Zweite Szene

[220] HAGEN.

Nicht um die Welt!

GUNTHER.

Warum nicht, wenn sie will?

HAGEN.

Wenn sie nicht wollte, könntest du sie zwingen,

Denn auch der Witwe Hand vergibst du frei.

Doch eher ließ ich sie in Ketten schmieden,

Als zu den Heunen ziehn.[220]

GUNTHER.

Und warum das?

HAGEN.

Und warum das! Die bloße Frage schon

Macht mich verrückt. Habt ihr denn kein Gedächtnis?

Muß ich dich erst erinnern, was geschah?

GUNTHER deutet auf Ute.

Vergiß nicht –

HAGEN.

Deine Mutter? Gleisnerei!

Sie weiß es längst! Ei, wenn sie mir die Hand

Seit unsrer Jagd nicht einmal wieder reichte,

So hat sie dich ja auch wohl nicht geküßt.

GUNTHER.

So ists. Und da du selbst in deinem Trotz

Den dünnen Nebel zu zerblasen wagst,

Der das Geheimnis unsres Hauses deckt;

Da du das kümmerliche Grün zertrittst,

Das diese blutge Gruft besponnen hat,

Und mir die Knochen in das Antlitz schleuderst;

Da du den letzten Rest von Scham erstickst,

Und höhnend auf die giftge Ernte zeigst,

Die aufgeschossen ist aus deiner Saat:

So habs denn auch, daß ich einmal die Brust

Mir lüfte, daß ich dich und deinen Rat

Verfluche und dir schwöre: wär ich nicht

So jung gewesen, nimmer hättst du mich

So arg betört, und jetzt, jetzt würd ich dir

Mit Abscheu das verbieten, was ich damals

Aus Schwachheit, nicht aus Haß, geschehen ließ.

HAGEN.

Ich glaubs, denn jetzt ist Brunhild längst dein Weib.

GUNTHER.

Mein Weib! Ja wohl! Sie ist so weit mein Weib,

Als sie mir wehrt, ein anderes zu nehmen,

Doch sonst –

HAGEN.

Gibts ein Geheimnis hier für mich?

GUNTHER.

Kann sein! Wie sie uns nach der Tat empfing,

Als ich den ersten Becher Weins ihr brachte,

Das weißt du wohl noch selbst: sie fluchte uns

Noch grauenvoller, als Kriemhild uns fluchte,

Und loderte in Flammen auf, wie nie,

Seit sie im Kampf erlag.

HAGEN.

Sie brauchte Zeit,

Um sich hinein zu finden.[221]

GUNTHER.

Als ich sie

Nun mahnte, daß sie selbst es ja geboten,

Goß sie den Wein mir ins Gesicht und lachte,

Wie ich die Menschheit noch nicht lachen hörte –

Wars so? Sonst straf mich Lügen!

HAGEN.

Allerdings,

Dann aber fiel sie um, und alles war

Für immer aus.

GUNTHER.

Ja wohl! So völlig aus,

Als hätt sie ihre ganze Ewigkeit

In diesem einzgen kurzen Augenblick

Durch ihren Feuerfluch voraus verzehrt,

Denn nur als Tote stand sie wieder auf!

HAGEN.

Als Tote?

GUNTHER.

Ja, obgleich sie ißt und trinkt

Und in die Runen stiert. Du hattest recht,

Nur Siegfried war im Weg.

HAGEN.

Ich glaubte – – Nein!

GUNTHER.

Das mildste Wort entlockt ihr nie ein Lächeln,

Und hätt ichs Volkers frischem Liedermund

In einer goldnen Stunde abgefangen,

Das härteste noch minder eine Träne,

Sie kennt den Schmerz und auch die Lust nicht mehr.

UTE.

So ists! Die alte Amme deckts nur zu!

GUNTHER.

Stumpf blickt sie drein, als wär ihr Blut vergraben

Und wärme eines Wurmes kalt Gedärm,

Wie mans in alten Mären hört. Der ist

Jetzt mehr, als seinesgleichen, und sie selbst

Ist weniger, unendlich weniger,

Bis ihn in hundert oder tausend Jahren,

Wie's blind der Zufall fügt, ihr Fuß zertritt! –

Du magst dich freuen, Gerenot, dir ist

Die Krone der Burgunden schon gewiß,

Sie bringt mir keinen Erben.

HAGEN.

Steht es so!

GUNTHER.

Du wunderst dich, daß dus erst jetzt erfährst?

Ich trug das alles still, doch heute hast

Du selbst das Licht ja auf den Tisch gestellt:[222]

Nun reiß die Augen auf und sieh dich um!

Im Hause Groll und Zwiespalt, draußen Schmach,

Entdeckst du mehr in irgend einem Winkel,

So zeig mir deinen Fund.

HAGEN.

Ein ander Mal.

GUNTHER.

Doch von der Schmach kann diese Werbung uns

Erlösen, und so wahr ein Schwan sich taucht,

Wenn er das klare Wasser vor sich sieht,

Und sich den Staub aus dem Gefieder wäscht,

So wahr auch will ich dieses Werk betreiben,

Wie ich noch nichts auf dieser Welt betrieb.

HAGEN.

Mein König, eins von beidem kann nur sein:

Entweder liebte Kriemhild ihren Gatten,

Wie nie ein Weib den ihren noch geliebt –

GUNTHER.

Ich bin der letzte, der dir dies bestreitet,

Ich kenne Unterschied!

HAGEN.

Dann muß sie uns

Auch hassen, wie ein Weib noch niemals haßte –

GUNTHER.

Uns? Dich vielleicht!

HAGEN.

Sie unterscheidet wohl!

