[636] In den Pavillon treten der Kalif und der Vezier nebst Gefolge ein.
DER VEZIER.
Herr, nimm mir meinen Kopf!
DER KALIF.
Warum denn, Alter?
DER VEZIER.
Er will es nicht begreifen, daß du recht tust!
DER KALIF.
Ich tu, was ich nicht lassen kann!
DER VEZIER.
O, laß dich
Beschwören!
DER KALIF.
Spar das! Mein Entschluß steht fest!
DER VEZIER.
Du in die Wüste ziehn! Ein Derwisch werden!
DER KALIF.
Führ mir Fatime her! Dann unterbleibts!
DER VEZIER.
Man wird sie sicher noch entdecken!
DER KALIF.
Nie!
Seit sie verschwand, verstrich ein ganzes Jahr!
DER VEZIER.
Und wenn denn nicht – Schon mancher Vater hat
Sein Kind verloren!
DER KALIF.
Ja! Doch an den Tod!
DER VEZIER.
Ist das nicht noch viel schlimmer?
DER KALIF.
Abubeker,
Du willst nicht, daß ich Derwisch werden soll
Und sprichst, als wär ichs schon.[636]
DER VEZIER.
Wenn meine Zunge
Durch Widerspruch mich um den Kopf gebracht,
So dank ichs ihr. Ich brauch ihn nur so lange,
Als ich dir dienen darf und geb ihn jetzt
Mit Freuden hin!
DER KALIF.
Sprich immer zu! Zwar trage
Ich heute noch die Krone Mahomeds,
Allein ich tus zum letztenmal und will
Gern zum voraus mich an die Zeit gewöhnen,
Wo man in mir nur noch den Greis erblickt.
DER VEZIER.
Das muß ich hören! Erde, tu dich auf
Und schlinge mich hinab!
DER KALIF.
Vezier! Ich habe
Dir nie gesagt, warum ich etwas tat!
DER VEZIER.
Du winkst, und wir gehorchen! So geziemt sichs!
Dir legt es Allah in das Herz!
DER KALIF.
So ists!
Wir Potentaten sind für ihn dasselbe,
Was ihr für uns seid; wenn wir tun,
Hat er gedacht! Drum ist es auch gewiß
Kein Märchen, daß es einen Apfel gibt,
Den nur ein König essen kann, der jedem
Zu Gift wird, der nicht unsresgleichen ist.
Ich ließ die Welt schon längst nach ihm durchforschen,
Wer weiß, wie bald man mir ihn bringt!
DER VEZIER.
Was soll
Er dir?
DER KALIF.
Du fragst? Wenn ein Empörer sich
Erhübe, und, auf Lug und Trug gestützt,
Im Pöbel Anhang fände, brauchte man
Nicht erst das ungewisse Schwert zu ziehn:
Man zöge diesen Apfel bloß hervor
Und lüde ihn zum Essen ein!
DER VEZIER.
Wie kannst
Du an Empörung denken? Lebt der Mensch
In deinem Reich, der, wenn du ihm gebeutst,
Den Bauch sich aufzuschlitzen und die Schnur
Sich um den Hals zu legen, auch nur wagt,
Nach dem Warum zu fragen?
DER KALIF.
Das ist wahr!
Allein, es kam schon vor!
DER VEZIER.
Nur nicht bei uns!
Nur nicht in Bagdad! Muß ich dich, o Herr,
An die Moschee erinnern, die dein Vorfahr
Am Tigris aus den Schädeln seiner Feinde[637]
Erbaun ließ nach der großen Christenschlacht?
Fehlt ihr die Krone? Sind, als es zuletzt
Gebrach an Köpfen, Tausende nicht gleich
Herbei geströmt, von heilgem Eifer voll,
Und haben ihren eignen dargebracht?
Und ist das Denkmal seiner Herrlichkeit
Nicht auch ein ewges Denkmal unsrer Treue?
DER KALIF.
Dein Ahnherr ging den übrigen voran
Du darfst dran mahnen!
DER VEZIER.
Und dies treue Volk
Willst du – – Nein! Nein! Du kannst es nicht!
DER KALIF.
Ich habe
Dir nie gesagt, warum ich etwas tat!
