(XLVII.)

Der Frantzösische Frantzos.

[88] »Das helle Feuer giebt einen tunklen Rauch von sich /und ein frommer Vater zeuget mehrmals einen unartigen bösen Sohn. Im Gegensatz bringet ein wilder Baum / wann er ab gepeltzt wird / gute und niedliche Frucht: wie mancher böser Vater einen frommen Sohn ziehet. Weil aber die Welt täglich ärger wird / begiebt sich das erste viel öffter / als das letzte / wie auß folgender Geschichte zu ersehen seyn wird.«

2. Victorius / einer von den ältsten und Adelichsten Geschlechten in gantz Aquitania / hatte mit seiner Gemahlin drey Söhne erzeugt. Zu Erhaltung der Geschlechte ist der Gebrauch fast in gantz Franckreich /daß der ältste Sohn alles allein erbt / oder doch die liegenden Güter besitzet / der zweyte ein Geistlicher /der dritte ein Soldat wird.

3. Zu diesen wird nun ein jeder von Jugend auf angewehnet / und hat Victorius seine 3. Söhne besagter massen versehen / und den ältsten zu den Haußwesen / den zweyten zum studiren / den dritten ader zum Soldatenleben auferzogen. Der ältste stirbt / und Procopius verlässet seine Geistliche Einkunfften / oder ůberlässt sie vielmehr seinem jüngern Bruder / welcher bereit den Malteser Orden getragen / und sein weises Kreutz willig wiederumb fahren lassen.[88]

4. Wie aber die Jungfrauen / welche gar zu streng auferzogen werden / leichtlich in die Schnorr geraten /wann sie die Freyheit erlangen: also war es auch mit Procopio beschaffen / als man ihn den Zaum auf den Halß gelassen / und in Italiam gesendet / fremde Sprachen und Sitten zu erlernen / befihlt man ihn einem Hofmeister / welcher ein junger und unerfahrner Mann war Namens Baldomann / der solcher Orten nie gewesen / noch selbsten eines Zuchtmeisters von nöthen gehabt hette / und sich mit einem ärgerlichen Leben verächtlich gemacht / hierinne hat Victorius keinen geringen Fehler begangen.

5. Procopius kommt nach Naples / begiebt sich zu einem Bereiter in die Kost / alle Ritterliche ůbungen zu erlernen. Horatins der Bereiter hatte eine junge schöne Frau / und er war ein alter Mann / deßwegen sehr eifersüchtig / welches nicht der Italiäner Laster /sondern ihre Natur und Eigenschafft ist? dieses sperrt er in sein Zimmer / daß sie kaumlich die Sonnenstralen ersehen kunten. Solches wusten die andern Italiänischen von Adel / und wunderten sich nicht darüber /weil es der Gebrauch / und sie ihre Zeit sonsten bey andern wol vertreiben kunten.

6. Der Frantzos allein hatte verlangen diese schöne Gefangene zu sehen / und als er die Gelegenheit er langt / und sie erblicket / gelüstet ihn der verbottnen Fruch / und ob er zwar wol sahe / daß die Sache sehr schwer / und sie von einem Drachen verwahret wurde / ließ er sich doch nicht abschrecken / sondern gedachte daß der jungen Buler List der alten Hanreyen Wachtsamkeit weit übertreffen könne.

7. Er stellet seine Sachen so klüglich an / daß er seiner Liebe würcklich geneusst / treibt es aber so lang / daß es der Alte mit seinem Eifer Aug / als ein andrer Lux ersihet / massen der junge und freye Frantzos die Kunst seine Neigung zu verbergen / noch nicht studiret hatte. Deßwegen bedenckt sich Horatius auf eine sondre Art / eine hohe Rache an diesen Helffer zu verüben. Vielmals gedachte er sie zu[89] erwischen / und zu ermorden / befande aber daß solches sonder Verletzung seiner Ehre / und grosse Gefahr nicht geschehen kunte / ersinnet deßwegen ein andres Mietel.

8. Er hatte unter andern in seinem Stall einen Schweißfuchsen / einen Teuffel von einem bösen Pferd / welches man blenden muste / und nur zwischen zweyen Seulen in Sprung und Streichen zu üben pflegte. Auf dieses setzte er Procopium / richtet aber zuvor das Naßband und die Stangen also zu /daß jenes zerrissen / und dieses zerstucken muste /und vermeinet Procopius solte den Hals drauf brechen. Horatius bindet das Roß nicht wie sonsten zwischen die Seulen / so hatte es auch keinen Sprungriemen / welches der Gaul so bald fühlet / mit den Frantzosen ausreisset / und nach dem die Stangen verbrochen / sich baumet und stürtzet / daß Procopius sich kaumlich aus dem Sattel schwingen kan / und doch in dem fall an dem lincken Schenckel beschädiget wurde / daß er drey Tage deßwegen zu Bette gelegen.

