Dritte Szene

[236] Der Seminarist erscheint. Die bunte Mütze lotterig auf dem Kopfe. Bleibt stier stehen. Den Meister anglotzend. Taktiert mit.


DER DOMORGANIST erstarrt, ihm einen Schritt näher rückend. Die Schuhe erst aus ... unhörbar für dich ist die höchste Musik ... Schüler ... Phantast ... Ehrfurcht will ich ... Plötzlich ganz ordinär. mach mir keen Schmus vor ... Er schlägt ihm eine Ohrfeige. hier springt die heilige Quelle ...[236]

DER STROLCH lachend. Hier springt die heilige Quelle ...

DIE ZIGEUNERIN lachend. Da hust du die heilige Quelle ... du griiner Laffe ... hust dich wuhl mit der frechen Kellnerin rumgedrickt ... hust wuhl das Unmaß von des Meister Gnadenspende glicklich wieder herausgegeben ... schlimm genug, daß du sulchen Unband zum Meister hust ...

DER STROLCH. Herr Domorganist ... wir wollten doch Hand in Hand wie zwei gute Kinder zu Muttern laufen ... wer hat uns in dieses Grabgewölbe gebracht ... wo blieb denn die Mutter ... wo blieb denn der reinliche Sonntagstisch ... Er lacht. wo blieb denn das liebliche Sonntagskind, das Ihrer wartet ... wer sieht noch mich an ... Sie sind der Dämon ... Sie der Verführer ... Sie haben neu Ihr Gelübde gebrochen ... Er lacht. Gelübde ... Lachend. Gelübde ... die Welt voll Gelübde ...


Der Seminarist hat den Domorganisten angestarrt. Dann läuft er schnurstracks auf den Stuhl, wo er weint und schluchzt.


DER STROLCH. Heulen und zähneklappern ... das tun die Jünglinge noch ... sie wollen noch die steinerne Sphinx versöhnen ...

DER SEMINARIST erhebt sich. Trotzig plötzlich aufgereckt. Nein ... Meister ... Ihr habt mich dreist geschlagen ... ich heule doch nicht ... ich brauch noch nicht heulen ... ich werde meinen Weg schon finden ... wer so von seinen Zielen erfüllt ist ... ich kenne den Weg ... ich bin nicht zerknirscht ... ich brauche noch nicht auf Ahnengräbern Schwüre zu stammeln ... in den Staub will ich knieen ... wie Sie ... vor dem Fetisch ... Musik soll mein Ziel sein ... auf Tod und Leben will ich ihr dienen ... genau wie Sie ... Sie wissen sehr wohl, ich vermag schon manches ... meine geehrten Herren ... ich kann schon manches ... denken Sie nur an gestern vormittag ... an den Sonntagvormittag ... ich[237] hätte die Totenmesse glänzend zu Ende geführt ... des Meisters Mutter und die allerlieblichste Braut haben zuerst geglaubt, ein Engel vom Himmel wär in der Not auf der Orgelbank des Meisters erschienen ... oh ... ich war wirklich erfüllt wie nie ... mein Leben hätte mir in dem Augenblicke gar nichts gegolten ... um des Meisters Ehre zu retten ... Leben und alles ... Genuß und wer weiß was ...

DIE ZIGEUNERIN lachend zum Meister. Du versaimst deine Gurten und Stricke ... grußer Meister ... er kummt dir schun iiber ...


Der Seminarist geht plötzlich mit einem hochmütigen Sichabwenden zum Piano, das links am Pfeiler steht. Setzt sich und spielt von den sechs kleinen Variationen Beethovens in G-Dur das Thema, die erste und vierte Variation. Ohne Wiederholung. Die fünfte Variation mit Wiederholung.


DIE ZIGEUNERIN. Huuh ... Sie horcht. oooh ... Sie klatscht in die Hände. huuh ... selig machst du mit deinem Getön ... aaach ... ganz sinnlos machen mich deine Klänge ... ich wullte die Welt jitzt neu umarmen ... spiele nicht weiter ... ich muß sunst heulen vur Glick ... die Engel kummen ... Sie hat die Hand plötzlich vor die Augen gelegt und schluchzt. nicht duch ... nicht duch ... spiele nicht weiter ...

DER STROLCH steht beiseite. Nimmt sich scheu den Kranz vom Kopfe. Sagt bebend. Ich begehre nicht Kränze des Ehrgeizes weiter ...


Wirft den Kranz heimlich beiseite. Greift scheu nach Hut, Stock und Ränzel. Wendet sich heimlich zum Gehen.

Der Seminarist reckt sich streng. Hört auf. Blickt sich um. Erhebt sich mit stolzer Gebärde. Und schreitet sicher und stolz hin und her.


DER STROLCH an der Tür scheu. Ich mag 's nicht mehr leben ... das Leben zerfleischt mich ... das spielt mir meine Komödie vor ... das will mir meine Gräber aufreißen ... mit meinem Bürgerleben hab ich bezahlt... fort aus allem gierigen Menschengedränge ... nichts als vogelfrei will ich mehr sein ... von Gotte begehre ich meine Erhöhung ... Er stürmt hinaus. Ab.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 236-238.
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