Neunte Szene

[81] WENDELBORN. Nun also los ... mit meiner hohen Rede ... lieber Tobby ... ich müßte nämlich nicht Philipp Wendelborn heißen ... mir aus der Welt der Vorteile und Zwecke dieses Lebens nie das Allergeringste ... um so mehr aber aus der lieblichen Kunst der Verklärung dieses armen Daseins gemacht haben ... nein ... so komme ich nicht weiter ... ich ahne nicht nur ... dein Zustand beweist mir, daß du wieder einmal in den tiefsten Schmerzen deiner Sehnsucht lebst ... daß dein innerstes Gefühl aufgescheucht ist ... daß du nach etwas fahndest, was dir mehr gilt als alles Leben ... und aller Scharfsinn und aller Reichtum dazu ...

BUNTSCHUH. Philippchen ... diese Luisa und alles derartige Weibsvolk ist mir immer völlig zuwider ...

WENDELBORN. Jag sie in die Sümpfe, wo sie hingehört ...

BUNTSCHUH. Du kannst das gut sagen ... um dich reißen sich alle ... die Bösen und die Guten ... du hast in dir eine solche Fülle von Liebe und Güte, die alle einfach zu dir verlockt ...

WENDELBORN. Tobby ... nun also klar ... warum kamst du also nicht mehr zum Souper ... bloß um Fräulein Luisa nicht mehr zu begegnen ...[81]

BUNTSCHUH. Ich hatte nur einen einzigen, tödlichen Gedanken immer ... an die kleine, sanfte Radiana dachte ich nur immer ...

WENDELBORN. Jetzt mache ich mir wirklich Vorwürfe, Tobby ... das hätte ich mir, weiß Gott, gleich von Anfang an denken können, daß deine Leidenschaft wieder einmal ernster dich zernagen würde, als sie so plötzlich wie vom Himmel gefallen vor uns stand ... selbstverständlich hat dir dieses stutzige Ding in seiner köstlichen Unnahbarkeit den tiefsten Eindruck gemacht ... aber warum sprichst du davon nicht offen ... warum verschließt du dich gegen mich ... hältst du mich etwa ... pa ... für einen Gauner ... hattest du mich etwa schon im Verdacht ... weil ich sie doch durchaus mitbringen wollte ... und weil ich sie nirgend mehr finden konnte ... lieber Kerl ...

BUNTSCHUH. Philippchen ... ich hasse diese Luisa ... ich hasse alle Frauenzimmer, die nur nach dem Goldregen in den Schoß hungern ... ich sehne mich nur nach dieser kleinen Radiana ...

WENDELBORN. Radiana ... du ... ja ... hahahaha ... das wird eine Königstochter sein ... verkappt als Gauklerdirne ... du bist ja doch aber auch so ein sonderbarer König ... warum solltest du nicht diese Gauklerdirne heiraten ... du hast ja schließlich nach nichts weiter als nach deinem Glücke zu fragen ... ganz im Ernste ... vielleicht ist das Mädelchen in seiner Seelenreinlichkeit geradezu extra für dein Glück gemacht ... tapfer ... wahr und klar ... streng könnte man sagen ... so jung die ist ... ihr Gefühl läßt die sich nicht trüben ... aber, Tobby ... daß du dabei offenbar mich in dein Mißtrauen und deine Eifersucht plötzlich einschließt ...

BUNTSCHUH. Ich hab doch immer wieder vor dem Hotel gestanden ... und ewig auf dich und sie gelauert ...[82]

WENDELBORN seine Erinnerung suchend. Ja Gott ... Radiana hat mir unversehens einmal die Hand geküßt ... nun ... und das war, wie ich mich jetzt sehr genau erinnere, als ich meinen Freund Tobias Buntschuh in alle Himmel lobte ... und sie ist doch auch ausdrücklich über deine Parkmauer geplankt ... nicht um mich, sondern um dich genau zu betrachten ... Fährt auf. gestern nacht ... du ... ich hatte ja doch erst bei der Kleinen ewig in der Garderobe gesessen ... weil sie es hartnäckig ablehnte, mit zu deinem Souper zu kommen ... und schließlich mußte ich ihr noch nachlaufen in die Nacht ... hahahaha ... armer Hungerleider ... du hast also wirklich einsam, in deinen Mantel gehüllt, beständig vor dem Hotel gelauert ... Mensch ...

