimmet / die Glieder aufschwellet / ja mit der Zeit selbe steinhart und knorrigt machet / gleich wie dergleichen zähe Feuchte / auch den Lenden und Nieren-Stein verursachet. Wann nun in dem Winter die Glieder erkalten / und also geschwächet werden /[349] findet sich der Ziperlein; wie in dem Gegenstand die Glieder durch die Wärme gestärcket werden können.

11. Hierauß ist zu ersehen / warum die Kranckheit bey den Reichen / die ein müssiges und wollustiges Leben führen / einkehret; hingegen aber bey den arbeitsamen Baursleuten selten gefunden wird / welche als deß Adams Erben / in den Schweiß ihres Angesichts ihr Brot essen / dardurch die besagten bösen Feuchtigkeiten verzehret / und also der Ursache solches Ubels gesteuret wird. Deßwegen dichten die Poeten / der Ziperlein sey deß Bacchi und Veneris Sohn / weil jener viel grobe Feuchtigkeiten verursachet / und diese die natürliche Wärme schwächet und den Leib erkältet / dardurch solchen Flüssen der Weg eröffnet wird / daß sie zu den äussern Gliedern gelangen können.

12. Wie zu dem Krieg junge Leute erfordert werden / die bey guter Stärcke und gantzen Kräfften; also müssen auch in den Venus-Krieg keine alte Kränckling ziehen / welche sich dardurch schwächen / und ihres Lebens Faden abreissen. Bey bejahrten Leuten ist die Wärme schwach / und wird durch Abstattung ehelicher Gebühr noch schwächer / daß solches der gantze Leib empfindet; Sonderlich aber ist diese Liebsübung denen sehr schädlich / welche kalter und trockner Natur sind / hingegen aber ist es denen vorträglich / welche warmer und feuchter Natur sind. Das Alter deß Menschen muß man nicht allezeit von den Jahren / sondern von den Leibskräfften rechnen / welche bestehen in den edlen Gliedern / als dem Hertzen / Haubt / dem Magen / etc. die in dem Alter / durch den Beyschlaf offt tödlich verletzet werden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 347-350.
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