(CXCVI.)
Die Schlafsucht.

[354] Der Schlaf wird aus vielen Ursachen mit dem Tod verglichen / eines Theils wegen der Umstände / anders Theils wegen sein selbst. Wann wir schlafen gehen / müssen[354] wir alle Kleider außziehen / von uns legen / aufs Lager strecken / und der Ruhe pflegen / biß wir zu Morgens wieder aufstehen: Also müssen wir auch in dem Tod alles hinterlassen / und in dem Grab der letzten Posaunen / welche die Auferstehung der Todten ankündigen wird / in sanffter Ruh erwarten. Die Schlafenden und Todten blassen / sind fast unempfindlich / sehen und hören nicht / etc. daß also der berühmte Scaliger / als er schlaffen gehen wollen / recht gesagt: Nun wil ich erfahren / wie gemein mir der Tod seye. Diese Gleichnis deß Todes erweiset sich auch absonderlich bey denen / welche mit der Schlaffsucht behafftet sind / darvon in dieser Erzehlung mit mehrerm folgen soll.

2. Ein Portugeser 70. Jahr alt / lage zu Avignon kranck an einen hitzigen Fieber / unn fiele den 14. Tag seiner Kranckheit in einen Schlaf / daß er viel Tage ohne Essen und Trincken / ohne Rede und Empfindlichkeit / gleich als ob er tod were / lage. Endlich haben seine natürliche Kräfften die Kranckheit überwunden / daß er nach zweyen Monden wieder genesen und wol auf worden. Er war kalter und feuchter Natur / voll zäher Feuchtigkeiten / ein Mann der viel zu essen / und ein unordentliches Leben zu führen pflegte. Fr. Vallerivla. 6/7.

3. Farnelius erzehlet von einem / der in der Schlafsucht gantz unempfindlich gewesen / daß er auch sich nit gerühret / wann man ihn angegriffen / gezwickt / Haar außgeraufft / etc. nachdem er aber wieder zu sich selbsten kommen / hat er erzehlet / wie man mit ihm umgegangen / in seinem 5. Buch am 9. Cap.

4. Ein andrer wurde von einem kalten Fluß überfallen / (catalepsia) daß er über den Büchern sitzen / und die Feder in der Hand habend / gleichsam zu einen Stein erstarret / und mit offnen Augen sitzen blieben / ohne Bewegung und Regung / ohne Rede und Empfindlichkeit / als ob er fleissig studierte.

5. Deßgleichen hat auch ein andrer sich mit einer solchen Kranckheit überfallen befunden / der sich auf seinem Lager / als ein toder gestrecket / ohne Gebrauch aller Sinne / außgenommen / daß er Odem geholet / und Speiß und Getranck[355] zu sich genommen; wann man ihn aufgerichtet / ist er sitzend blieben / auch wol stehend / und wie man ihn beweget / so ist er erstarret und beharret / wie ein Bild.

6. Jacot / in seiner Außlegung Hippocratis / erzehlet von einem / der über Tisch die Hand außgestreckt / und von der Schlafsucht überfallen / solche nicht wieder zu sich ziehen können / und sey gleichsam mit offnen Augen / zu einem Stein / gantz unbeweglich worden.

7. Etliche ist diese Krackheit über Tisch ankommen / daß man solche an ihnen nit vermercket / als wann man mit ihnen reden wollen. Die nit wol hören / sind diesem Unheil unterworfen / und auch / die zu viel studieren / und so viel kaltfeuchtiger Speisen geniessen / und ist zu Zeiten diese Kranckheit ein Anfang der fallenden Sucht / deß Schlags und auch wol deß Todes / doch ändert sich der Puls nit viel / weil die äussern Glieder nur leiden / biß das Ubel überhand genommen.

8. Man vergleicht diese Kranckheit mit einem schnellem Gefröst / das urplötzlich einen Menschen erstarret machet / wann er ihn überfällt. In welchem Stande nun solches geschihet / in demselben verbleibt er / und solte er auch stehen / so würde er nicht zur Erden fallen / sondern als ein Marmolsteines und noch lebendes Bild beharren / wie Benivenius hiervon etliche Exempel hat.

9. Das Haubt ist das edelste Theil deß Menschen / und in dem Haubt / das Gehirn / als der Sitz deß Verstandes / und der Thron der Vernunfft / deßwegen auch die Kranckheiten desselben so viel gefährlicher / als andre. Wann das Haubt schwer / voll kalter Feuchtigkeiten / geplagt mit dem Schwindel / und daß man viel zu schlafen begehret / auch mit den Händen und dem Haubt zu zittern anfängt / hat man sich der Schlafsucht / oder deß Schlags zu befahren / und wird die Vergessenheit dabey nicht aussen bleiben.

10. Dieses alles kommet her von kalten und zähen Schleim / dessen aufsteigender Nabel gleichsam das Gehirn verfinstert / und zugleich auf alle Glieder herunter fället / daß sie erstarren / und unbeweglich bleiben / biß durch Schweiß oder in andre[356] Wege den Krancken geholffen wird / wie geschehen kan durch Clistier / Aderlaß und purgieren.

11. Es findet sich aber bey dieser Kranckheit meistentheils ein Fieber / welches starck od' schwach / nach Unterscheid desselben Ursachen. Das erhitzte Geblüt und die Gall verursacht das hitzige Geblüt: die Melancholey und der Schleim / das kalte Fieber. Wann nun das Gehirn von sich kalter Natur / und noch viel kalte Důnste darzu kommen / mag sich leichtlich fügen / daß die Schlafsucht / und dann nachgehends andre Kranckheiten darauf entstehen.

12. Die innerlichen Kranckheiten deß Haubts sind dreyerley / und belangen entweder das Hirnhäutlein / oder das Geäder / so in das Gehirn gehet / oder das Gehirn selbst. Unter diesen sind die gefährlichsten / welche das Gehirn verletzen / darauß Vergessenheit / Aberwitz / Raserey und dergleichen entstehet / wann die Ursache hitzig; wann sie aber kalt wie gesagt / so folget Trägheit / Schwindel / Schlafsucht. Dieses überlassen wir den Aertzten / und bekennen unsre Unwissenheit gerne unn ohne scheue; massen einen Schuster keine Schand ist / daß er kein Kleid machen kan / und hingegen ein Schneider sich auch nicht zu schämen / daß er keinen Schuch machen kan: doch haben wir unsre Meinung / zu Erfüllung dieser Erzehlung unangefüget nicht lassen wollen / auf Verbesserung.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 354-357.
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