BUNTSCHUH. Und wie ich dich dann ohne sie kom men sah ... so eilig mit dem Auto kommen sah ... und so befriedigt ...

WENDELBORN. Dachtest du, ich hätte dich schon mit ihr betrogen ...

BUNTSCHUH. Bin ich völlig von Sinnen geraten ...

WENDELBORN. Ich habe sie ja gar nicht mehr finden können ... hatte mir ja nur unsinnig die Zeit verrannt ... hahahaha ... mir fällt ein Stein von der Seele ... Gott sei Dank ... daß wir uns wieder offen und gerade ins Auge sehen ... ich hätte dich wirklich besser kennen sollen ... weiß ja doch, daß du gerade in einer solchen Lage empfindsamer und züchtiger und verschwiegener bist wie ein Gralsritter ... nun nochmals, lieber Tobby ... im Ernste ... gewinne sie dir ... sie wird ja doch kommen ... du kannst sie dann prüfen ... wirst sie natürlich wie eine zarte Teeblüte behandeln ...

BUNTSCHUH. Philippchen ... ob sie sich wohl ihr Herz aus der Brust reißen ließe für einen armen Aussätzigen wie ich bin ... ob sie wohl ihr Leben hingeben[83] möchte, um mich noch einmal zu einem strahlenden, schlanken, gesunden Manne zu machen ...

WENDELBORN. Tobby ... es gibt Fragen, die kann der größte Narr nicht beantworten ... die kann nur der Glückliche erleben ... vor wahrer Liebe, die sich für Leben und Seele des andern völlig verwirft, steht man vor dem Kleinod, das auch der Goldschmied Wendelborn noch nicht zu fassen vermag ... hahahaha ... aber ich sag dir, Tobby ... darin herrscht in dieser Welt auch manchmal noch die tollste Verwirrung ... denn manchmal fällt gerade auf den leersten Esel die keuscheste, reinste Seele ...


Buntschuh sitzt jetzt ganz in sich eingehockt und demütig da.


WENDELBORN streichelt ihn. Tobby ... ruhe dich jetzt von dieser schrecklichen Irrfahrt aus ... leg dich jetzt schlafen ...

BUNTSCHUH während er sich zögernd erhebt, den Spiegel herausgenommen hat und wieder hineinstarrt. Vor der linken, tieferen Tür. Philippchen ... gucke mir über die Schulter ... gucke mit in meinen Silberspiegel hinein ... sieh dir die eklige Denkspinne an ... graule dich nicht ... und dann sage es mir noch einmal, ob du wirklich für mich noch Hoffnungen hegst ... dann will auch ich wieder glauben ...


Er wendet sich mit dem Blick wieder nach Wendelborn.


WENDELBORN bleibt auf der Stelle stehen und schließt nur seine Augen. Ich trage ja deine drollige Leiblichkeit in meine Augen eingeätzt ... geliebter Tobby ... ich sehe dich schon bei geschlossenen Augen ganz genau ... bis auf den Floh auf deiner Nase ... nun also ... so sage ich dir ... träum dir die kleine, graue Motte einstweilen ins Dunkel deines Schlafzimmers hinein ... daß sie dir über deinem Bette Ruhe fächle ... Lotte Grasmück scheint auch ein Sonderling wie du ... sie scheint vom Leben gar nichts zu erwarten ... will wohl nur gutmütig irgendeinem Geliebten dienen ... Mit anderem Tone. aber, Tobby ... dein verfluchtes Mißtrauen ... diese[84] richtig eingekerkerte Eifersucht ... darin bist du unheilbar ... vielleicht wirst du nie wissen, was Liebe ist ... deswegen wirst du auch nie wissen, was ein Narr der Freundschaft ist ... und daß ich dein Freund bin in allen Lagen ...

BUNTSCHUH. Setze mir ihr kindliches, gläubiges Herz in meinen zerdrückten Brustkasten ein, damit mein Leben noch einmal neu werde ... lieber Freund ...


Er geht ab, von Wendelborn bis an die Tiefentür links begleitet.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 81-85.
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