Erste Szene


[633] Soliman und Khalf treten vor.


KHALF.

Er wird doch noch gehängt!

SOLIMAN.

Er wird es nicht!

KHALF.

Ho! Ho! So sicher, als es Stricke gibt!

SOLIMAN.

So sicher nicht, als Allah Allah ist!

KHALF.

Setzt Ihr das Kalb, das Ihr von Eurer Kuh

Erwartet, setzt Ihrs an das Füllen,

Mit welchem meine Stute geht? Ich biete

Die Wette!

SOLIMAN.

Nein!

KHALF.

Dann denkt Ihr auch, wie ich!

SOLIMAN.

Gewiß nicht! Doch ich will nicht, daß ein Mensch

Aus Eigennutz ihm Böses wünschen soll,

Und ginge ich die Wette ein, so würdet

Ihrs tun.[633]

KHALF.

Gleichviel! Er wird noch heut gehängt!

SOLIMAN.

So dacht ich diesen Morgen auch, als ich

Aus meiner Tür trat und ihn stehen sah,

Den Strick schon um den Hals, und den Kadi,

Argwöhnisch passend, neben ihm. Doch, als

Auf einmal, von Trompetenschall verkündigt,

Der Herold nun dahergeritten kam

Und ausrief: Haltet ein, denn heute soll

Kein Todesurteil hier vollzogen werden,

Eh der Kalif es selbst bestätigt hat!

Da jauchzt ich wieder auf, und klar erkannt ich

Den Finger Allahs!

KHALF.

Wirklich?

SOLIMAN.

Ist es denn

Nicht wunderbar? Das erstemal verschluckte

Die Erde ihn, es sah zum wenigsten

So aus, und jetzt – – In diesem Jüngling steckt

Was ganz Besondres, glaubt es mir! Das Lamm,

Das gestern, als er kaum verschwunden war,

An seiner Statt hervortrat aus dem Nebel,

Schneeweiß und schuldlos um sich blickend,

Hat etwas zu bedeuten!

KHALF.

Wunderbar

Ists auch, daß Ihr, der Ihr von ihm beraubt seid,

Ihn so in Euren Schutz nehmt! – Dennoch – Habt

Ihr den Kadi Euch angesehn? Der ließ

So ab von seiner Beute, wie der Tiger,

Wenn er den Löwen hört! Einstweilen zaudernd,

Doch immer noch zum Sprung bereit. Und –

SOLIMAN.

Nachbar,

Ich mögt zu Mittag gern was essen können!

Hört auf, wir werdens sehn! – Ich bin begierig,

Obs wahr ist, was man vom Kalifen sagt.

Unglaublich scheint es mir. Noch nie stieg einer

Von seinem Thron herab, und wurde Derwisch,

Wenn ihn kein Bruder dazu zwang!

KHALF.

Man konnte

Darauf gefaßt sein![634]

SOLIMAN.

Meint Ihr?

KHALF.

Nun, man weiß

Ja, was man weiß!

SOLIMAN.

Ihr tut geheim!

KHALF faßt sich an den Hals.

Ich habe

Den äußerst lieb!

SOLIMAN.

Und glaubt Ihr, daß Ihr mir

Nicht trauen dürft?

KHALF.

Man sollte niemand trauen!

Es ist schon schlimm genug, daß man sich selbst

Nicht zwingen kann, gefährliche

Geheimnisse beizeiten zu vergessen.

Im Fieber hat schon mancher ausgeplappert,

Was ihn, wenn die Besinnung wiederkehrte,

Auf die Genesung gern verzichten ließ.

SOLIMAN.

Ihr treibt es weit! Was ists?

KHALF.

Wißt Ihr etwas,

Das Ihr zu meiner Sicherheit im Tausch

Dagegen setzen könnt? Ihr schweigt? So schweige

Ich auch!

SOLIMAN.

Ihr könnt schon was erfahren haben,

Denn Euer Sohn ist des Kalifen Arzt,

Seit ihm die wunderbare Kur gelang!

KHALF.

Ach, wär ers nicht!

SOLIMAN.

Wieso? Ich denke doch,

Er wird nicht karg beschenkt!

KHALF.

Nur hat er leider

Die Kunst noch nicht entdeckt, den Arzeneien

Den widerwärtigen Geschmack zu nehmen,

Und der Kalif nimmt nie ein Mittel ein,

Das seinem Gaumen widersteht.

SOLIMAN.

Das ist

Denn freilich schlimm!

KHALF.

Ich denks! Für einen Arzt,

Der mit dem Kopf für des Kalifen Leben

Zu haften hat und der, sobald er stirbt,

Gehängt wird!

SOLIMAN.

Dies ist doch wohl nicht zu ändern![635]

Was könnte wohl den Arzt so eifrig machen,

An des Kalifen heiliger Person

Nichts zu versäumen, als die Furcht vorm Strick!


Im Pavillon erscheinen Mohrenknaben.


SOLIMAN.

Im Pavillon wirds laut!

KHALF.

Hinweg! Er kommt!


Sie ziehen sich zurück.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 633-636.
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