9. Die Italiäner argwähnen warumb dieses geschehen seyn möchte / und einer unter ihnen sagt es Baldomann / welcher dieselbige Stund ein andre Kost und Wohnung bestellet / grösseres Unheil zu vermeiden. Horatius betrauret / das seine Rache nicht vollzogen worden / muß es aber geschehen lassen / und tröstet sich / daß der Gast auß dem Hause / und er sich wegen seiner nichts mehr zu besorgen.

10. Procopius machet Kundschafft mit einem Edelmann von Capua / dessen Eltern zu Napoli wohnten. Dieser führt ihn mit sich nach Hauß / und lässet unter andern auch zu Gesicht kommen seine Schwester /eine von den schönsten Jungfrauen in der gantzen Statt. Procopius begehret mit der Jungfrauen ehrliche Kundschafft zumachen / und verspricht mit ihr ehlich zu werden / wann sie mit ihm in Franckreich ziehen wolte / welches die Jungfrau leichtlich willigte.[90]

11. Procopius wird auf so gethane Verlöbnis / von der gantzen Freundschafft wol empfangen / und sonderlich von der Schwieger / welche sich in diesen Frantzosen verliebte / und mehrmals der Tochter Stelle zu vertretteu suchte / da hingegen der Vater sich seiner Tochter / an statt der Mutter zu gebrauchen gelüsten liesse. Verfluchte Blutschand / und Blutschuld / welches der Natur / Göttlichen und Weltlichen Rechten zu wieder / und Gott ohne Straffe nicht kunte hingehen.

12. Procopius eiferte mit seinem Schwer wegen seiner vermeinten Hochzeiterin: Der Schwer-Vater eiferte mit dem Tochtermann / wegen seiner Frauen. Der Bruder gedacht sich an diesen Fremdling zu rächen /und erkauft vier Meuchelmörder / die Procopium verwarten / und aus dem wege raumen solten / welche aber verfehlt / und weil ihm seine Diener zu Hülffe kamen / entlauffen müssen. Nach solchem enthielte er sich dieser Behausung und gedachte an die Gefahr /welcher er entgangē / gleich den Schiffleuten / die nach außgestandnen Schiffbruch das Meer verschweren: so bald sie aber drey Tage zu Lande sind / lange weile haben / und nach gutem Winde fragen.

13. Einsten gehet er an einem Fest in die Kirchen /und höret aus einem Schleyr eine Stimme / welche ihm saget / daß sie eine Spanierin in seiner Nachbarschafft / und Verlangen trüge mit ihm zu reden / hette solches niemand vertrauen / sondern ihm selbsten diese Nachricht geben wollen / etc. Dieser Frauenzimmer Ritter hält solche Abenteur für gefährlich / und antwortet mit aller Höfligkeit / daß er bedenken trag sich so grosser Ehre fähig zu machen / er verbleibe aber einen Weg als den andern ihr Diener. etce.

14. Die Spanierin thut mit einer weißen Hand den Schleyer von dem Angesicht / und lässet den Frantzosen sehen / daß sie nicht alle Morenfarbe sind / welche gegen der Sonnen Niedergang geboren werden. Dieses Muster machet den fremden sicher[91] und bezaubert ihn dergestalt / daß er keine Hinterlist mehr befahret / und seinen Hoffmeister diese Begegnis erzehlet. Baldamann solte ihn abmahnen / so vermahnet er jhn dazu / und ob wol diese zwey Völker die Frantzosen und Hispanier eine natürliche Feindschafft gegen einander haben / so gabe es doch unter diesen zweyen eine heimliche Verständnis / und mehr Vertrauligkeit als zu lässig.

15. Dem Spanier so in dem Castel seine Wachten verrichtet / in dem der Frantzos bey der Frauen schlieffe / wird solches verraten / welcher mit seinen Soldaten sich zu rächen verhoffte / und ungefehr den Hofmeister / so Procopium abholen wollen / begegnet / und nach dem er in die Hand verwundet worden /verjaget. Daß ihn dieser Haubtmann solte nachlauffen / war Spanischer Hoheit zu wieder. Procopius aber nahme diese Lehre / daß das Hauß für ihn nicht sicher / und wolte nicht wiederkommen.