Und wenn sie uns so haßt, so muß sie brennen,

Es darzutun, denn selbst die Liebe ist

So gierig nicht nach Kuß und nach Umarmung,

Wie grimmger Haß nach Mord und Blut und Tod,

Und wenn der Liebe langes Fasten schadet,

So wird der Haß nur immer hungriger.

GUNTHER.

Du kannst es wissen.

HAGEN.

Ja, ich weiß es auch,

Und darum warn ich dich!

GUNTHER.

Wir sind versöhnt.

HAGEN.

Versöhnt! Nun, bei den namenlosen Göttern!

Wenn ich dein Mann, dein treuster Mann nicht wäre,

Wenn jeder Tropfen meines Blutes nicht

So für dich pochte, wie das ganze Herz

Der übrigen, wenn ich, was du erst fühlst,

Wenn es dich trifft, nicht immer vorempfände,

Und tiefer oft, wie du in Wirklichkeit:

Jetzt würd ich schweigen und nicht einmal lachen,[223]

Denn selbst die Warnung, die im Hohn noch liegt,

Verdient solch eine Rede nicht! Versöhnt!

Ja, ja, sie bot die Wange endlich dar,

Weil


Er deutet auf Giselher und Ute.


dieser täglich bat und diese weinte,

Und – Trankt ihr auch? Ich glaube nicht einmal,

Doch damit war die Rechnung nicht zerrissen,

Nein, die Versöhnung kam als neuer Posten

Hinzu, und nur noch größer ward die Schuld.

UTE.

Du denkst von meiner Tochter, wie von dir!

Du magst die Wange bieten und nur fühlen,

Daß ihr des Mundes giftge Zähne mangeln,

Sie wird das heilge Zeichen nicht entweihn,

Das allem Hader unter Menschenkindern

Ein Ende setzte, seit die Erde steht.

HAGEN.

Die Nibelungen haben ihren Vater

Um Gold erschlagen, um dasselbe Gold,

Das Siegfried an den Rhein gebracht. Wer hätte

Sichs wohl gedacht, bevor sies wirklich taten?

Doch ists geschehn und wird noch oft geschehn.

GERENOT.

Ich hör in allen Stücken gern auf dich,

Nur nicht in dem. Du übertrugst den Haß

Von Siegfried auf Kriemhild.

HAGEN.

Du kennst mich schlecht!

Zeig mir das Land, wovon kein Weg zurück

In unsres führt, ich wills für sie erobern

Und ihr den Thron erbaun, so hoch sie mag:

Nur gebt ihr keine Waffen, muß ich raten,

Wenn sie euch selbst damit erreichen kann.

Glaubt ihr, ich habe ihr den Hort geraubt,

Um ihr aufs neue weh zu tun? O, pfui!

Ich ehre ihren Schmerz und zürn ihr nicht,

Daß sie mir flucht. Wer wünschte sich denn nicht

Ein Weib, wie sie, wer mögte nicht ein Weib,

Das blind für alles ist, solang man lebt,

Und wenn man stirbt, noch mit der Erde hadert,

Weil sie nicht strahlt und leuchtet, wo man liegt.[224]

Ich tats nur, weil es nötig war.

UTE.

Das hätte

Nicht mehr geschehen sollen.

HAGEN.

Die Versöhnung

Ward schlecht dadurch besiegelt, das ist wahr,


Zu Gunther.


Und ob sie dich entschuldigt, weil du kurz

Vorher das Land verließest, weiß ich nicht

Und zweifle fast daran, da du versäumtest,

Den Räuber zu bestrafen, als du kamst!

Doch unterbleiben durft es nicht, sie hätte

Ein Heer damit geworben.

UTE.

Sie ein Heer!

Sie dachte nicht daran.

HAGEN.

Noch nicht, ich weiß.

Sie füllte links und rechts die offnen Hände

Mit Siegfrieds Gold und kümmerte sich nicht,

Ob einer einmal oder zehnmal kam.

Das war das Mittel, Freunde zu erwerben

Und zu erhalten.

UTE.

Das geschah allein

Zu Siegfrieds Angedenken, und man wird

Auf dieser Welt das Bild nicht wiedersehn,

Wie sie in ihrem schwarzen Trauerkleide,

Das schöne, stille Auge immer feucht,

Die Edelsteine und das rote Gold

Verteilte unter die Verlangenden

Und es nicht selten wusch mit ihren Tränen,

Der höchste Jammer, vom Geschick erlesen,

Des höchsten Glückes Spender hier zu sein.

HAGEN.

Dies meint ich eben. Ja, es war ein Bild,

Den Stein zu rühren! Und da Wohltat drückt,

Und jeder, um die Last sich zu erleichtern,

Auf irgend eine Art zu danken wünscht,

So hätte von den vielen Tausenden,

Die sich allmählig um sie sammeln mußten,

Zuletzt wohl einer sie gefragt: Was weinst du?

Um auf den kleinsten Wink das Schwert zu ziehn[225]

Und den zu rächen, der den Wurm erschlagen

Und auch den reichen Hort ins Land gebracht.

UTE.

Und diesen Wink – den hätte Kriemhild je

Gegeben, glaubst du? Ist sie nicht ein Weib?

bin ich nicht ihre Mutter? Ist der König

Ihr Bruder nicht? Und sind ihr Gerenot

Und Giselher nicht wert bis diesen Tag?

HAGEN.

Mir ist, als ob ich Siegfried reden hörte!

Die Raben kreisen warnend um ihn her,

Er aber denkt: Ich bin bei meinem Schwäher,

Und wirft sie mit dem Fuchs und jagt sie fort!

GUNTHER.

Ei was! – Es fragt sich nur, aus welchem Mund

Vernimmt sie wohl das erste Wort am liebsten!


Zu Ute.


Aus deinem, denk ich. Sprich denn du mit ihr.


Alle ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 220-226.
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