(CXIX.)

Der Buler Mörder.

[414] Folgende Geschichte scheinet fast einem Gedicht ähnlich / ist mir aber fůr gewiß erzehlet worden / von solchen Personen / welche glaubwürdig / und nicht Ursachen gehabt eine Fabel für warhafftig dar zu geben. »Die Unwarheit ist mehrmals der Warheit in etlichen Stücken gleich / und ist das keine Lügen zu schelten /was nicht zu deß Nechsten Nachtheil gereichet / und nicht gar unmöglich ist.«

2. Zu Ravenna einer berůhmten Statt in Italien lebten zu gleicher Zeit Sabellico und Rutilia Sohn und Tochter zweyer benachbarten Edelleute / welche nicht gar grosse Freunde mit einander waren. So bald nun diese Eltern ihrer Kinder Liebsneigung verstanden /haben sie ihnen beederseits verbotten / daß sie einander noch sehen noch mit einander reden solten. Dieses Verbot aber leschte die Flamme nicht / sondern war gleich dem Ohl / welches selbe noch viel brünstiger machte / und es also darauf setzten / und vorgaben /sie[414] hetten einander heimlich genommen / und die Ehe auch vollzogen / welches beedes aber nicht war / und unter ihnen nichts unehrliches vorgegangen / sondern sie verhofften daß man würde geschehen lassen was nicht mehr zu verhindern.

3. Hierüber eiferten nun die Eltern beederseits /und klagte Rutilia Vater den Sabellico / als einen Jungfrau Rauber an / bringt auch zuwegen / daß er in das Gefängnuß geworffen wird. Rutilia erkaufft den Kerkermeister / daß er ihren Liebsten außbrechen lässet / und thut ihm alle Beförderung / daß er auf einem Schiff nach Calabria abfahren / und aldar sich zu Otranto eine zeitlang aufhalten kan.

4. Als nun dieser Rutilia Vater sich an dem Gefangenen nicht rächen mögen / lässet er seinen Zorn an seiner Tochter aus / und verstösset selbe in das Gefängnis / sie entfliehet aber gleichfals / und nimmet Geld und Geldeswehrt / ihrem Sabellico zuzuziehen /wie sie auch in Mannskleidern gethan / und ihn zu Otranto angetroffen / da er sich in eine andre Jungfrau Damia genamt / verliebt / und als Rutilia solches unbekanter weise erfahren / hat sie sich in ihren Manneskleidern erkühnt / eben dieser Damia auch / als eine Mannsperson aufzuwarten / der Hoffnung Sabellico dadurch wieder zugewinnen.

5. Damia fande diesen Clarino (also namte sich diese verkappte Rutilia) viel schöner und höflicher als Sabellico / wendete deßwegen ihre Neigung von diesem auf jenen: deßwegen trachtete Sabellico diesen Nebenbuler vom Brod zuthun. Es fügte sich aber daß sie sich einander begegnen / und Sabellico Clarino nöhtiget von Leder zu ziehen / und sich zu vertheidigen / welches er / oder vielmehr Rutilia so schlecht gethan / daß sie durchstochen worden / und vor ihrem Tod / sich für die jenige außgegeben / welche ihres Vaters Ungnade auf sich geladen / ihme aus dem Gefängnis geholffen / und in so fern entlegene Lande nachgezogen.

6. Hierüber hat sich nun Sabellico hertzlich betrübet / und weil er der Damia Gunst niemals erlangen[415] mögen / diese seine Rutilia aber nicht wieder aufwecken können / hat er aus Traurigkeit die Welt verlassen / und fůr seiner Liebsten Mord Buß zu thun / sich in ein Kloster begeben / und darinnen sein Leben geendet.


7. Die Lieb' / ein blindes Kind / verführt die blöde Jugend /

entfernet von dem Weg der Ehren und der Tugend.

Das / was unmöglich scheint / die Liebe / leicht erhält /

biß daß die blinde Schaar mit in die Gruben fällt.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 414-416.
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