Vierte Szene

[226] Ute tritt ein.


UTE.

Schon wieder deine Hand

Im Weizenkorb?

KRIEMHILD.

Du weißt, ich bin dazu

Noch eben reich genug und hab sie gern.

Sie sind mit mir zufrieden, jedes kann

Entfliehn, sobald es will, denn offen steht

Der Käfig, wie das Fenster, doch sie bleiben,

Sogar das Kätzchen, dieses Sonntagsstück

Des arbeitsmüden Schöpfers, das er lieblich,

Wie nichts, gebildet hat, weil ihm der schönste[226]

Gedanke erst nach Feierabend kam,

Und das bei mir zum Kind geworden ist,

Wie sollt ich sie nicht lieben!

UTE.

Immerhin,

Nur tust du Menschen weh. Denn uns entziehst du,

Was du an sie verschwendest, und wir sind

Doch mehr, als sie.

KRIEMHILD.

Wer weiß das? Ist von Menschen

Dem edlen Siegfried einer nachgestorben?

Nicht einmal ich, doch wohl sein treuer Hund.

UTE.

Kind!

KRIEMHILD.

Der verkroch sich unter seinen Sarg

Und biß nach mir, da ich ihm Speise bot,

Als wollt ich ihn zu Missetat verleiten,

Ich flucht und schwur, doch aß ich hinterher.

Vergib mir, Mutter, aber unter Menschen

Ergings mir wohl zu schlecht, als daß ich nicht

Versuchen sollte, ob der wilde Wald

Nicht beßre Arten birgt.

UTE.

Hör davon auf,

Ich hab dir was zu sagen!

KRIEMHILD ohne auf sie zu hören.

Und ich glaubs.

Der grimmge Leu verschont den Schlafenden,

Zu edel hat ihn die Natur gebildet,

Als daß er würgt, was sich nicht wehren kann.

Den Wachenden zerreißt er zwar, doch nur

Aus Hunger, aus dem nämlichen Bedürfnis,

Das auch den Menschen auf den Menschen hetzt,

Nicht, weil er ihm das Angesicht beneidet

Und ihm den freien stolzen Gang nicht gönnt,

Was unter uns aus Helden Mörder macht.

UTE.

Die Schlange aber sticht und fragt nicht lange,

Ob hinten oder vorn.

KRIEMHILD.

Wenn man sie tritt.

Auch kann sie mit der Zunge, die sie braucht,

Um ihren Feind zu töten, ihm nicht schwören,

Daß sie ihn küssen will. Sie führen Krieg

Mit uns, weil wir den heilgen Gottesfrieden[227]

Gebrochen haben, und versöhnen sich

Mit jedem einzelnen, sobald er mag.

Zu ihnen hätt ich, meinen Sohn im Arm,

Mich flüchten sollen, denn den nackten Menschen,

Den Ausgestoßnen und Verlassenen,

Den sein Geschlecht verleugnet und verrät,

Beschützen sie, uralter Brüderschaft

Gedenkend, aus der Morgenzeit der Welt.

In eurer Sprache hätt ich ihm vertraut,

Was man an mir verübt, und sie in ihrer

Ihm zugeflüstert, wie's zu rächen sei.

Und wär er dann, zum Mann heran gewachsen,

Die wuchtge Eichenkeule in der Hand,

Hervor geschritten aus dem dunklen Wald,

So hätten sie ihn alle, wie den König

Die Seinen, in gedrängter Schar begleitet,

Vom Leuen an bis zu dem scheusten Wurm.

UTE.

Man wird ihm auch am Rhein das Fluchen lehren,

Denn Siegfrieds Vater hat das Recht dazu,

Und Siegfrieds Mutter kann es nicht mehr hindern.

Doch besser wärs gewesen, wenn du ihn

Bei dir behalten hättest.

KRIEMHILD.

Schweig, o schweig,

Wenn ich nicht auch an dir noch zweifeln soll.

Ha! Siegfrieds Sohn am Hof der Nibelungen!

Man hätte nicht zu seinem dritten Zahn

Ihn kommen lassen.

UTE.

Du bezahlst es teuer,

Daß du den Trost, den die Natur dir bot,

Von dir gestoßen hast.

KRIEMHILD.

Mir ists genug,

Daß ich das Kind den Mördern doch entzog,

Sobald ich seinen ersten Laut vernahm,

Und nimmer werd ichs Giselher vergessen,

Daß er so treu dazu geholfen hat.

UTE.

Du hast die Strafe, denn du mußt dich jetzt

An die da hängen.


Deutet auf die Vögel.[228]


KRIEMHILD.

Warum quälst du mich?

Du weißt doch wohl, wie's stand. Leg einer Toten

Den Sohn ans Herz und fordre Milch von ihr:

Die heilge Quelle der Natur wird eher

In ihrer starren Brust aufs neue springen,

Als meine Seele aus dem Winterschlaf

Zu wecken war, der nie ein Tier so tief

Bis in das Herz beschlichen hat, wie mich.

Ich war so weit, daß meine Träume sich

Ins Wachen mischten und dem Morgenruf

Des muntren Hahnes trotzten: konnte ich

Wohl Mutter sein! Ich will auch nichts von ihm,

Er wurde nicht geboren, mich zu trösten,

Er soll den Mörder seines Vaters töten,

Und wenn ers tat, so wollen wir uns küssen

Und dann auf ewig auseinander gehn.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 226-229.
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