Zweite Szene

[254] HAROLD ernst, in Paletot und Mütze. Guten Abend.

HANS. Guten Abend, Harold. Händedruck. Bitte, leg ab!

HAROLD. Danke. Bleibe nicht lange. Sie setzen sich. – Nun?

HANS. Rauchst du?

HAROLD. Danke.


Er steckt sich eine Zigarre an.


HANS nimmt nervös den Brief wieder vor.

HAROLD. Von deiner Braut?

HANS sieht in den Brief. Hm – –

HAROLD. Ihr schreibt euch wohl oft?

HANS in Gedanken. Hm ... Er liest. »Und dann möcht ich Dich noch fragen, ob ich zum Photographieren das meergrüne Kostüm mitbringen soll, in welchem ich Dir so gefallen habe. Papa hat übrigens Kabinett-Muschel-Format erlaubt, was jetzt so modern ist, verzeih, wenn ich jetzt schließe, aber ich bin zu Meyers zum Tennis geladen und muß mich noch umziehn.« Er sieht Harold an. Hm?

HAROLD. Mein Gott, was willst du! Es ist eben ein junges Mädchen.

HANS. Ja, ja ... Ja


Er schließt den Brief in den Schreibtisch.


HAROLD. Hör mal, Hans ... ich habe dich ... um Entschuldigung zu bitten ... wegen gestern.

HANS. Du!

HAROLD. Ja. Es war unrecht von mir, dir jetzt nachträglich die ... Schliche deiner Herren Vettern zu verraten. Geschehn ist geschehn ...

HANS. Oho!

HAROLD. Ja, Hans. Ich bereue es jetzt sehr, daß ich mich durch meine momentane Empörung hinreißen ließ ...

HANS. Momentane Empörung? Bist du etwa jetzt nicht mehr empört? Willst du sie etwa jetzt in[255] Schutz nehmen? – Harold! Mach mich nicht irre an dir!

HAROLD. Ach Gott, Hans! Ich bin ja leider eben so 'n dummer Kerl, wie du. Immer wieder verfällt man in dieselben Torheiten. Ein anderer wie unsereins würde heilsfroh sein, wenn nur alles fein säuberlich verborgen bliebe.

HANS. Erlaube mir, dir zu bemerken, daß dieser andere eine ziemlich gemeine Seele sein müßte! Ich lasse mir meinen Willen nicht heimtückisch stehlen! Wenn sich in mir der Verdacht regt, daß ich vielleicht ohne Wissen ein großes Unrecht begangen habe ... wenn ich mir vorstellen soll, daß das – Schicksal, unter dem ich fast zusammengebrochen wäre, vielleicht nur ein wohlberechneter Bubenstreich war – dann empört sich in mir alles! Alles! Dann muß ich die Wahrheit erfahren – um jeden Preis – und ich werde sie erfahren! – Er geht durchs Zimmer. Ich war bereits bei Grobitzsch.

HAROLD höchst erregt, steht auf. Hans! Lieber Mensch! Was tust du? Was willst du!

HANS. Die Wahrheit will ich! Ich bin auch ein Mensch und keine Drahtpuppe, die andere im Verborgenen nach ihrem Willen leiten und bewegen dürfen. Ich will mein Leben selber führen, selber leben! – –

HAROLD. Was sagte Grobitzsch?

HANS. Ich traf ihn nicht zu Hause –

HAROLD. Ach dann –

HANS fortfahrend. Aber ich hinterließ ihm, daß ich ihn in dringender, privater Angelegenheit sprechen müsse. Nun wird er ja wohl zu mir kommen: was meinst du?

HAROLD. Zweifellos. Er wird kommen. – Herrgott! Also wirklich! Du willst also wirklich – wenige Tage nach deiner Verlobung – diese alte Geschichte – wieder aufrühren?

HANS. Jawohl! Das will ich! Ich kann nicht anders! Ich will Ruhe haben vor mir selber und als[256] reinlicher Mensch weiter leben: ich will am Rosenmontag meiner Braut als anständiger Kerl frei in die Augen sehn können! Ja: das will ich!

HAROLD schlägt sich gegen die Stirn. Herrgott, was hab ich da angerichtet! – Weißt du, was jetzt bloß noch fehlte?

HANS. Na?

HAROLD. Daß du sie wiedersähest – die Traute ...