Jetzt solls geschehn! Ich liebe meine Tochter
Nicht bloß, weil dies ein Vater immer tut,
Und auch nicht bloß, weil sie die einzge ist,
Der ich, verzeih, mich ganz vertrauen darf,
Ich tus noch weit mehr ihrer Mutter wegen,
Denn diese ihre Mutter habe ich
Im Rausch – es war mein erster und mein letzter! –
Erschlagen!
DER VEZIER.
Herr der Gläubigen! Es war
Ein Weib und deine Sklavin!
DER KALIF.
Habe sie
Erschlagen, ohne sie, die im Harem mir
Noch stets die liebste war, auch nur zu kennen,
Bin dann auf ihrem Leichnam eingeschlafen,
Als obs ein Kissen wär, und hätt ihn fast
Mit mir emporgerissen, als ich morgens
Erwachend aufsprang, ihre langen Locken
Vom Abend her noch um die Faust gewickelt,
Und ganz durchnäßt von ihrem kalten Blut!
DER VEZIER.
Je nun! je nun! Du hast dein Kleid gewechselt
Und auf dem nächsten Sklavenmarkt Ersatz
Für die Verlorene gefunden!
DER KALIF.
Freilich!
Doch wünschte ichs aus meinem Leben weg!
Ja, Abubeker, ja! Der Koran spricht:[638]
Du sollst die Mutter deiner Kinder ehren,
Und das gilt mir, wie dir!
DER VEZIER.
Du hast dafür
Die Tochter, welche sie dir hinterließ,
Mit unbegrenzter Zärtlichkeit beglückt.
DER KALIF.
Ja wohl! Doch eben darum kann ich sie
Auch nicht entbehren, und gewiß ward sie
Mir nur entrissen, um die frühre Schuld
An mir zu strafen. Ich versteh den Wink
Und suche mir das Paradies zu sichern,
Indem ich selbst die Buße noch verdopple,
Und auch aufs Reich verzichte. Das ist nicht
So schwer, wie es dir scheinen mag! Du kennst
Mein Fieber nicht!
Für sich.
Ich zittre nachts im Traum
Vor Euch, wie Ihr bei Tag vor mir! – Auch glaub ich,
Daß mir mein Kind vielleicht zum Lohn dafür
Zurückgegeben, daß es wenigstens
Der Welt zurückgegeben und nicht länger
Für meine Sünden leiden wird!
DER VEZIER.
Weh uns!
DER KALIF.
Verdammt sei, wer die erste Traube preßte!
Ein Teufel sitzt in jedem Tropfen Wein.
Ich kostete nur einmal das Getränk,
Das der Prophet verbot, und jetzt noch trifft
Der Fluch mich. Doch ich hätte mich vielleicht
Auf dem verruchten Pfad der Neuerung,
Den ich verwegen eingeschlagen hatte,
Noch weit verirrt, wenn diese ernste Mahnung
Zur schnellen Umkehr nicht gekommen wäre.
Jetzt klammerte ich fest mich ans Gesetz,
Wie der Ertrinkende sich an den Balken,
Und daher rührts, daß ich mit Feur und Schwert
Jedweden, der sich von der alten Weise
Auch nur um einen Fingerbreit entfernt,
Vertilge. Ich erfuhr, wohin es führt.
DER VEZIER.
Du bist der Hort des Glaubens. Soll der Glaube
Des Horts entbehren? Dies erwäg noch, Herr!
DER KALIF.
Dem Glauben ist sein ewger Hort gewiß.[639]
Ich will die letzten Pflichten jetzt erfüllen,
Damit ich ruhig ziehen kann. Zunächst
Ernenne ich Ägyptens Pascha noch,
Da ich den jetzgen Pascha, meinen Bruder,
Auf meinen Thron berief. Laß sämtliche
Emire kommen!
Der Vezier winkt.
Buchempfehlung
Vor dem Hintergrund einer romantisch idyllischen Fabel zeichnet der Autor individuell realistische Figuren, die einerseits Bestandteil jahrhundertealter Tradition und andererseits feinfühlige Persönlichkeiten sind. Die 1857 erschienene Bauernerzählung um die schöne Synnöve und den hitzköpfigen Thorbjörn machte Bjørnson praktisch mit Erscheinen weltberühmt.
70 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro