Zweite Szene

[265] KILIAN allein. Das ist nun das dritte Mal, daß ich den Menschen ermahne. Es hilft nichts, man muß ihm anders kommen. Morgen mags noch hingehen, denn er ist noch einen Tag für[265] mich mit dem Heumachen beschäftigt, aber übermorgen schmeiß ich ihn ins Loch. Es saß ohnehin schon lange keiner mehr darin, und die Ratzen werden gar zu übermütig, wenn man ihnen nicht dann und wann zeigt, daß das Gefängnis nicht für sie allein da ist. Der alte Kasten wird seinen Eigensinn bald brechen, es gibt keinen bessern in der Welt, man braucht die Missetäter nur hineinzusetzen, so bekennen sie alles, bloß um wieder herauszukommen, bevor er zusammenbricht und sie erschlägt. Man bringe mir Räuber, Mörder, die ärgsten Frevler: ich verbürge mich, daß sie in sich gehen werden, sobald der Wind aus Nordost bläst. Darum laß ich auch nichts daran reparieren, keine Fuge zustreichen, keinen Dachziegel einhängen. Er kramt unter Papieren. Ei, ei, Kilian, du hast ja das neue Mandat noch nicht gelesen! Er nimmts und liest. Königliche Majestät vermissen einen Diamant; wer ihn wieder liefert – – Er wirfts fort. Was quäl ich meine alten ausgedienten Augen! Auf dem Lande gibts keine Diamanten-Diebe, denn es gibt keine Diamanten- Kenner, mich ausgenommen, und ich bin niemals in der Königlichen Schatzkammer gewesen, also habe ich auch nichts daraus gestohlen. Er sieht noch einmal ins Mandat. Man soll forschen, passen – Er wirfts wieder von sich. Ich könnte höchstens die Elstern und Starmätze herunterschießen lassen, die etwa vorüber fliegen, die sollen ja zuweilen Edelsteine und Kleinodien im Schnabel bei sich führen.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 265-266.
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