(CXCV.)
Die ungleichen Schwestern.

[350] Plato vergleichet die Gemüter der Kinder mit den Metallen etliche / sagt er / sind gulden / etliche silbern / etliche von Eisen. Wie nun ein jedes Metall an seinem Orte dienlich / als das Gold zu der Artzney / das Silber zu beliebter Zier / das Eisen zu dem Gewehr und Pflugscharen; also soll man unterscheiden / wohin der Kinder Gemüter sich neigen / worzu[350] zu sie Lust haben und fähig sind / daß man also den Pflug nit von Gold / und das Edelgestein in Eisen fasse. Diese Unterscheidung setzet er zu einem Grund wol bestellter Regimenter / welche in ihren rechterzognen Angehörigen bestehen.

2. Dieses hätte auch beobachten sollen Anastasia / eine vornehme Wittib zu Orleans in Franckreich / welche zwo Töchter hatte / Clerianam und Eugeniam / deren Sinne sehr ungleich und mit Fug dem Eisen und dem Gold können verglichen werden Cleriana war ungestalt von Angesicht / und kaum so schön / daß man sie nit häßlich nennen könte / frisch / frey / frölich / Männersüchtig / faul und müssig / daher der Liebsrost / wie bey ungebrauchten Eisen / sich auch fande. Eugenia hingegen war schön / holdselig / bescheiden / gottsfürchtig / und hasste alle üppige Eitelkeit / deßwegen sie auch in dem Feuer der Anfechtung / wie das Gold probieret / und beständig erfunden worden / wie folgen wird.

3. Anastasia ihre Mutter / sahe auf das äusserliche / und wolte die zarraugige Leam in das Kloster stossen / die schöne Rahel aber zu dem Ehestand und einer guten Heyrat bey ihr behalten / und ihr auch eine so viel reichere Außsteur mit geben / als der jüngsten und liebsten Tochter; da diese doch gantz wideriger Meinung / und die Cleriana gerne einen Mann gehabt / Eugenia aber gern in dem Kloster gewesen were. Wider ihre Neigungen wolten der Mutter vermahnen wenig fruchten / und als sie den Gehorsam mit Bedrauung erheischte / wurde ihr mit bitten begegnet / sie solte ihrer Töchter segnen / wie Jacob Josephs Söhne / da er dem Erstgebornen deß jüngsten Segen gegeben.

4. In dem nun die häßliche sich in das Kloster wider ihren Willen verbergen muste / ihr Leben gleichsam in dem Grab der Lebendigen zuzubringen / erdichtet sie alle mögliche Entschuldigung / sich dieser Geistlichen Gefängnis zu erledigen / und gabe für / daß ihres Leibes Zustand das strenge Leben nicht vertragen könne / daß sie bereit erkranke / daß sie sich solches Glückes (welches sie doch vielmehr für ein Unglück hielte) unwürdig achte / etc. Sie lusterte[351] also nach den Fleischtöpfen Egypten / und eckelte für dem himmlischen Manna; ich wil sagen / sie hatte ein weltliches Hertz in einem geistlichen Ort / der in einem abgelegnen Walde / und den Versuchungen der verbey raisenden unterworffen war.

5. Nach kurtzer Zeit fande sich ein gerichtlicher Sachwalter / welcher mit Cleriana Kundschafft machte / und in dem Kloster wegen schwebender Rechtshändel zu verrichten hatte. Erstlich scheute sie sich mit diesen listigen Gesellen zu schwetzen / doch wurde sie von ihren Begierden überwältige / und brachte er den Handel so wol für / daß er bey ihr gewinnlich / und sie sachfällig worden. Hierüber entstunde nun ein böser Nachklang bey der Abbtesin deß Orts; weil aber diese Richterin selbsten dergleichen Laster unterworffen / wolte sie kein Strafurtheil fällen / welches sie gleichfals auch verdienet hatte. Verflucht der Aergernis giebet / ja so verflucht / daß einem solchen Menschen die leibliche Straffe / wann er in das Meer an einen Mühlstein gebunden / geworffen würde / als daß seine Seele ewig deßwegen solte gequälet seyn.

6. Es scheinet / als ob die Eltern / welche ihre Kinder in so gefährlichen Stand verderblicher Gesellschafft dahin geben / sie gleichsam dem brennenden Götzenbild Moloch aufopferten / und durch das Liebesfeuer gehe liessen / dann kommet die Reue / und verlaiste Aufsicht viel zu spat / wann mann nicht mehr den Brand leschen kan. Ardant / der Buler / riete seiner verführten Nonnen / sie solte glaubwürdig zu Papier bringen / welcher massen sie von ihrer Mutter in das Kloster genöhtiget / und wider ihren Willen sich aufhalten müsse / in einem Leben / darzu sie von Gott nicht beruffen worden. Dieser Schrifft verhoffte sich Ardant zu gebrauchen / wann etwann Cleriana sich befurchtet finden solte.

