Fünfte Szene


[107] Ein alter Jude stürzt herein, vom Gesinde verfolgt.


MEHRERE STIMMEN.

Ein Jud! Ein Jud!

GOLO.

Was hat der Jud getan?

BALTHASAR.

Getrunken aus dem Brunn!

GOLO.

Hat er ihn auch

Vergiftet?

BALTHASAR.

Das gilt gleich. Wer trinkt wohl noch

Aus einem Brunn, woraus der Jude trank!

KATHARINA.

Reiß dir den Leib auf, wenn du durstig bist,

Du Hund, und saug die eigne Galle aus!

Habt ihr doch Galle unserm Herrn zum Hohn

Gereicht, als er vor Durst am Kreuz verging.

BALTHASAR.

Was meint ihr, wenn wir den hier kreuzigten?

Es steht im äußern Hof ein steinern Bild,

Der Heiland mit der Dornenkron, das Haupt

Geneigt, die Seite von dem Speer durchbohrt.

Ich denk doch, lächeln muß das Schmerzensbild,

Wenn wir, ihm gegenüber, an die Wand

Den Juden nageln, und verdreifacht ihm

Die Marter antun, die der Herr erlitt!

HANS dringt mit dem Messer auf den Juden ein.

Fürs erste wäre hier der Seitenstich!

GOLO.

Halt!


Für sich.


Jedem Sünder fühl ich mich verwandt!

JUDE.

Nein! Laß sie, Christ! Noch keinem deines Volks

Ward Dank ich schuldig, würds auch dir nicht gern!

Fluch! Fluch der Feigheit! Warum wandt ich mich,

Daß ihre schweren Steine nur die Brust

Mir trafen, nicht die Schläfe. Wenn ein Greis,

Halb blind, elendiglich, in Fiebers Glut

Aus einem Brunnen trinkt, wo er vorher –

Sonst hätt ers nicht gewagt – den grindigsten

Der Hunde trinken sah, und man den Greis,

Bloß, weil er trinkt, zu Tode steiniget:

Dann ist das Maß der Zeit erfüllt, dann dreht

Der Herr die Welt, daß unten oben wird,

Dann tut er unsre Sünden aus, und spricht:[107]

Sie sind bezahlt! Auf, Christen, steinigt mich,

Doch schnell, schnell, schnell! Ich sterbe sonst von selbst.


Man sieht in der Kapelle Messe lesen. Der Geistliche, Chorknaben mit Rauchfässern werden erblickt.


GOLO.

Dir wird kein Haar gekrümmt!

JUDE.

Ich spei nach dir,

Damit dus widerrufst! Wenn auch mein Leib

Dem Schlage zittert, der von fern ihm droht,

Wenn sich mein Auge furchtsam schließt, mein Fuß

Zur Flucht sich hebt, so lechzt doch meine Brust

Nach Schimpf und Schmach und unverdienter Qual.

Sie sind mein Schatz, mein einzger, letzter Schatz,

Sind meines Volkes Schatz, wodurch es einst

Zurück erkauft, was es an Rom verlor:

Die heilge Stadt, das hochgelobte Land.

Für jeden Stein in Zion will der Herr

Ein Herz, das brach, und eine Wunde, die

Nicht heilt und nicht verharrscht. Ich bin schon reich.

Siehst du die Narbe von dem Pfeilschuß hier?

Ein Ritter schoß den Bolzen mir ins Haupt,

Weil just kein Tier daher kam, sein Geschoß

Zu prüfen, das er niemals noch versucht.

Ich jauchzt, ich ächzte auch, doch flucht ich nicht!

Siehst du, daß links das Ohr mir fehlt? Ein Knapp

Hieb mirs herunter, bloß zum Zeitvertreib,

Weil ich gerad am Wege saß und aß.

Als nach dem blutgen Läpplein Fleisch sein Hund

Verhungert sprang, da trat ers mit dem Fuß,

Sprach: pfui! Hei, dies Pfui hör ich noch!

Ich jauchzt, ich ächzte auch, doch flucht ich nicht.

Siehst du –

GOLO.

Schweig, wenn du nicht die Wunde mir,

Die ich dir selbst schlug, zeigen kannst.

BALTHASAR.

Ob wir

Den Bart ihm scheren?

HANS.

Seine Augen glühn,

Als legte drin ein Teufel Feuer an.[108]

KATHARINA.

Ich fürcht ihn fast. Er richtet sich empor,

Wie eine blaue Schlange, die man tritt.

JUDE.

Ich habe nie geflucht! Ich habs gespart!

Jetzt sterb ich. Soll ich beten, oder soll

Ich fluchen? Ich will fluchen. Herr der Welt,

Für alles, was ich litt, leg jetzt den Fluch

Mir auf die Lipp, der sie am ärgsten trifft!

