Sechste Szene

[645] FATIME im Hintergrunde.

Halt! O, halt!

ASSAD.

Welch eine Stimme!

DER KALIF.

Tochter!

FATIME fliegt an seine Brust.

Mein Vater!

DER KALIF.

Bist dus? Habe ich dich wieder?

FATIME.

Danks diesem Jüngling! Er erlöste mich

Aus eines Zaubrers fürchterlicher Macht!

DER KALIF.

Er?

ASSAD mit innerlichem Hohn.

Ich!

DER KALIF.

So dank ichs ihm, wie ichs gelobt.

Ich war bis heut Kalif.


Zu Assad.


Du bist es jetzt!

DER VEZIER macht eine Bewegung des Erstaunens.


DER KALIF.

Hast dus nicht selbst verkündigt? Oder brach

Ich je mein Wort? Tät ichs, so stellte ich

Ja unter meinen letzten Sklaven mich,

Denn jeden andern zieht ein Höherer

Zur Rechenschaft, ich bin der Höchste selbst!

So sprach mein Ahnherr einst! So sprech auch ich!

DER VEZIER.

Wohl! Doch –

DER KALIF.

Er ist des Raubes angeklagt!

Was tuts? Wenn er Kalif ist, hat er alles

Und kann solch eine Tat nicht mehr begehn!

Drum –


Er legt sein Purpurgewand und sein Diadem ab und gibt es dem Vezier.


DER VEZIER nähert sich Assad und will ihn bekleiden.

Demutvoll –

ASSAD tritt zurück.

Ich habe nichts zu fordern!


Er wendet sich gegen Fatime.


Wohl hätt ich gern den letzten Tropfen Bluts

Für dich verspritzt, doch ward mirs nicht so gut,

Und wer auch immer mit dem Zaubrer kämpfte,

Ich war es nicht!

FATIME.

Warfst du den Stein nicht weg?[646]

ASSAD bitter.

Das tat ich! O, das tat ich! Weißt dus schon,

Und gönnst mir doch noch einen Blick und lächelst

Mich freundlich an? Das habe ich verdient!

Von Raserei der Eifersucht erfüllt –

Ja, ja, der Eifersucht, ich! – schleuderte

Ich ihn hinunter in den Fluß und wußte

Doch längst, daß er dein holdes Selbst umschloß.

Pfui über mich! Nie werd ichs mir verzeihn!

FATIME.

Nie wird er sichs verzeihn und hat mich doch

Dadurch erlöst! Dies war das einzge Mittel!

Wer den Rubin besaß, der sollte ihn

Wegwerfen, wie der Knab den Kieselstein!

Das war des Zaubrers letztes Wort zu mir,

Das ich, gefrierend, noch mit Graun vernahm.

Der Zauber war gesprengt, sobald ers tat,

Doch Edelsteine hält ein jeder fest.

Dies machte mich so hoffnungslos.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 645-647.
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