HANS lacht laut auf.

HAROLD. Weshalb lachst du?

HANS. Ich habe sie wiedergesehn, mein Lieber ... ich habe sie wiedergesehn! Grad vorhin, als ich vom Scheibenstande kam, ist sie mir begegnet. – Wenn du wüßtest, wie mir zumute wurde ...

HAROLD. Hans!!

HANS. Ja, ja ... laß nur gut sein! Ich danke dem Zufall. – Starr mich nicht so an!

HAROLD. Du – hast mit ihr gesprochen?

HANS. Allerdings. Das heißt: ich werde erst mit ihr sprechen. Er sieht nach der Uhr. Sie wird wohl bald kommen.

HAROLD. Sie kommt? Hierher? In die Kaserne?

HANS nickt. Ich hoffe. Auf der Straße konnten wir uns natürlich nicht aussprechen: ich habe nur in aller Hast auf sie eingeredet, sie hat, glaub ich, überhaupt kein Wort gesagt, ich weiß nicht, ich war sehr erregt. Sie sah mich an, so ... Weshalb sollte sie nicht in die Kaserne kommen? Zu mir? – Ich bitte dich! Hier bin ich mein eigner Herr – sie kennt doch keiner und der Heinrich ist treu wie Gold ...

HAROLD. Hans: das darfst du nicht tun!

HANS. Was?

HAROLD. Du darfst sie nicht wiedersehn.

HANS. Ich muß! Ich kann nicht anders.

HAROLD. Sie wird es längst verwunden haben.

HANS. Das hat sie nicht! Ich habe sie ja gesehn! Nein, nein! Ich muß sie fragen. Ich hätt es gleich tun sollen.[257]

HAROLD. Und jetzt sollst du es nicht mehr! – Laß die Rambergs noch so elende Intriganten sein – laß den wüsten Kerl, den Grobitzsch, meinetwegen ihr Komplize sein – deshalb bleibt sie doch immer die Schuldige. Sie! Vergiß das nicht – du weißt, man hat sie eines schönen Morgens bei Grobitzsch gefunden.

HANS heftig. Hör auf! Was willst du, was soll das alles! Ich fühle in mir das Rechte, was ich tun muß. Ich weiß nur eins: der Gedanke, daß sie – sie, die ich über alles geliebt habe, das Opfer eines – wie sagte das Paulchen? – einer kleinen Notlüge geworden ist – der Gedanke läßt mich nicht ruhn und nicht rasten – ich werde ihn nicht los, weder bei Tag noch bei Nacht. –

Und wer sagt mir denn die Wahrheit? Wem soll ich glauben? Ich weiß ja alles nur durch die Rambergs – sie aber, meine Traute, hat mich früher nie belegen – sie wird es auch jetzt nicht tun. – Geh jetzt.

HAROLD. Nein. Ich gehe nicht. – Hans! Denkst du daran, was du dem Oberst in die Hand versprochen hast?

HANS. Gewiß denk ich daran! Ich habe ihm mein Wort gegeben, daß zwischen der Traute und mir alles aus sei – tot und begraben.

HAROLD. Tot und begraben?

HANS gedämpft. Und das ist es auch. Und das muß es jetzt bleiben – darin hast du recht – und wenn sie unschuldig wäre wie der weiße Schnee ... Wieder lebhaft. Aber kein Oberst und kein Mensch unter der Sonne kann mir verbieten ... mein Gewissen


Er hält, von Harolds durchdringendem Blick irritiert, inne.


HAROLD. Nun? Was denn? Was denn? – Alles kann dir der Oberst verbieten! Alles! Und vor allem dies –: daß du wieder mit der Traute anknüpfst –

HANS. Wer spricht von Anknüpfen ...[258]

HAROLD. Hans! Menschenskind, komm doch nur zur Besinnung! Siehst du denn die Gefahr nicht? Merkst du denn gar nicht, daß du dir das alles nur vormachst ... das mit dem Gewissen, und daß du durchaus die Wahrheit an den Tag bringen müßtest? Merkst du denn gar nicht, daß es im letzten Grunde nur die alte Liebe ist, die dir immer noch im Blute festsitzt? Ja, ja, Hans: Du liebst sie noch, Hebst sie noch immer! Sei auf deiner Hut, Heber Junge: ich bitte dich: sei auf deiner Hut!


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 254-259.
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