Fünfte Szene

[263] VON GROBITZSCH tritt ein. Er sieht sich einen Augenblick prüfend im Zimmer um. Er tritt auf Hans, der ihm entgegenkommt, zu. Sie geben sich die Hand. Guten Abend, Rudorff.

HANS. Guten Abend.

VON GROBITZSCH. Sie ... waren bei mir, wie ich höre. Ich habe sehr bedauert.

HANS. Darf ich bitten.


Er weist ihn auf den Stuhl links vom Tisch.


VON GROBITZSCH. Danke sehr. Er setzt sich links, Hans vor den Tisch, ihm gegenüber. Sie haben's hier ein bißchen kahl, aber na, das dauert ja nicht lange mehr, ist ja nur ein Provisorium. Ich höre, Ihr Herr Schwiegervater steht wegen Ankaufs der Gräflich Baudenschen Villa in Verhandlung?

HANS. Ja, ich glaube ... Ich hab es auch nur so gehört.

VON GROBITZSCH. Aha! Soll 'ne liebe Überraschung werden. Jedenfalls kein übler Kontrast. – Hm. –[263] Aber, Pardon ... Sie – wollten mich in einer ernsten privaten Angelegenheit sprechen?

HANS. Jawohl. Sie sind sehr liebenswürdig, daß Sie gleich zu mir gekommen sind. – Nämlich, Herr von Grobitzsch, es handelt sich um eine Sache, die ... für mich allerdings – tatsächlich sehr ernst geworden ist.

VON GROBITZSCH. Bitte sehr.

HANS. Sie erinnern sich vielleicht ... daß ich im vorigen Sommer kurz nach meinem Kommando in Erfurt ... schon einmal bei Ihnen war, und Sie ... ja ... und Sie um eine gewisse Auskunft bat ... Er senkt die Stimme. in betreff eines jungen Mädchens ... eines Fräulein Reimann.

VON GROBITZSCH. Allerdings.

HANS. Sie ... lehnten es damals ab, mir ... eine Auskunft zu geben ...

VON GROBITZSCH. Ich glaube. Ja.

HANS. Ja ...

VON GROBITZSCH ruhig. Nun – und?

HANS. Ich habe damals den Grund, weshalb Sie zu schweigen wünschten – geachtet. Ich habe wohl gemerkt, daß Sie sich unter keinen Umständen einer ... Indiskretion schuldig machen wollten ...

VON GROBITZSCH unbefangen. Indiskretion? Wieso? – Ach so! Behaglich lächelnd. Ne, wissen Sie, lieber Rudorff: für so zartfühlend müssen Sie mich nun nicht halten! Alles an seinem Platze! Es handelte sich doch schließlich nicht um 'ne Dame, sondern um en Mädel! – Ne, ich will Ihnen was sagen: es paßte mir einfach nicht! Nehmen Sie's mir nicht übel; aber wie kam ich denn dazu, Ihnen quasi Rechenschaft abzulegen? Das ist nicht mein Fall.

HANS sieht ihm mit unterdrücktem Haß in die Augen. Ja – so ... Nun, Herr von Grobitzsch – trotzdem, ich möchte heute trotzdem meine Bitte von damals wiederholen. Auf eine Kopfbewegung von Grobitzsch. Bitte! – Es liegt mir fern, Rechenschaft von Ihnen zu fordern,[264] aber ... ich bin ... ich glaube, die Verhältnisse heute besser zu übersehen als damals. – Um es kurz zu sagen! Ich weiß heute, daß meine Vettern Rambergs, wie sie mir selber gestanden haben, damals den Plan hatten – die bewußte Absicht, es zwischen mir und ... dem jungen Mädchen zum Bruch zu bringen.

VON GROBITZSCH obenhin. So?

HANS. Ja! Der Plan ist ihnen auch gelungen, Herr von Grobitzsch – mit Ihrer Hilfe. Und jetzt möchte ich Sie nur fragen: war Ihnen dieser Plan bekannt?

VON GROBITZSCH erhebt sich. Herr Rudorff! Wie nennen Sie das? Nennen Sie das anders, als von jemandem Rechenschaft fordern? Hab ich Ihnen nicht gesagt, daß es nicht mein Geschmack ist, auf solche Fragen zu antworten?

