Zweite Szene

[143] Es geschieht; Siegfried, Gunther, Hagen und Volker treten ein.


BRUNHILD.

Wer ists, der heute sterben will?


Zu Siegfried.


Bist dus?

SIEGFRIED.

Ich will nicht sterben, und ich will nicht werben,

Auch tust du mir zu viel der Ehre an,

Mich vor dem König Gunther zu begrüßen,

Ich bin hier nur sein Führer.

BRUNHILD wendet sich gegen Gunther.

Also du?

Und weißt du, was es gilt?

GUNTHER.

Wohl weiß ich das!

SIEGFRIED.

Der Ruf von deiner Schönheit drang gar weit,

Doch weiter noch der Ruf von deiner Strenge,

Und wer dir immer auch ins Auge schaut,

Er wird es nicht im höchsten Rausch vergessen,

Daß dir der dunkle Tod zur Seite steht.

BRUNHILD.

So ists! Wer hier nicht siegt, der stirbt sogleich,

Und seine Diener mit. Du lächelst drob?

Sei nicht zu stolz! Trittst du auch vor mich hin,

Als könntest du den vollsten Becher Weins[143]

Dir unverschüttet überm Haupte halten

Und mich dabei betrachten, wie ein Bild:

Ich schwöre dirs, du fällst so gut, wie er.


Zu Gunther.


Dir aber rat ich, wenn du hören kannst:

Laß dir von meinen Mägden doch die Recken

Erst nennen, die von meiner Hand schon fielen,

Vielleicht ist mancher drunter, der sich einst

Mit dir gemessen hat, vielleicht gar einer,

Der dich besiegt zu seinen Füßen sah!

HAGEN.

Der König Gunther ward noch nie besiegt.

SIEGFRIED.

Hoch ragt sein Schloß zu Worms am Rhein empor,

Reich ist sein Land an Zierden aller Art,

Doch höher ragt er selbst noch vor den Recken,

Und reicher auch an Ehren ist sein Haupt.

HAGEN.

Die Hand her, Niederland! Das war ein Wort!

VOLKER.

Und wärs dir denn so schwer, dies öde Land

Und seine wüste Meeres-Einsamkeit

Freiwillig zu verlassen und dem König

Aus Höll und Nacht zu folgen in die Welt?

Es ist ja gar kein Land, das noch zur Erde

Gehört, es ist ein preisgegebnes Riff,

Das die Lebendgen längst entsetzt verließen,

Und wenn dus liebst, so kannst du es nur lieben,

Weil du als letzte drauf geboren bist!

Dies Stürmen in den Lüften, dies Getose

Der Wellen, dies Gekeuch des Feuerbergs,

Vor allem aber dieses rote Licht,

Das von der Himmels-Wölbung niederrieselt,

Als strömt es ab von einem Opfertisch,

Ist fürchterlich und paßt nur für den Teufel:

Man trinkt ja Blut, indem man Atem holt!

BRUNHILD.

Was weißt denn du von meiner Einsamkeit?

Noch hab ich nichts aus eurer Welt vermißt,

Und käme das dereinst, so holt ichs mir,

Verlaßt euch drauf, und braucht es nicht geschenkt!

SIEGFRIED.

Sagt ichs euch nicht voraus? Zum Kampf! Zum Kampf![144]

Du mußt sie mit Gewalt von hinnen führen!

Ist es nur erst geschehn, so dankt sies dir.

BRUNHILD.

Meinst du? Du kannst dich täuschen. Wißt ihr denn,

Was ich euch opfern soll, Ihr wißt es nicht,

Und keiner hats gewußt. Vernehmts zuvor,

Und fragt euch, wie ich es verteidgen werde!

Wohl steht die Zeit hier still, wir kennen nicht

Den Frühling, nicht den Sommer, noch den Herbst,

Das Jahr verändert niemals sein Gesicht,

Und wir sind unveränderlich mit ihm.

Doch, wenn auch nichts von allem hier gedeiht,

Was euch entgegen wächst im Strahl der Sonne,

So reift dafür in unsrer Nacht, was ihr

Mitnichten säen oder pflanzen könnt.

Noch freu ich mich des Kampfs, noch jauchze ich,

Den übermütgen Feind zu überwinden,

Der mir die Freiheit rauben will, noch ist

Die Jugend, ist das schwellende Gefühl

Des Lebens mir genug, und eh mich dieses

Verlassen kann, hat mich das Schicksal schon,

Mit Wundergaben unsichtbar mich segnend,

Zu seiner Hohenpriesterin geweiht.

FRIGGA.

Wie wird ihr? Wars genug an meinem Opfer?

BRUNHILD.