16. Eine Wittib in der Nachbarschafft macht auch mit Procopio Freundschafft / und wil sich mit ihm verehlichen / ungeacht sie erwachsene Kinder / welche ihr die Keuschheit hetten vorpredigen sollen. Ihre Schönheit war gleich den alten Gebäuen / deren Grundseulen noch zierlich / ob man ihnen gleich das Alter ansihet. Baldamann warnt ihn vor einigen versprechen / doch unterliesse er nicht seinen Lust alldar zu suchen / biß ihm die Kinder / aus einrahten ihres Vormunds Gifft beygebracht / den die Aertzte nicht sonder Lebens gefahr von ihm getrieben.

17. Nach dem er kaumlich genesen / fande sich bey ihm / und seinen Hofmeister die Neapolitanische Krankheit / in welcher er zwar nicht das Leben / aber Haare lassen müssen / und hat diese Krankheit solche Beschaffenheit / daß sie einen Anstand / aber niemals Frieden erhandlen lässet / und ist das angedenken eine Straffe / der in der Jugend begangenen Sünden. Nach dem nun dieser Frantzösische Frantzoß / zwey Jahr lang zu Neapoli zu gebracht / wird er wiederrumb nach Hauß erfordert / und reiste also oder entrisse sich aus der Furcht / welche er vor seinen Feinden[92] hatte / deren keiner so viel Hertz in dem Leib / daß er Mann für Mann mit ihm fechten wolte.

18. So bald er nach Hause kommet / wird er mit eines vornehmen Herren Tochter vermählet / Namens Tyranio / und Cerealis die Hochzeiterin / kauffte die Katz in dem Sack / (wie man zu reden pflegt) und wuste nicht / daß dieser kein Kauffmanns Gut / und mit solcher Unreinigkeit beflecket ware / biß sie erfahren / daß ihr durch ehliche Beywohnung das ůbel zugebracht / und daß sie unverschulder weise / mit der Geissel der Unkeuschheit gesteupet worden. Sie ergrimmet sich über ihren Mann / und speihet ihn mit dem Unflat viel Schmäh- und Schandwort in das Angesicht / eröffnet die Sache ihrem Herrn Vatern / der Procopium wil todt haben / und ihn aus dem Hause verjaget.

19. Nach dem eine geraume Zeit vorüber / stellen die Freunde beyderseits eine Gastung an / Tyronio mit seinen Tochtermann zu versöhnen / und als durch den Trunck die Fröligkeit in den Gemütern erwecket wurde / kommt Procopius fällt seinem Schwer-Vater zu füssen / und bittet umb Verzeihung. Tyronio von Wein und Zorn erhitzt / er grimmt dergestalt / daß er das Messer ergreifft und seinen Aidam in die Brust stösset / daß er nach dreyen Stunden den Geist aufgiebet / und Tyronio aus Betrübnis über begangne That von Sinnen kommet. Cerealis liesse sich leichtlich trösten / dann sie ihren Mann sonder abscheuen nicht ansehen oder anrůhren können.

20. Dergleichen Ende haben alle Hurer zu erwarten / deren Lohn hier Motten und Würmer / dorten aber in der ewigen Finsternis / heulen und Zähnklappern /deren Vorbild sie anbesagter Frantzösischen Krankheit haben. Die Warnung sol junge Leute betreffen /welche in fremden Landen / bey vielen Gelegenheiten zu sündigen sich dieses Procopii erinnern sollen / und versichert seyn / daß wie Gott die Keuschheit mit zeitlichen wolergehen begnadet / als an Josepho und Pineas zu sehen / also lässet er auch die Unreinigkeit nicht unbestrafft / und müssen solche Hunde haussen[93] haussen bleiben/ weil nichts unreines in das Himmelreich eingehen wird / wie die Schrift redet.

21. Es schauen die Menschen auf liebliche Zier /

Gott schauet auf Hertzen- und Seelen-begierr

Es schauen die Menschen auf fleischliche Lust

Gott aber sind Hertzen und Nieren bewust:

Es schauen die Menschen auf flüchtigen Schein /

Gott pfleget von bösen entfernet zu seyn.

Es schauen die Menschen auf Hoffart und Pracht /

Gott aber ist selbe zu straffen bedacht.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 88-94.
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