Siebente Szene

[193] Beide Diener stehen jetzt rechts und links der Tiefentür. Der Herr Juwelier tritt sofort ein. Mander noch an der Tür stehend, starrt ihn scharf mit Monokel an.


DER HERR JUWELIER gütig und verbindlich lächelnd. Sie haben gerufen ... ich bin allezeit da ... Herr Lionel Mander ...

MANDER kalt. Das fühlte ich wohl, als trüge ich heimlich einen Klumpfuß ...

DER HERR JUWELIER freundlich lachend. Höhnen Sie immer ... wenn wir nur endlich einmal zur Klarheit und Wahrheit kommen, Herr Lionel Mander ...[193]

MANDER geht an seinen Schreibtisch heran. Setzt sich auf den Arbeitsstuhl. Starrt den Herrn Juwelier immer wieder an. Dann erblickt er das Papier, das auf seinem Schreibtisch ausgebreitet liegt. Aha ... hier ist es ... Er vertieft sich hinein. gedulden Sie sich ...

DER HERR JUWELIER. Prüfen Sie nur die Abrechnung durch ... Sie verschwenden Vermögen ...


Die Instrumente scheinen einen Augenblick aufzuwachen wie ein Rückerinnern an die

Gitarrenweise des verklungenen Nachtfestes.


MANDER beim Lesen. Mir fliegen noch immer die unerhörten Festmelodien in meiner Seele herum ... aber das Fest ist jetzt aus ...

DER HERR JUWELIER. Gott ja ... verehrter Herr Mander ... Sie hören unerhörte Melodien immer ... ich höre meiner Natur nach das harte Geklapper hinter all diesen schönen Dingen ... die ehernen Hämmer und Walzen, die diese schönen Gaukelspiele sozusagen erzwingen ... solange es eben nicht den ewigen Stillstand gibt ...

MANDER emphatisch. Aufblickend. Stillstand ... Herr ... Sie sprechen ein Zauberwort ...

DER HERR JUWELIER. Ein Zauberwort ... ja ... Park ... und Schloß ... und Meierhof ... und das lebende und tote Inventar ... kenne ich ja doch Heller für Pfennig ... habe auch diese Nacht wieder nur staunen können, wie geradezu fürstlich alles ist ...

MANDER. Sie haben also soeben noch einmal alles genau besichtigt ... sehr gut ...

DER HERR JUWELIER. Wir sind ja doch in dieser Minute endlich einmal so weit, zur rechnenden Ordnung durchzudringen ...[194]

MANDER. Bitte, lieber Herr Juwelier ... setzen Sie sich ...

DER HERR JUWELIER. Jetzt, wo ich Sie endlich einmal von allen Hirngespinsten enttäuscht vor mir sehe ...

MANDER. Stillstand ... Herr ... Sie sprechen ein Zauberwort ... entfesselt aus allen Ketten ... jaaa ... Mit wehmütiger Stimme plötzlich. ich habe Sie wieder vertrösten müssen ... die Seele ist ein ewig getriebener Frohner ... wissen Sie ... ein Artist wie ich ... ich habe immer lockende Wahnbilder vor mir ... ich vertröste immer ... ich will Ihnen dieses Geheimnis ganz offen sagen ... heute, wo ich den Toten nachlaufe ... der treibende Sturm rast im Menschenblut ... man kann ihn nicht abstellen wie einen Pendel ... hahahaha ... ja ... was fordern Sie jetzt ... Klarheit und Wahrheit fordern Sie jetzt ...

DER HERR JUWELIER. Klarheit und Wahrheit ... lieber Herr Mander ... ich sehe, Sie sind jetzt wirklich entschlossen, als ehrlicher Mann abzugehen ... das Leben als Fürst endlich aufzustecken ... da Sie sich, wie ich die Sache betrachte, von Anbeginn an über die Fürstlichkeit der Verhältnisse immer blutig getäuscht haben ... denn Ihr Leben ist ja doch eigentlich nur ein beständiger Tanz auf dem goldenen Seile ...

MANDER. Jaaa ... aber Chancen gibt es viele ... das müssen Sie mir zugute halten ... und außerdem wußten Sie ja doch ganz genau, daß Sie allein die Schlußrechnung machen würden ...