GOLO.

Schweig, oder stirb!

JUDE.

Gleich beides! Doch zugleich!

Fluch! Fluch! Mir deucht, es wirkt! Sie werden blaß!

Fluch! Hei, die Mauern wanken! Fluch! der Turm

Erzittert, er begräbt sie. Fluch! 's wird Nacht!

Ich blas die Sonn aus mit dem letzten Hauch!

GOLO haut mit dem Schwert nach ihm.

JUDE.

Fluch! Fluch! Man schlägt die Sterbenden! Ich will

Doch sterbend einen würgen!


Er tastet umher und faßt Balthasar.


BALTHASAR stößt ihn zurück.

Fort, du Aas!

JUDE.

Aas bin ich bald! Dann werd ich eure Luft

Verpesten, hei, denn ihr begrabt mich nicht!

Fluch! Donnerts nicht? Es donnert! Ja! hör auf!

Nun flucht Gott selbst! O weh, ich fürcht mich doch!


Er stürzt fort.


Hinab! Hinab! Wos finster ist und still!

KATHARINA sieht ihm nach.

Er fällt!

BALTHASAR.

Zum Teufel! Innerhalb des Tors?

KATHARINA.

Nein, außerhalb!

BALTHASAR.

Da mag er liegen, bis

Die Raben ihn fort schleppen. Freilich sinds

Langsame Leichenträger. Doch, was tuts?


Das Gesinde zerstreut sich.


GOLO.

Die ewge Lampe brennt noch ruhig fort!

Man sieht sie heller, weil es dunkel wird.

Kommt das vom nahen Abend, oder will

Die Sonne nicht mehr leuchten über uns?

Jud! Jud! Ich wollte, daß dein Fluch die Welt

Zersprengte! Nicht zum zweiten Male wird[109]

Sie Gott erschaffen, nur sein Mitleid hält

Sie noch zusammen mit dem blutgen Kitt,

Den ihm vom Kreuz herunter bot sein Sohn.

Mich schauderts. Denn mir ist, als wär ich nur

Ein Wurm in einem Körper, der verfault.


Er tritt der Kapelle näher und blickt hinein. Die Messe ist beendigt. Man sieht Genoveva am Beichtstuhl. Der Geistliche wird nur wenig gesehen.


Sie beichtet. O, nun lauscht Gott selbst herab

Vom Himmel. Ob er gleich allwissend ist,

Doch kennt er ihre Sünden nicht, und horcht

Auf ihres Mundes Stammeln, daß er jetzt

Erfahre, wes sie selbst sich lieblich zeiht.

So wäscht ein Kind sich wohl in Maientau,

Nicht, daß es reiner, daß es schöner wird.

Doch, hier ist beides gleich unmöglich. Ernst,

Beschämt fast schaut der Pfaff auf sie herab,

Denn ihre Beichte fällt ihm so ins Herz,

Wie Diamantenstaub in schlechten Sand.

Er sinnt umsonst auf eine Buße, wie

Auf Sünden sie. Doch, sie erglüht, und gibts

Für Sünde aus, daß sie von keiner weiß.

Pfaff, leg zur Buße ihr die Sünde auf,

Wie du dem Mägdlein, das sein weißes Kleid

So liebte, und in Unschuld dirs gestand,

Befahlst, es zu beflecken. Er ist stumm.

Jetzt flüstert er. Sie neigt sich still und geht.

GENOVEVA verläßt die Kapelle und geht ins Schloß.

GOLO sieht ihr nach.

Sie kehrt zurück, erleichtert um ein Nichts,

Das ihr doch viel dünkt. – Ob sie wohl aufs neu

Jetzt ihren Starmatz unterweisen wird?

Die einzge Sünde, die sie je beging,

Die, wett ich, hat sie nie gebeichtet. Ists

Doch Sünde, daß dies Himmelsbild

Aus goldnem Rahm in eines Mannes Arm,

Um seinen Hals sich flechtend, niederstieg.[110]

Nur, weil die Heilge Weib ward, lieb ich sie,

Nur, weil ichs sah, wie süß sie küssen kann!

O, wie verstrick ich mich! Unglückliche!

Vom stillen Kloster wies die Schwester dich,

Ein jammervoller Schatten, dich zurück,

Und von des starken Gatten Brust, an die

Du dich geflüchtet vor dem Drang der Welt,

Zerrt Leidenschaft, entzündet durch den Strahl,

Den nur der Abschied dir entlockt, dich fort.

Doch nein! Zu schlimm bedrohter Frauen Schutz

Hast du mein Schwert geweiht; ich will für dich

Es zücken auf mich selbst, wenn – dus gebeutst!


Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 107-111.
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