7. Eugenia hatte inzwischen viel Buler / unter welchen sich Erdemann / ein benamter und reicher Gesell / für einen Freyer angabe. Bey der Tochter hörte er das Nein / bey der Mutter das Ja Wort / deßwegen er getrost / und Eugeniam mit beharrlichen Diensten zu gewinnen verhoffte; er rechnete aber ohne Wirt / und fande sich betrogen / wann die Verlöbnissen[352] der Kinder / ohne ihrer Eltern einwilligen unbindig sind / solten auch die Heuraten / welche die Eltern wider der Kinder Willen schliessen / ungiltig und unkräfftig seyn; so viel mehr / weil es den Kindern mehr zu treffen gilt / als den Eltern / und bey allen andern Handlungen / als kauffen / verkauffen / bestehen / verlassen / etc. Einwilligung beeder handlenden Partheyen erfordert wird / wie aus den Rechten bekannt ist.

8. Dieses Eheband / welches Anastasia mit Erdemann beschlossen / hatte Eugenia so leicht zerrissen / als Samson seine neue Stricke. Die Mutter gebrauchte böse und gute Wort / sie zu dieser reichen Heurat zu bereden / der vermeinte Hochzeiter laistete ihr alle mögliche Aufwartung / und hörte hingegen das flehentliche Bitten: er solte doch von ihr abstehen / und sie das Gelübd der Keuschheit / welches sie GOtt in ihrem Hertzen gethan / vollziehen lassen: ja sie fiele ihm zu Füssen / und wiederholte erstbesagte Bitt / wie er aber blind in seinem Begehren / also war er auch taub sie anzuhören / und zu erhören.

9. Sie wolte keine Geschencke / welche der weissen und weisen Jungfrauen Augen verblenden / annehmen / noch weniger ihres angegebnen Hochzeiters Briefe behändigen / ob ihr wol solches Anastasia ernstlich befahle / und sie mit Schlägen zu dieser Heurat nöhtigen wolte. Wie die Schiffer niemals fleissiger gen Himmel sehen / als in dem Ungewitter; also wendete Eugenia auch ihre Augen zu GOtt / in der Trübsal / so sie getroffen hatte. Als nun Erdemann sahe / daß bey seiner Eugenia nichts außrichten konte / und ihr Will gantz unverhinderlich in abschlägiger Antwort beharrte / wolte er ablassen / und sich anderwerts versehen.

10. Die Mutter aber zwang ihre Tochter endlich dahin / daß sie in beywesens / eines darzu erkaufften Mönichen / das Ja Wort von sich geben müsste / welches sie so bald kaum außgesprochen / daß sie es wieder zurucke genommen / und widerruffen hat. Nichts desto weniger wolte sie Anastasia und Erdemann zu ehelicher Beywohnung nöhtigen / und von ihr erlangen / was er so brünstig verlangte; aber gantz vergebens / daß er sie auch nicht zu einem Kuß bereden mögen.[353]

11. Nach solchem widersetzen berathschlagen sie Eugeniam gewaltthätig zu binden / und von ihr zu rauben / was sie willig nit geben wolte / bedrauen sie auch damit / und ist die Mutter so verteuffelt / daß sie selbsten die Stricke zu kauffen außgehet. In abwesen ihrer und deß Erdemanns / wil Eugenia zu dem Fenster sich an einen Leilach ablassen; die Magd aber / welche bey ihr / gibt ihr den Raht / sie solte ihre Kleider anziehen und zu einer von ihren Befreundin fliehen / sie wolte inzwischen für sie stand halten / und solte sie aus dem Dienst gestossen werden. Diesem Vorschlag folgte sie / und kame zu ihrer Mumme / erzehlte ihr / aus was Nothzwang sie sich gerettet / und bittet um fernere Beschirmung / welche sie auch erhalten / und den Verlauff der Sachen / bey dem Bischoff deß Orts / als einen Ehehandel angebracht / der so wol die Mutter / als den Mönichen und Erdemann zu gebührlicher Straffe gezogen.

12. Eben zu solcher Zeit begehrte auch Cleriana von ihrem Kloster Gelübd entschlagen zu werden / und Eugenia bate um oberherrliche Verwilligung an ihre Stelle zu tretten. Weil ein gezwungener Wille beederseits für keinen Willen gehalten wurde / und ist diesen beeden Schwestern willfahrt / und Cleriana mit Ardant getrauet worden. Eugenia hatte von ihrem vätterlichen Erb eine geringe Steur in das Kloster gebracht / und ist wegen ihrer Gottseligen Tugenden / als wegen deß einbringens aufgenommen worden / da sie dann ihr Leben Christlich zugebracht / und sonder allen Zweiffel seelig geendiget. Cleriana hingegen / hatte eine gantze widerwertige Ehe / und täglich bereuet / daß sie nicht bey dem Nonnenleben / in einem strengen Orden / dahin sie aus dem Ehestand nicht kommen mögen / gleich ihrer Schwester Eugenia geblieben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 350-354.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon