(CXLIX.)
Der Findling.

[173] Mann soll das Kind nit mit dem Bad außgiessen / oder die beschlepten Kinder weg werffen / nach dem gemeinen Sprichwort / welches hergenommen von den Hebammen / die eine erstgeborne Leibesfrucht zu reinigen und zu säubern / nicht aber hinzuwerffen pflegen: Daher solche Eltern Raben Eltern in der Schrifft genennet werden / weil die Raben ihre Jungen in den Nest verlassen / und sie von dem Tau / oder wie andre wollen / von den kleinen Würmlein / welche auß ihrem Koth erwachsen / erhalten werden. Wann aber die Kinder in Unehr gebohren / den Eltern nit angenehm / begibt sichs vielmals / daß solche hingelegt / und von andern gutthätigen Leuten gefunden ( daher sie Findlinge heissen) und aufferzogen werden: Zu Rom / Venedig und Pisa / den Kindermord zu verhüten / gewisse Oerter gestifftet / da man solche Findlinge aufferziehet / und die Zeit ihrer Einkunfft / sampt bey gelegten Kennzeichen / ordentlich beschreibet. Von einem solchen Findling soll folgende Geschichte umständige Meldung thun.

2. Zu Bolonia oder Bononia in Welschland hielten sich zween Spanische Studenten auf / Namens Antonio von Yhunea und Johan von Gamboa vornehmer Leute Kinder / welche beede kaum das 25. Jahr erreichet / und keine Belustigung der Jugend unterwegen liessen / massen sie die Mittel darzu überflüssig in den Händen hatten. Ob sie nach[173] Frauenzimmer gefragt / und selber Gesellschafft gesuchet / ist bey so hitziger Jugend Müssiggang leichtlich zu erachten / und waren sie / kurtz zu sagen nicht lässig / solche schöne Bücher zu durchsehen und fleissig darüber zu liegen / gebrauchten auch mehr / als einen solchen Kalender.

3. Unter vielen war wegen ihrer Schönheit in Rhum Cornelia Bentivogli / deren Voreltern auf eine Zeit über Bononia geherrschet / von welchen niemand im Leben / als Lorentz Bentivogli ihr Bruder / in dessen Schutz und Auffsicht Cornelia damals ware / und ob sie wol ohne Vatter und Mutter / ware sie doch kein Waisen-Kind zunennen / weil der Reichthum ihr an Eltern statt verblieben / und ihr sattsamen Unterhalt verschaffte. Diese Cornelia hielte ihr Bruder / wie ein schönes Gemähl verwahret / das der Lufft leichtlich verderben möchte / und ausser der Kirchen nit könte gesehen werden.

4. Als sich nun begeben / daß Johann von Gamboa der Spanische Student auf eine Zeit bey Nachts nach Hause gehen wollen / hat man ihm geschrien / und bey einer Haußthür gefragt: ob er Fabio were? Johann sagte / auf alle Wagniß / ja und empfange einen eingewickelten schweren Bündel / mit Bitte solchen fleissig zu verwahren / und wider zu kommen / also schlosse man das Hauß hinter ihme zu / und ließ ihn mit einem neugebornen Kind in der Gassen stehen. Nach kurtzem Bedacht / trägt er diese Gabe nach Hause / und befihlet sie einer Frauen in der Nachbarschafft / wol vermerckend / daß man ihn fůr einen andern angesehen hatte. Das Gezeug / in welches das Kind eingehüllet / beglaubte leichtlich / daß die Eltern dieses Findlings reiche Leute / zu deme war auch das Kind so holdselig / daß Johann sich darüber erfreute / und zu solches Aufferziehung keine Unkosten sparen wolte.

5. Nachdeme nun Johan wieder kommen zu dem Hause / da er so kindlich begabet worden / hat er einen schreyen und sich wehrend befunden / den ihrer viel ermorden wollen / deßwegen er alsobald von Leder gezogen / und dem Betrangten einen Beystand geleistet / biß endlich die Wacht darzu gekommen /[174] und diese Meuchelmörder verjaget / jedoch daß diese beede darüber verwundet worden / und Johann / dem andern seinen Namen / um welchen er gebetten / damit er wisse / weme er zu dancken schuldig / angezeiget. In diesem Tumult hatte Johann seinen Hut verlohren / und den nechsten besten aufgesetzet / ist auch darmit / weil andre kommen / und den / dem er beygestanden / hinweg geführet / wol nach Hauß gekommen.

6. Unterdessen wolte Antonio seinen Spießgesellen suchen und begegnet ein Weib / welches ihn um Gottes Willen bate / er solte sie in Sicherheit bringen und sich ihrer annehmen / dieses thate er willig / und brachte sie auf seine Kammer / da er mit Verwunderung sahe / daß sie eine sehr schöne und reich bekleides Weib / hörte aber von ihr keinen andern Bericht / als daß sie ihn bate / er solte sie in verborgen halten / und eilen Friede zu machen / unter denen die in der nechsten Gassen einander würgen wolten: als er nun solches zu thun gewilt / begegnet ihm Johan / und erzehlen diese beede / was ihnen diese Nacht begegnet. In deme sie nun in ihrer Behausung angelangen / wil Antonio seinen Gesellen nit lassen in die Kammer gehen / und in dem er aufsperret / schimmert der Hut mit den Diamanten so herrlich / daß die schöne Gefangene solches ersihet / und bittet / der Hertzog wolle doch hinein kommen / und sie in ihrem Elend besuchen. Antonio sagte / daß kein Hertzog hier / und führte mit ihrer Bewilligung Johan hinein / welchen sie befragte / ob er dann den / dessen der köstliche Hut seye / kennte? Johan antwortete mit nein / und erzehlte / wie er ihm beygestanden / und bey dem Leben erhalten hätte.

