Sechste Szene

[333] MARINA ihr nach.

Nicht doch! Er hält durch mich um Olga an!

DEMETRIUS.

Marina, keinen Hohn! Ich kenne mich

Und kenne dich und werd in meinem Traum

Viel eher noch an einem Regenbogen

Den Sternenhimmel zu erklettern suchen,

Als mir aus eitlen Hoffnungen die Brücke

Erbaun, die mich hinüber führt zu dir!

MARINA.

Wie feierlich für einen halben Bruder!

DEMETRIUS zieht eine Schleife hervor.

Hier ist die Schleife, die dir jüngst entfiel,

Du hast es nicht bemerkt, ich hob sie auf,

Damit sie nicht im Staub zertreten würde,

Doch fürchte nichts, sie wurde nicht befleckt,

Ich habe keinen Kuß darauf gedrückt,

Ich hab sie nicht auf meiner Brust verwahrt,

Denn ich bin viel zu stolz in meinem Sinn,

Mir gegen deine Schleife zu erlauben,

Was ich nicht wagen dürfte gegen dich!


Reicht sie ihr.[333]


MARINA.

Behalt sie nur!

DEMETRIUS.

Als rotes Band, nicht wahr?

Es sei! Sowie ich dir den Hänfling fange,

Bringt er es dir an seinem Hals zurück,

Das hab ich gleich beschlossen, als ichs fand,

Doch sind die Sprenkel auch noch heute leer.

MARINA.

Du wunderlicher Mensch!

DEMETRIUS.

Ich bin nun so!

Ich setz mich lieber auf die nackte Erde,

Als auf den Stuhl des Bauern, trinke lieber

Aus hohler Hand, als aus dem Napf des Knechts,

Und such mir lieber Beeren für den Hunger,

Als daß ich schwelge, wo der Bettler zecht! –

Marina, laß mich deine Locken küssen!


Er tritt auf Marina zu.


MARINA weicht zurück.

Du meinst, sie zürnen noch von ehmals dir?

Nicht doch, sie haben keinen eignen Willen,

Sie mußten mit verzeihn, als ich verzieh.

DEMETRIUS.

Was mahnst du mich an diesen Knabenstreich!

Und doch, ich danke dirs. Wer mich verklagt,

Gibt mir das Recht, mich zu verteidigen.

So hör denn, was ich dir zu sagen habe,

Du kennst die Missetat, doch nicht den Grund.

MARINA.

Ich bin bereit, den strengen Spruch zu mildern,

Wenn dieser Grund die Schuld verringern kann.

DEMETRIUS.

Als ich an jenem Morgen bei dir stand –

MARINA.

Was für ein Morgen wars? Was sichert ihm

Den Platz in unserm christlichen Kalender?

Ich weiß nun schon! Mein Abschied von der Puppe,

Wir zeigten unser mannhaft-starkes Herz.

DEMETRIUS.

Ich weiß nicht, wie mir ward –

MARINA.

Es ist zu lange!

DEMETRIUS.

Mich faßte die unsäglichste Begier,

Dich zu berühren, doch mir fehlte plötzlich

Der Mut, die Hand noch einmal zu ergreifen,

Die ich im Spiel schon tausend Mal ergriff –

MARINA.

Natürlich! Wenn ein Mädchen seine Puppe

Verschenkt, gebietets auch Respekt! Du konntest[334]

Nicht ahnen, daß ichs gleich nachher bereute

Und mich noch sehnte nach dem letzten Kuß.

DEMETRIUS.

Ich schlich mich hinter dich und wickelte

Die Hand in deine Locken –

MARINA.

Damals nanntest

Du sie noch Haare, oder wurden sie

An jenem großen Morgen umgetauft?

DEMETRIUS.

Ich drückte sie und hatte ein Gefühl,

Als könnten sie, wie Finger, wieder drücken –

MARINA.

Und ich, ich stand geduldig still?

DEMETRIUS.

Du blicktest

Dem Kinde nach, das fröhlich mit der Puppe

Von dannen hüpfte –

MARINA.

Voll von Reu und Schmerz.

DEMETRIUS.

Auf einmal flog von einer Rosenhecke

Ein Schmetterling empor –

MARINA.

Weiß oder rot?

DEMETRIUS.

Dem sprangst du plötzlich nach, bevor ichs ahnte

Und deine Locken ließ, und tatst dir weh.

MARINA.

Und warum wird mir alles dies erst heute

Vertraut und nicht in jener schweren Stunde,

Wo ich Maschinka rief und sie dich schalt?

DEMETRIUS.

Die Scham verschloß des Knaben Mund, ich hätte

Mich eher züchtgen lassen, als bekannt.

MARINA.

Es kam nicht ganz so weit!

DEMETRIUS.

Vergib mir denn,

Daß ich der ersten Probe halb erlag,

Die andre hab ich rühmlicher bestanden

Und gestern in der letzten ganz gesiegt!

Du siehst mich lächelnd und verwundert an?

Du weißt nicht, was ich meine? Gestern abend

Gingst du noch spät allein hinab zum Garten –

MARINA.

Mich abzukühlen! Ja, ich leugn es nicht.

DEMETRIUS.

Ich schlich dir nach –

MARINA.

Gewiß mit einem Messer

Bewaffnet, um vor Wölfen mich zu schützen!

Ich danke dir! Sie sind im Wonnemond

Bei uns so häufig, als im Winter selten![335]

DEMETRIUS.

Und du erschienst mir schön, wie nie zuvor,

Als du den dunklen Lindengang durchschwebtest,

Bald hell vom Mond bestrahlt und bald vom Schatten

Der breiten Bäume wieder eingeschluckt.

Leuchtkäfer tanzten gaukelnd um dich her,

Sie hüpften auf dein Kleid und hüpften ab,

Es war, als ob du selbst die Funken sprühtest,

Und hubst du deine Augen auf zum Himmel,

So tauchten alle Sterne sich hinein.

MARINA.

Wie gut, daß man sich selbst bei Nacht nicht sieht,

Sonst hielt ich mich vielleicht schon für ein Bild,

Womit man keine Spatzen scheuchen kann,

Wenn man es in die Erbsen-Felder stellt.

DEMETRIUS.

Marina, frevle nicht! Du weißt recht wohl,

Daß Könige sich eher um dein Lächeln,

Als um das Reich der Polen schlagen werden –

MARINA.

Halt ein! Sonst höre ich zu lächeln auf.

DEMETRIUS.

Ich schlich dir leise nach von Baum zu Baum –

MARINA.

Welch Glück, daß ich nicht mit mir selber sprach.

DEMETRIUS.

Und mich ergriff, wie einst den armen Knaben,

Unsägliche Begier, dich zu berühren!

Da fiel, von einem milden Lindenzweig,

Der dich im Fluge streifte, losgenestelt,

Und dann vom Hauch des Abends fort getragen,

Die Schleife dicht vor meine Füße hin.

Ich griff nach ihr und führte sie zum Munde,

Doch eh ich sie noch küßte, rief ich aus:

Die kann sich ja nicht wehren! und gelobte,

Sie durch den Vogel an dich heim zu senden,

Um den du mich denselben Tag ersucht!


Nach einer Pause.


Marina, laß mich deine Locken küssen!

MARINA weicht wieder zurück.

Ernst?

DEMETRIUS.

Doch! O doch! Ich fordre nichts von dir,

Als was du geben kannst, und wenn du auch

Als Braut schon morgen zum Altare trätest –

MARINA.

Wann sagt ich nein und nahm das Wort zurück?

DEMETRIUS.

So küsse deine Hand und reich sie mir![336]

MARINA.

Das tat ich nie, und darum tu ichs heut!


Sie küßt ihre Hand.


DEMETRIUS ergreift ihre Hand und drückt einen Kuß darauf.

Nun lebe wohl! Nun leb auf ewig wohl!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 333-337.
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