Zwölfte Szene

[159] FRÄULEIN KOPRIVA. Was ist ... lieber Meister ...


Mander sitzt jetzt mit dem hohen Hut und Monokel auf einem Sessel. Vor sich gebeugt und auf die Erde starrend.


FRÄULEIN KOPRIVA. Sie machen mir ja fast bange, wie launisch Sie sind ... wie zerrüttet Sie sind ...

MANDER. Ja ja ... so bin ich ... also auch Ihnen mache ich bange ... den Zweck hatte ich zwar durchaus nicht im Auge ...


Er starrt vor sich hin.


FRÄULEIN KOPRIVA. Was gab es denn wirklich ... nach unserem heiteren Frühstück ... in dieser weinbehangenen Pergola mit der Mater Scholastica ... und Ihrem lieblichen Klosterzögling zusammen ... und dem lustigen Chirurgus obenein ...

MANDER. Ja ... nach diesem heiteren Frühstück ... mit dieser monumentalen Nonne ... und diesem eingeschüchterten Klosterzögling zusammen ... denken Sie denn, daß ich solches Glück jemals in diesem Leben genoß ... niemals ... und bin dabei alt geworden ... und habe noch immer denselben Durst ... und habe noch immer denselben Hunger ... und zersehne mich darnach wie ein Kasteier ...

FRÄULEIN KOPRIVA. Mander ... alt ... jeder wird alt ...

MANDER. Ich habe ein Schloß ... ich halte zehn Diener ... ich hab einen Sohn ... einen lustigen Chirurgus ... und weiß kaum von wem ... einen trockenen Schelm ... und die Tochter trägt auch ein fremdes Gesicht ... hahahaha ... ich habe ja alles ... alles zieht so in Gaukelkünsten vorüber ... das blöde Leben geht ungestillt hin ...[160]

FRÄULEIN KOPRIVA. Sie unersättlicher Mensch ... mein lieber Mander ... da hören Sie mich einmal ... vielleicht haben Sie zuviel Fühlfäden gehabt ... haben alles gleich zu dreist oder auch zu fein betastet ... und haben auch wer weiß was hinter den Dingen gesucht ... und haben vielleicht auch nicht genug Ausdauer gehabt, dahinter zu kommen ...

MANDER. So so so so ... also auch Ihnen erscheine ich wie so ein unverbesserlicher, gaukelnder Flunkerjan ... das fehlt noch am Ende ...

FRÄULEIN KOPRIVA. Hören Sie einmal, lieber Mander ... was Ihr Alter anlangt, so sind Sie nicht alt ... Alter ist überhaupt nur ein Gedankending der oberflächlichen Geister ... der rechnenden Leute ... eine reine Gedankenchimäre ... die der blöde Zahlenfanatiker in uns zum Ballon aufgeblasen hat ... in Argentinien auf den weiten Prärien ist jeder Cowboy grade immer so alt, als er sich fühlt ... und es in Taten beweisen kann ... wenn ich nicht mehr werde frei und froh atmen können ... mich mit meinem Atem nicht mehr frei und froh im Gesange werde hinausgeben können ... gläubig an's Leben und an eine gute Bestimmung ... mich und meine Lebenslust ... und die Lebensschmerzen, die jeder trägt ... und immer wieder die höchsten Gesichte, die auch jeder trägt ... ja ... lieber Mander ... jeder natürlich in seiner Sphäre ... aber das Leben enthält durchaus keine anderen Höhepunkte ...

MANDER aufhorchend. Nachsprechend. Wenn ich mich nicht mehr frei und froh werde hinausgeben können ... mich und meine Lebenslust ... und die Lebensschmerzen, die jeder trägt ... und immer wieder die höchsten Gesichte, die auch jeder trägt ...

FRÄULEIN KOPRIVA. Ja Gott ...

MANDER. Welche Gesichte ... welche höchsten Gesichte ...[161]

FRÄULEIN KOPRIVA. Hahahaha ... jetzt horchen Sie auf ... und möchten womöglich, daß ich Ihnen die Lösung brächte ... Ihnen diese letzten Dinge leibhaftig wie einen Goldtaler in die Hand drückte ... die haben ja leider gar keine Leibhaftigkeit ... sind nur Musik ... man redet ja auch nur so unbedacht hin ... wie Mund oder Herz eben unbedacht redet ...

MANDER springt auf und geht mit gesenktem Kopfe theatralisch auf und ab. Dann erhebt er den Kopf und starrt Fräulein Kopriva dringend an. Welche höchsten Gesichte haben Sie noch ...

FRÄULEIN KOPRIVA. Sprechen Sie nicht so fanatisch ... mein lieber Mander ... ich bin auf solche heiße Art niemals im Leben gefaßt gewesen ... das hat immer auf mich gewirkt wie ein Raubanfall auf ein armes Kind ... außerdem sind auch die Türen offen ...

MANDER. Wenn ich hier bin, kommt niemand herein ...

FRÄULEIN KOPRIVA. Aber ich liebe auch derlei Erregungen ganz und gar nicht ...

MANDER. Ja ... Starrt vor sich hin mit dem Kopfe nickend. denn hier beginnen die irdischen Mächte ...

FRÄULEIN KOPRIVA. Ach ... Mächte hin, Mächte her ... das ist was Schreckliches, diese Mächte ... ich kenne schließlich die ewigen Versicherungen und die weichen Sehnsüchte dieses irdischen Lebens auch ... die narren uns immer ... die führen uns immer nur irre ... ich mag das nicht ... Sie, lieber Mander, haben im Leben mit wer weiß was für Menschen und Dingen ewig gespielt ... ich spreche mich auch nicht frei davon ... ganz und gar nicht ... wir spielen immer ... und spielen alle ... nein nein ... werfen Sie ja den Bann ruhig wieder von sich ... ich kann bei einem Manne die Hitze noch[162] weniger leiden, als bei einer Frau ... aber immer noch lieber ein tolles Frauenzimmer ... obwohl ich es im Leben niemals gewesen bin ...


Mander hat ihre Hand ergriffen und küßt sie.


FRÄULEIN KOPRIVA. Nein nein nein nein ... das kann nie wahr sein ... gewiß ... ich weiß wohl ... bei Ihrer neuesten Anbetung denken Sie vor allem zärtlich an Ihr liebliches, hingebendes Töchterlein ... und sehnen sich danach, diesem vornehmen, ein bissel heimatlosen Kinde eine ruhige, dauernde Heimat und gewissermaßen einen Familienhalt zu geben in diesem Leben ... das begreife ich alles ...


Er kost dabei ihre Hand, während er den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen hält.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 159-163.
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