Die Erde wird sich plötzlich vor mir öffnen

Und mir enthüllen, was sie birgt im Kern,

Die Sterne droben werd ich klingen hören

Und ihre himmlische Musik verstehn,

Und noch ein drittes Glück wird mir zuteil,

Ein drittes, das sich gar nicht fassen läßt!

FRIGGA.

Du bists, Odin! Du hast ihr Aug entsiegelt,

Weil dir zur Nacht ihr Ohr verschlossen war,

Nun sieht sie selbst, was ihr die Norne spinnt!

BRUNHILD hoch aufgerichtet mit starren Augen.

Einst kommt der Morgen, wo ich, statt den Bären

Zu jagen, oder auch die eingefrorne

Seeschlange zu erlösen aus der Haft,

Damit sie den Planeten nicht zerpeitsche,

Die Burg schon früh verlasse. Mutig tummle[145]

Ich meinen Rappen, fröhlich trägt er mich,

Auf einmal halt ich ein. Der Boden vor mir

Hat sich in Luft verwandelt! Schaudernd reiß ich

Das Roß herum. Auch hinter mir. Er ist

Durchsichtig. Farbge Wolken unter mir,

Wie über mir. Die Mägde plaudern fort.

Ich rufe: Seid ihr blind, daß ihr nichts seht?

Wir schweben ja im Abgrund! Sie erstaunen,

Sie schütteln ihre Häupter still, sie drängen

Sich dicht um mich herum. Doch Frigga flüstert:

Kam deine Stunde auch? Da merk ichs erst!

Der Erdball wurde zum Kristall für mich,

Und was Gewölk mir schien, war das Geflecht

Der Gold- und Silberadern, die ihn leuchtend

Durchkreuzen bis zum Grund.

FRIGGA.

Triumph! Triumph!

BRUNHILD.

Ein Abend folgt. Nicht gleich. Vielleicht erst spät.

Wir sitzen hier beisammen. Plötzlich fallen

Die Mägde um, wie tot, das letzte Wort

Zerbricht in ihrem Mund, mich aber treibts

Zum Turm hinauf, denn über mir erklingts,

Und jeder Stern hat seinen eignen Ton.

Erst ist es bloß Musik für mich, doch wenn

Der Morgen graut, so murml ich, wie im Schlaf:

Der König stirbt vor Nacht noch, und sein Sohn

Kann nicht geboren werden, er erstickt

Im Mutterleib! Ich höre erst von andern,

Daß ichs gesagt, und ahne selber nicht,

Woher ichs weiß. Bald aber wirds mir klar,

Und bald verbreitet sichs von Pol zu Pol.

Dann ziehn sie noch, wie jetzt, zu mir heran,

Doch nicht mit Schwertern, um mit mir zu kämpfen,

Nein, demutvoll, mit abgelegten Kronen,

Um meine Träume zu behorchen und

Mein Stammeln auszudeuten, denn mein Auge

Durchdringt die Zukunft, und in Händen halt ich

Den Schlüssel zu den Schätzen dieser Welt.

So thron ich schicksallos, doch schicksalkundig,[146]

Hoch über allen und vergesse ganz,

Daß mir noch mehr verheißen ist. Es rollen

Jahrhunderte dahin, Jahrtausende,

Ich spür es nicht! Doch endlich frag ich mich:

Wo bleibt der Tod? Da geben meine Locken

Mir Antwort durch den Spiegel, sie sind schwarz

Und ungebleicht geblieben, und ich rufe:

Dies ist das dritte, daß der Tod nicht kommt!


Sie sinkt zurück, die Mägde fangen sie auf.


FRIGGA.

Was zag ich noch? Und wärs der Balmung-Schwinger:

Jetzt hätte sie den Schild auch gegen ihn!

Er fällt, wenn sie ihn liebt und doch bekämpft,

Und sie wird kämpfen, nun sie dieses weiß.

BRUNHILD richtet sich hoch wieder auf.

Ich sprach! Was wars?

FRIGGA.

Nimm deinen Bogen, Kind,

Dein Pfeil wird heute fliegen, wie noch nie,

Das andere nachher!

BRUNHILD zu den Recken.

So kommt!

SIEGFRIED zu Brunhild.

Du schwörst,

Uns gleich zu folgen, wenn du unterliegst?

BRUNHILD lacht.

Ich schwörs!

SIEGFRIED.

So mache! Ich richt indes das Schiff!

BRUNHILD zu Frigga im Abgehen.

Du gehst in den Trophäensaal und schlägst

Dort einen neuen Nagel ein!


Zu den Recken.


Wohlan!


Alle ab.[147]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 143-148.
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