Sechste Szene

[211] GEORGINEL kommt hastig herein. Oh ... Muttel ... er schilt dich ...

DER DOMORGANIST wieder scheu und dumpf für sich. Ich brauche nicht Mutter ... noch irgend jemand ... ich treibe ein Geschäft aus der eigensten Quelle ... führe ewig nur Krieg mit anmaßlichem, höflichem Bürgervolke ... mit diesen dreisten, aufdringlichen Hungerleidern und Alleswissern ... Er spielt auf dem Flügel ein Motiv, anklingend an die Orgelmusik. ja ... faß es noch einmal ... und war ein Schneeball, der schon zur Lawine anschwoll ... ein Keim, der zum Riesenbaume erwuchs ... verjagt jetzt der Zauber ... und alles war in mir ... erbrauste schon herrlich ... Lacht vor sich hin. verschüttet die Tonpracht ... Lacht wieder. verjagt von der Mutter ... Er sucht tastend und anschlagend auf dem Klavier und schreibt einen Augenblick. Wirft den Bleistift fort. Weiter dumpf. garnichts ... Leere ... blödes Geklapper ... Er klagt auf. das ist Verrat ... ihr werdet mir meine Schöpferstunde nicht wiedergebären ... so geht es immer ... ich hasse den ganzen Bürgeranhang, der das Allerheiligste eines schaffenden Menschen mit plumpen Fußtritten überrennt ... Wieder dumpf gemessen. ich werde aus diesem Hause ziehen ... fliehen einfach ... vor allen Menschen ... Er nimmt Hut, Überrock und Stock von der Wand. Zieht den Überzieher an. ich gehe ... lieber ziellos hinaus in die schweigende Nacht ... unter die Sterne ...

DIE MUTTER ängstlich. Sohn ... bleib doch ... morgen fällt es dir wieder ein ...[211]

DER DOMORGANIST. Niemals fällt es mir wieder ein ... jede meiner Sekunden ist einzig ...

DIE MUTTER. Josua ... bist wie besessen ...

DER DOMORGANIST. Besessen ... das bin ich ... rücksichtslos und besessen bin ich ... sonst bereitet man sich von der Erde zum Himmel den Weg nicht ...

DIE MUTTER. O Gott Gott Gott ... ich kenn deine Wege ... wenn du wieder fortläufst ... jetzt ... in die Nacht ...

GEORGINEL schnell entschlossen. Doch scheu. Josua ...

DER DOMORGANIST hört nicht. Ach ... Er tastet wieder nach Tönen. ein grandioses Motiv ... ein neu offenbartes Motiv ... aus dunkelsten Sehnsüchten aufgesprungen ... solch Blitzlicht genügt, ein Meer von Tonwogen zu entfesseln ... Wieder jäh aufbegehrend. ich könnte schreien vor Schmerz ... nach diesem Einen ...


Er hat Hut und Stock beiseite geworfen.


GEORGINEL verlegen lachend. Ratlos zur Mutter blickend. Wieder entschlossen. Josua ... Kindlich. sieh deinen Goldfinger an ...

DER DOMORGANIST. Gar nichts von Golde hab ich am Leibe ... wenn ich schaffe ...


Er hat den Überrock ausgezogen. Hängt ihn fort.


GEORGINEL lacht hell. Du Verleugner ...

DER DOMORGANIST. Auf allen Wegen ... Menschen sind mir völlig egal ... Menschen können mir, was ich brauche, doch nicht geben ...

GEORGINEL ängstlich. Verzweifelt. Muttel ...

DIE MUTTER. Du machst dir keinen Begriff, wie dieser Mensch ist ...[212]

DER DOMORGANIST dumpf. Größenwahnsinnig ist er ... sag 's nur ... sag 's nur ... das ist sein Schicksal ... das nennt man Berufung ...

GEORGINEL scheu. Muttel ... was ist zu tun ...

DER DOMORGANIST. Gar nichts zu tun ist ... wenn das Schönste zerschlagen ... wenn nie erhörte Harmonien aus Gottes Dunkeln zerschlagen ...

DIE MUTTER empört. Ein solcher Zustand ... kannst du dir einen solchen Zustand überhaupt anders erklären, als daß der Mensch richtig irrsinnig ist ...

DER DOMORGANIST streicht sich nervös grabend viele Male über die Augen. Macht die Augen weit auf. Ist plötzlich schüchtern. Wer ... Georginel ... ach du ... Georginel ...


Georginel verlegen. Kindlich. Die Mutter, indem sie gegen die Mitteltür retiriert.


GEORGINEL. Josua ... sieh mich ...

DIE MUTTER schon in der Tür. Für sich. Das ist nämlich so ein Brautempfang bei einem Genie ... Gott sei Dank ... jetzt sieht er ... Sie drückt sich hinaus. Durch die Tiefentür ab.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 211-213.
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