Dritter Akt


[38] Rhodopens Gemach.

Hero und andere Dienerinnen sind mit Ordnen beschäftigt.


RHODOPE tritt herein.

Warum sind diese Spiegel nicht verhüllt?

HERO.

Die Spiegel, Königin?

RHODOPE.

Und diese Türen,

Wer stieß sie so weit auf?

HERO.

Du hast es gern,

Hinauszuschauen in den hellen Morgen

Und einzuatmen seinen frischen Hauch!

RHODOPE.

Wer sagt dir das? Genug! Verschließe sie

Und wende alle Spiegel um!

HERO schließt die Türen und wendet die Spiegel um.

RHODOPE.

Es ist!

ich suche mich umsonst zu überreden,

Daß ich mich täuschte! Kehre wieder, Nacht,

Und birg mich in den dichtesten der Schleier,

Ich bin befleckt, wie niemals noch ein Weib!

HERO.

Doch diese Rose wirst du nicht verschmähn,

Die ich dir schon vor Sonnenaufgang pflückte!

RHODOPE.

Hinweg mit ihr! Sie welkt bei mir zu schnell!

HERO indem sie sich mit ihren Begleiterinnen entfernt.

Ich heiße Hero und nicht Lesbia!

RHODOPE.

Ihr ewgen Götter, konnte das geschehn?

Ich hab euch schon mit reiner Kinderhand

So manches fromme Opfer dargebracht!

Euch fiel die erste Locke meines Hauptes,

Eh ich noch ahnte, daß ihr allen Segen

In Händen haltet, der dem Menschen frommt!

Nie hat die Jungfrau euren Dienst versäumt,

Und selten stieg mit ihrer Opferflamme

Zugleich ein Wunsch zu eurem Sitz empor:

Sie suchte jeden, der sich regen wollte,

Mit Scham und Angst bis unter das Bewußtsein

Hinab zu drücken, denn sie warb allein

Um eure Gunst und nicht um eure Gaben,[38]

Sie wollte danken, aber nichts erflehn!

Auch hat das Weib sich durch kein Traumgesicht,

Wie es die Tyndariden-Tochter schreckte,

Erst mahnen lassen an die heilge Pflicht,

Sie kam von selbst und schmückte den Altar.

Und dennoch – Warum weiht euch denn der Mensch

Den besten Teil von allen seinen Gütern,

Wenn ihr nicht gnädig ihn beschirmen wollt,

Wo er sich selbst nicht mehr beschirmen kann!

Den Löwen hält das Schwert dem Manne fern,

Wenn er, von Hunger oder Wut getrieben,

Hervor stürzt um die heiße Mittagszeit:

Kein Tapfrer ruft zu Zeus um seinen Blitz!

Doch, daß ihn nicht die Schlange feig beschleiche,

Wenn er, vom Kampf ermattet, ruhig schlummert,

Ist euer Werk, denn euch gehört die Nacht!

Und ich – und ich! Ruht denn ein Fluch auf mir,

Ein Fluch von Anbeginn, der eure Kraft

Im Styx gebunden hält, daß ihr den Frevel,

Den keiner gegen meine letzte Sklavin

Nur zu versuchen wagte, an mir selbst

Gelingen ließt, als wärs die frömmste Tat?

HERO tritt ein.

Der König!

RHODOPE.

Schon? – So kommt der Tod mit ihm!

Nun, der verhüllt mich in die Nacht der Nächte,

Wovon die irdsche bloß ein Schatten ist,

Was beb ich denn? Die wünschte ich mir ja!

KANDAULES.

Vergibst du?

RHODOPE.

Herr, ich weiß, du kannst nicht anders,

Da gilt die Stunde gleich. Was fragst du viel?

KANDAULES.

Ich kann dich nicht verstehn.

RHODOPE.

Sei offen, König!

Du findest mich bereit!

KANDAULES.

Bereit! Wozu?

RHODOPE.

Ich kenne deine Pflicht, und danke dir,

Daß du sie rasch erfüllen willst. Sie würde

Ja nur die meine, wenn du zögertest.[39]

Du hast geforscht, entdeckt und gleich gerichtet,

Ich sehs dir an, nun trifft die Reihe mich!

KANDAULES.

Wohin verirrst du dich!

RHODOPE.

Erscheinst du nicht

Als Rächer hier?

KANDAULES.

Bei allen Göttern, nein!

RHODOPE.

So lebt noch jeder, welcher gestern lebte?

KANDAULES.

Warum nicht?

RHODOPE.

Mancher frevelte vielleicht!

KANDAULES.

Ich weiß von keinem!

RHODOPE.

Und was führt dich her?

KANDAULES.

Hätt ich nach dieser Nacht kein Recht, zu kommen?

