Siebente Szene

[213] DER DOMORGANIST betrachtet spröde Georginel. Streichelt ihr scheu am Ärmel herab. Du ... bist es also ... Georginel ... was soll man denn tun sonst ... der Mensch kann nicht beliebig nur so in die Abgründe greifen ... er glaubt und wartet ... und ist nie Meister ... und hat den Augenblick nie in der Hand ...

GEORGINEL scheu. Mutter hat mich gerufen doch ... ich war so froh, zu dir zu reisen ...[213]

DER DOMORGANIST breit lachend. Ja ja ... die Mutter hat dich gerufen ... du sollst mich zähmen ... morgen ist großes Amtsgeschäft ... eine tausendmal schon gespielte Totenmesse von irgendeinem soll grade ich so mitten hinein zelebrieren ... und du wirst neben mir gehen ... und ich werde fromm sein ... der wohlbestallte Domorganist ... Er lacht plötzlich grell. Reißt ihre Hand an sich. Hält sie überzärtlich und sinnlich an den Mund. Hände ... wie Blumen ... ganz wunderbare ... fein zugespitzte ... mit Wonnefurchen zärtlich durchzogen ... Mäusefellchen sind nicht so weich wie deine Hände ... weiße Rosen sind nicht so bleich wie deine Hände ... und blaue Adern ... perlmutterhaft ... qui voit ses veines, voit ses peines ... Er erhebt seinen Blick. Immer mehr aus der Neigung des Kopfes, weil er sein Gesicht ganz leidenschaftlich auf die Hände gedrückt hatte. Mund von Purpurmohn ... Er tritt plötzlich zurück. wie ein schlanker Akanthusstengel bist du erwachsen ... zween Rehzwillinge voll und prall ... wie Weizenhügel die Hüften ... wie eine schimmernde Frucht aus Fleische ist so ein lockender Mädchenleib gemacht ... ja ... ich bin Künstler ... ich sehe durch deine Kleider hindurch ... und wahrhaftig Mann auch ... tausendmal hungrig nach solcher Frucht ... Er lacht. du könntest zehn Bürgermänner verführen ...

GEORGINEL beschämt. Warum es mich nur mit allen Fasern zu dir zieht ... erwache, Josua ... blind bist du ... deine Seele ist fortgeflogen ... erwache zu deiner Seele ... sonst fliehe ich ...

DER DOMORGANIST in sich. Sublimes Mädchen ... ja doch ... keusch noch ... wie eine verblichene Nonne stehst du erschrocken ... ich begreife ... Männergriffe haben deine nackte Pracht noch niemals lädiert ... so muß eine Braut sein ... Braut ... kein Dämon ... Er lacht für sich und von oben.

GEORGINEL. O nein ... du ... ich fliehe ... Sie springt zur Tiefentür.

DER DOMORGANIST wie erschrocken. Ich verletzte dich wohl ... Er wendet sich wieder ab. verwirf mich doch nicht ... ich ringe mich durch ... ich bin noch jenseits ... ich laufe Musik nach ... [214] Er hat sich ins Sofa sinken lassen. streichle mit deinen sanften Händen mir Haar und die Stirn ... Er gibt sich ihrer zögernden Güte ganz hin. Er ist neu aufgesprungen. mache mich sanft ... der schaffende Mensch ist jeder Gewalttat ausgeliefert ... du willst mein Seelenfreund sein ... so lerne die tiefste Stunde mir hüten ...


Er setzt sich und spielt wie einen vierstimmigen, hellen Frauenchor zögernd wie ein Kind mit drei, vier Fingern. Das Motiv wieder an die Orgelmusik der Vision kindlich erinnernd.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 213-215.
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