7. Hierauff gabe sich diese Weibsperson etlicher massen zufrieden / betrocknete die Threnen Perlen / welche über ihre Wangen häuffig triefften / und in dem sie erzehlen wil / was sich mit ihr begeben / hört sie ein neugebornes Kind weinen / und als sie befragte / wo es were / verstande sie daß solches ihr seyn müste / und bate man solte ihr doch solches zu säugen bringen / welches geschehen / unnd nach dem sie sich[175] wieder erholt / hat sie erzehlet / daß sie Cornelia Bentivogli seye / welche der Hertzog von Ferrara Alfonso von Este geliebt / vermittelst ehelicher Versprechung geschwängert; massen sie auch bey ihrer Befreundin einer genesen / und diese ihre Frucht zur Welt gebracht / eben in der Nacht / als der Hertzog sie entführen wollen / und von ihrem Bruder feindlich angegriffen worden / in deme sie das Kind eine von ihren Kammermägden vertraut / und auß Furcht deß Todes / welchen sie von ihrem Bruder zu erwarten gehabt / entflohen etc.

8. Ob nun wol die Magd vermeint / sie gebe das Kind Fabio / deß Hertzogen Diener / hat sich doch entlich befunden / daß alle Umstände eingetroffen / und das Hertz hat ihr gesagt / daß dieses ihr Kind. Die zween Studenten haben ihr das Zimmer eingeraumet / das Weib / welchem erstlich das Kind gegeben worden / bey ihr gelassen / und mit anbrechendem Tage / an das Ort / wo der Streit zu Nachts sich begeben / verfüget / aber gantz keine Zeitung und Nachrichtung von dem Hertzogen vernehmen können.

9. In dem begabe sich / daß Bentivogli auß sonderlichem Vertrauen gegen die Spanier / Johan erzehlet / wie der Hertzog von Ferrara seine Schwester verunehret / und bittet ihn / mit nach Ferrara zu reiten / und wegen seiner den Hertzogen für die Klingen zu fordern / weil er so mächtig nit / daß er Volck werben / und einen Krieg mit diesem Hertzoge anfangen könte. Johan liesse sich hierzu willig gebrauchen / unn verhoffte also zuvermitteln / daß den Hertzog andrer Gestalt Vergnügung beschehen möchte / bedancket sich deßwegen deß guten Vertrauens / und machet sich mit ihme auf den Weg / nimmet auch mit seiner Einwilligung Antonio mit sich / als einen glaubwürdigen Zeugen / alles dessen / was sich mit den Fräulein Cornelia begeben.

10. Nachdeme diesen verraiset / bildet die Warterin der Cornelia für / daß Bentivogli / ein Italianer / der hinterlistiger Weise / diese Spanier / wegen ihrer / umb das Leben bringen werde / räht also / und beredet sie / daß sie sich sampt dem Kinde auffmachen / unnd bey einem Dorffpfarrer unferne von Ferrara / da sie vor diesem[176] gedienet / ihre einkehr nehmen solte / führte ihr auch zu Gemüt / daß ihr viel anständiger und verantwortlicher / wann sie bey einem alten Geistlichen / als bey jungen Studenten gefunden werden würde: Cornelia befindet alle die Vrsachen für richtig / machet sich mit ihrem jungen Sohn auff den Weg / und kommet zu besagtem Dorffpfarrer / welcher sie willig auffnahme und wol empfienge.

11. Es fügte sich aber / daß Alfonso und Bentivogli von ferne einander begegnen / und Johann / der ihn alsobald erkennet / rennte vorauß ihme entgegen / und gab ihm zu verstehen / welcher massen Bentivogli sich von ihm beleidigt vermeinet. Alfonso erkläret sich hierauff alsobald / daß er Corneliam für seine Gemahlin halte / ihr die Ehe versprochen / und gewillet seye / sich förderlichst mit ihr trauen zu lassen. Als nun Johann diese Antwort zurücke brachte / wurde Bentivogli sehr erfreuet / und kamen einander zu umarmen.

12. Vnterwegs erkennte Alfonso seinen Hut / und widerholte seine Dancksagung gegen Johann / daß er ihm in seinen Nöthen beygestanden / erzehlten auch / wie alles mit Cornelia dahergegangen. In dem gelangten sie bey vor besagtem Dorffpfarrer an / und weil sie der Regen überfiele / stiegen sie ab / und fanden / was sie nicht suchten. Hielten also dieses für eine sondere Schickung / und ließ sich Alfonso mit Cornelia alsobalden trauen / und führte sie mit sich nach Ferrara / da sie in grosser Vergnügung lange Zeit gelebet / und mit den zweyen Spaniern sehr grose Freundschafft anwesend / und durch Brieffwechsel / abwesend gepflogen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 173-177.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon