Vierte Szene

[242] BENJAMIN ihm nachsehend. Man siehts! Hundert Taler! Ja, wenn ich sie aufzutreiben wüßte, ich würde sie geben. Dann hätt ich den Stein mit Ehren und mit Sicherheit. Aber selbst diesen einen Taler würd ich nicht haben, wenn ich nicht aus Versehen heut morgen die Hose meines Bruders angezogen und das Geldstück, nebst dem Schlüssel, womit er zu klimpern pflegt, in der Tasche gefunden hätte. Das kommt von der Ehrlichkeit! Hätt ich gestohlen, gewuchert, betrogen, wie andere, so könnt ich nun einen Handel machen, der mich auf zeitlebens mit Reichtum überschütten würde. Aber man wollte besser sein, als Vater und Großvater, dafür steht man denn jetzt auch mit leerer Ficke da und erinnert sich all der schönen Gelegenheiten, wo man sie hätte füllen können, mit Ingrimm und Verdruß. Fehlte es mir etwa daran? Bin ich tugendhaft aus schnödem Mangel an Versuchung? Wahrlich, nein! Hat mir nicht einmal ein ehemaliger Schulkamerad den Schmuck, den er seiner Mutter entwendet hatte, anvertraut, ohne Empfangschein und alles, und hat er mir nicht sogar, als ich ihm den Schmuck wieder aushändigte und ihm dabei lächelnd bemerkte, daß ich ihn, wenn es mir beliebte, auch wohl behalten könnte, wegen dieses unschuldigen Worts undankbarer Weise die Freundschaft aufgekündigt? Hab ich nicht ein ander Mal mit höchster[242] Geschicklichkeit in der Residenz auf der Messe einem Fremden die goldene Uhr aus der Tasche gezogen, und hab ich sie ihm, weil mir plötzlich allerlei Edles und nebenbei auch der Galgen in den Sinn kam, nicht ebenso geschickt wieder hinten in die Rocktasche hinein geschoben und mich stolz von ihm abgewandt? Hätt ich Schmuck und Uhr behalten und zu Gelde gemacht, so würde ich jetzt um hundert Taler nicht verlegen sein. Ehrlicher Name! Ich habe dich lange genug gemästet und bin mager geblieben, um dich fett zu machen, aber heute sollst du daran! Ich will sehen, ob du dir was auf die Rippen gefressen hast, ich will sehen, ob der Benjamin von gestern, der noch keinem Menschen was nahm, den Benjamin von heute, der, wenn er kein Narr ist, nicht ohne diesen Diamanten von hinnen gehen wird, mit dem Schild seines spiegelblanken Rufs gegen Verdacht und Anklage schützen kann. Oder soll ich das Glück auch dies Mal von mir weisen, soll ich Er tuts. dem Edelstein den Rücken und der blauen Luft das Gesicht zukehren? Er wendet sich. Nimmermehr! Meine Tugend würde vor Gott hinterdrein doch zunichte werden, denn ich würde sie bereuen, sooft ich geflickte Stiefel oder einen gestopften Rock anziehen müßte, und am Ende zwängen mich Hunger und Not, ein Paar elende Pfenninge zu stehlen, um mir Brot zu kaufen, weil – hol mich der Teufel, es wär die verdiente Strafe dafür, daß ich den Diamant nicht gestohlen hätte! Allerdings stiehlt keiner mit gutem Gewissen. Aber bin denn gerade ich derjenige, der beim Himmel keine Anleihe machen, der nicht die kleinste Schuld kontrahieren darf? Kann ich sie ihm nicht wieder abverdienen, kann ich nicht der Vater der Bedrängten werden, kann ich nicht als Beschützer der Unschuld – Ha, Taten schweben mir vor! – Ein Schurke, der sie nicht ausführt, und also auch ein Schurke, der sich des Mittels nicht bemächtigt, ohne das sie unmöglich sind! Ich werde – – Ja, so wahr – Wozu prahlen und schwören? Wirds der Bauer etwa auch tun? Der Bauer, der den Willen gar nicht haben kann, weil er ja nicht einmal den Gedanken hat? Was steh ich denn noch mit dummen krummen Fingern! Ist eine Sünde, die mit lauter Tugenden niederkommt, noch Sünde zu nennen? Wenn aber nicht das, was wäre sonst zu bedenken? Der Bauer darf[243] nicht klagen, denn sein Huhn hat den Stein gewiß nicht aus Michels Misthaufen hervor gescharrt, und es heißt Dieb gegen Dieb. Nur eins ist zu befürchten, daß er mir nacheilt und mir das Kleinod wieder abjagt, denn meine Fäuste hat er mitbekommen, wie ich sein Gehirn. Doch, da ist zu helfen. Er verschluckt den Diamant. So. Holt er mich nun ein, so habe ich den Stein verloren. Was kann man nicht verlieren, wenn man Lunge und Leber ausnimmt? Ohnehin ist der Wald nah. Den Taler laß ich liegen. Dann ists immer noch eine Art von Kauf. Nun fort, aus dem Dorf, und, sobald als möglich, aus dem Lande heraus! Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 242-244.
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