HANS. Herr von Grobitzsch, Sie wußten, daß ich mit dem Mädchen, um das es sich handelt, ein Liebesverhältnis unterhielt?

VON GROBITZSCH mit erhobener Stimme, in dienstlichem Ton. Herr Leutnant Rudorff! Ich bin nicht hierher gekommen, um mich von Ihnen zur Rede stellen zu lassen!

HANS einlenkend. Aber ich bitte Sie, Herr von Grobitzsch: wir stehen uns doch in diesem Moment lediglich als Kameraden gegenüber. Sie können doch in dieser Sache unmöglich einen dienstlichen Ton anschlagen?

VON GROBITZSCH streng. Ob dienstlich oder kameradschaftlich – jedenfalls lasse ich mir von Ihnen nicht den Ton vorschreiben, in dem ich mit Ihnen zu verhandeln wünsche.

HANS. Es gibt, bei Gott! Dinge, die ausschließlich eine menschliche Behandlung vertragen!

VON GROBITZSCH. Das sind Phantastereien! Das sind Ihre Sentiments! Sparen Sie sich die für Ihre Gedichte oder für Ihr Harmoniumspiel. – Entweder man ist Offizier oder man ist es nicht.[265]

HANS. Ich bin zu allererst ein Mensch mit menschlichem Gefühl –

VON GROBITZSCH unterbricht ihn, scharf. Hören Sie mal, Rudorff! Lassen wir mal jetzt die Redensarten – in der famosen Sache selbst scheinen Sie mir denn doch bedenklich aus der Rolle zu fallen. Was soll denn diese Fragerei? Den Teufel auch: ich hatte nicht die geringste Veranlassung, mir die Mühe zu geben, etwaige Pläne Ihrer Herren Vettern zu durchschaun, ich ...

HANS schnell. Also wußten Sie nichts?

VON GROBITZSCH. Was ich wußte oder nicht wußte, ist meine Sache! Hier handelt es sich um den merkwürdigen Standpunkt, den Sie dieser Lumperei gegenüber ...

HANS. Lumperei?! Es handelt sich –

VON GROBITZSCH unterbricht ihn wiederum. Lassen Sie mich ausreden! Um ein Mädel handelt es sich. Ich will Ihnen mal was sagen, Rudorff – und zwar sage ich Ihnen das als älterer Kamerad und als Ihr momentaner Vorgesetzter. – Ich denke, Sie sind verlobt? Nicht wahr? – Da macht es denn doch einen sehr absonderlichen Eindruck, mit welchem Interesse Sie diese zweifelhafte Weibergeschichte hier wieder auskramen! Wirklich: höchst merkwürdig!

HANS. Für Sie wohl!

VON GROBITZSCH gesteigerten Tones fortfahrend, ohne sich unterbrechen zu lassen. Was kümmert Sie denn überhaupt noch dieses Frauenzimmer? He? Überlassen Sie die Person doch Ihrem Schicksal! Was liegt denn an einem solchen Geschöpf? Die ist bei mir gewesen, wie wahrscheinlich bei einem Dutzend anderer. – Was weiß ich! Dirne bleibt Dirne!


Man hört einen unterdrückten Aufschrei aus dem Schlafzimmer.


HANS macht eine unwillkürliche Bewegung zur Tür.

VON GROBITZSCH. Hm? Was war denn das?

TRAUTE öffnet langsam die Tür. Sie bleibt im Türrahmen[266] stehen. Mühsam zu Grobitzsch, den sie groß ansieht. Sie sind ... schlimmer ... als ein Mörder.

VON GROBITZSCH mit einem bösen Lächeln. Ah ... So ...

TRAUTE ihn voll ansehend. Sie wissen, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe.

VON GROBITZSCH höhnisch auflachend. Ha, ha, ha! Also doch! Sie hier! Dacht es mir beinah ...

HANS. Herr von Grobitzsch –

VON GROBITZSCH lauter. Ha, ha, ha! Ich gratuliere Ihnen! Sind ein Mordskerl!

HANS stark. Herr von Grobitzsch! – Wir haben uns nichts mehr zu sagen. – Verlassen Sie mein Zimmer!

VON GROBITZSCH betroffen – beinah erstaunt. Herr Leutnant Rudorff – Beide sehen sich einen Moment in die Augen. Sie hören noch von mir.


Er geht ruhig ab.


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 263-267.
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