Funfzehnte Szene


[693] Bürgermeister Hermann Nördlinger kommt mit Nothhafft von Wernberg.


BÜRGERMEISTER. Ja, Herr Ritter, so läuft nun alles seit jenem unseligen Katharinen-Abend, wo wir den Pöbel mit in den Rat aufnehmen mußten, bei uns durcheinander! Perlen und Erbsen in einem Sack, der Herzog wird das Ausklauben mühsam finden, mich wundert, daß er kommt!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Ihr habt Euch noch immer nicht gewöhnt? Es ist doch schon lange her.

BÜRGERMEISTER. Noch nicht lange genug, daß die Hoffnung auf die Rückkehr der guten alten Zeit schon ganz erstickt sein sollte. Seht den Dicken da, das ist der Zunftmeister der Bäcker, der macht die Ehre der Stadt. Seht doch hin! Wenn er dem ankommenden Gast, den er zu begrüßen hat, nicht mit seinem Stierkopf den Brustkasten einstößt, so zerschmettert er einem schon anwesenden ganz sicher durch den Kratzfuß das Schienbein! Was sagt Ihr? Ists nicht, als wenn ein Pferd ausschlüge? Und das sollte man gewöhnen!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Ihr hättet Euch besser wehren sollen!

BÜRGERMEISTER. Wir wurden überrumpelt! Kaiser und Reich hätten uns besser beistehen sollen! Was nötigte die Majestät, den vermaledeiten Zunftbrief, der uns abgezwungen wurde, hinterher mit Ihrem Siegel zu versehen? Wir hatten genug zu tun, daß wir uns nur nicht selbst unter die Metzger und Handschuhmacher aufnehmen lassen und unsere alten Namen mit neuen vertauschen mußten. Denn das wurde verlangt.[693]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 693-694.
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