DER HERR JUWELIER. Diese Frage an sich berührt mich gar nicht ... das macht mir weder heiß noch kalt ...

MANDER sehr bedächtig. Ganz natürlich ... das nehmen Sie ruhig so hin als den Lauf der Dinge ...[195]

DER HERR JUWELIER. Das Papier besagt alles ... die nackte Notwendigkeit ist jetzt da ... Ihr Schloß ist mein Schloß ... Ihr Besitz ist jetzt mein...

MANDER zögernd. Und Sie meinen weiter ...

DER HERR JUWELIER. Das ist nicht meinen... das ist wirklich ... obwohl das furchtbarste Wort in meinem Blute noch immer herumirrt ... und den Ausgang nicht findet ... denn ich weiß ja durchaus noch nicht, wieweit Sie selber entschlossen sind, die Sache ohne Skandal zu Ende zu bringen ...

MANDER. Ohne Skandal ... jaaa ... ohne Skandal ... obwohl ich doch weiß, daß sich schließlich die rechnenden Mächte auch auf jeden Skandal oder seelenzerreißendes Lamento und dergleichen hitzige Lebenserscheinungen pfeifen würden ... wie ich »diese ewigen, ehernen, großen Gesetze« kenne ...

DER HERR JUWELIER. Ja ... vielleicht ist es so in dieser göttlichen Welt ...

MANDER. Sagen Sie das entscheidende Wort ...

DER HERR JUWELIER. Der Rock am Leibe gehört nicht mehr Ihnen ...

MANDER. Es gehört nichts mehr mir ... ich weiß es ... ich weiß es ... ich selber gehöre nicht mehr mir ... verlangen Sie noch mehr Klarheit und Wahrheit ...

DER HERR JUWELIER. Das sage nicht ich ... das ist die Gerechtigkeit, die hat gesprochen ... barmherziger kann auch ich nicht sein ... Sie sind ein Bettler...[196]

MANDER ist aufgestanden und geht sinnend hin und her. Ich bin ein Bettler ...

DER HERR JUWELIER. Ich habe das Leben nicht gemacht ... ich kann mir wohl denken, daß ein Herr wie Sie eine solche Lebenslage durchaus nicht verträgt ... daß Sie vielleicht an letzte Auswege denken ... daß Sie jetzt womöglich daran denken, was nach solchem Gaukelspiele von Leben einem Manne von Größe noch zu tun bleibt ... Sie sind ein Bettler...

MANDER spricht plötzlich wie zu sich selber. Halblaut. Würde, Lionel Mander ... in diesem einen Augenblick ... Würde ... Er ermannt sich plötzlich. also ... Er setzt sich wieder an den Schreibtisch und unterschreibt. hier ... meine Unterschrift ... die Eintragung Ihres Namens auf meine lebenden und toten Dinge habe ich soeben bezeugt und unterschrieben ... da ist das bindende Dokument ... Er erhebt sich, geht wieder meditierend hin und her. Plötzlich sieht er eine rote Rose am Boden liegen. da ... eine Rose ... oh ... die Rose ... wie sie mich so unsäglich anzieht ... jaaa ... die mystische Rose ... haben Sie je über dieses Mysterium nachgedacht ...

DER HERR JUWELIER starrt Mander lächelnd an. Nickt dann beständig mit dem Kopfe. Greift behutsam aus seiner Tasche ein Etui hervor. Lacht. Oh ja ... ich trage auch die geheimnisvolle Rose immer bei mir ... von Rosenrubinen eingefaßt ...


Er hält ihm das Etui hin.


MANDER steckt sich die gefundene Rose an. Hahahaha ... das ist wirklich zum Lachen ... also auch Sie ... auf Wiedersehen ... Er versinkt wieder in theatralische Meditation. ein Leben, was mir nur Gaukelspiele brachte, bin ich schon längst aus tiefstem Grunde überdrüssig ... Er schreitet mit gesenktem Kopfe zur linken Tür. An der Tür dreht er sich um. darum flüchte ich mich ...


Er starrt den Juwelier jäh an, nimmt Hoheit an, geht links ab. Von beiden Dienern gefolgt.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 193-197.
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