Warst du, wie sonst? Hast du mir nicht sogar,

Als säßest du, die Lilie in der Hand,

Noch unter dem Platanenbaum, wie einst,

Den einzgen Kuß versagt, um den ich bat?

RHODOPE.

Das wirst du mir noch danken!

KANDAULES.

Aber fürchte

Dich nicht! Zwar triebs mich zu dir, wie am Morgen

Nach unsrer Hochzeit, doch du brauchst mir nur

Zu winken, und ich gehe, wie ich kam!

Ja, schneller werde ich von hinnen eilen,

Als hätt ich, um zu trinken, einer Quelle

Mich still genaht, und sähe, daß ihr eben

Die schüchterne Najade scheu entsteigt.

RHODOPE.

Bleib!

KANDAULES.

Nein! Nicht eines Odemzuges Dauer,

Wenn es dich ängstigt! Und es ängstigt dich,

Ich fühl es wohl. Dies ist gewiß die Stunde,

In welcher du, wie dus so lieblich nennst,

Dich innerlich besiehst! Die will ich nicht

Entheiligen. Und hätt auch Aphrodite,

Holdselig lächelnd diesem frühen Gang,

Den goldnen Gürtel, den sie nie verschenkt

Und kaum verleiht, mir für dich zugeworfen:

Ich käm ein ander Mal und reicht ihn dir!

RHODOPE.

Halt ein! Das klingt zu süß und macht mir bang,[40]

Denn meine Amme sagte: wenn der Mann

Sich allzu zärtlich seinem Weibe nähert,

So hat er im geheimen sie gekränkt!

KANDAULES.

Das trifft mich auch! Ich habe dich gekränkt

Ich weiß ja, wie du bist, ich weiß ja auch,

Daß du nicht anders kannst; dein Vater thront,

Wo indische und griechsche Art sich mischen,

Dein Schleier ist ein Teil von deinem Selbst.

Und dennoch zerr und zupf ich stets an ihm

Und hätt ihn gestern gern dir abgerissen!

Nun, das bereu ich, und ich schwöre dir –

Dies trieb mich her! – es soll nicht mehr geschehn!

RHODOPE lacht.

KANDAULES.

Denn nie noch sehnte ich mich so, wie heut,

Nicht bloß das Leid, das tief ins Mark sich gräbt

Und Narben hinterläßt, dir fern zu halten,

Nein, auch den kleinsten Schatten, welcher dir

Die Seele trüben könnte, zu verscheuchen,

Und würf ich einen solchen Schatten selbst!

Dich hüten will ich, wie die treue Wimper

Dein Auge hütet: nicht dem Sandkorn bloß

Verschließt sie sich, auch einem Sonnenstrahl,

Wenn er zu heiß ist und zu plötzlich kommt.

RHODOPE.

Zu spät! Zu spät!

KANDAULES.

Was wär zu spät, mein Weib?

RHODOPE.

Ich – – Nein, ich sags ihm nicht, ich kanns nicht sagen,

Er mags erraten, und wenn ers errät,

So knie ich stumm und lautlos vor ihm nieder

Und deute auf sein Schwert und meine Brust!

KANDAULES.

Hat dich ein Traum erschreckt?

RHODOPE.

Ein Traum? O nein,

Für mich war keiner übrig, einer Warnung

War ich nicht wert! Der Stein, der schmetternd fällt,

Hat seinen Schatten, daß der Mensch ihn merke,

Das rasche Schwert den Blitz, doch was mich traf –

Kandaules, sprich, ich sehe, du willst fragen,

So frage endlich![41]

KANDAULES.

Ich? Nun ja doch, ja!

Am liebsten deine Hand!

RHODOPE.

Rühr sie nicht an,

Den Fleck nimmt dir kein Wasser wieder weg.

KANDAULES.

O Gyges! – Nun, wenn du die Hand mir weigerst,

Auch deine Wange sagt mir schon genug:

Du glühst im Fieber! Doch der beste Arzt

Steht vor der Tür. Warum ist sie verschlossen,

Indes ein Morgen, welchen alle Horen

Beschenkten, draußen, wie ein Bettler, klopft.

Rasch auf mit ihr, und gleich bist du geheilt!


Er will öffnen.


RHODOPE.

Halt! Öffne lieber eine Totengruft!

Nicht finstrer wird der reine Sonnengott

Sich von zerbrochnen Aschenkrügen wenden,

Als von dem Weibe, das du dein genannt!

KANDAULES.

Unselige!

RHODOPE.

Sprich! War im Schlafgemach – –

Antworte doch!

KANDAULES.

Ein Mörder? Nein doch, nein!

Ei, frag dich selbst, hätt ich ihn nicht getötet?

RHODOPE.

Wenn du ihn sahst!

KANDAULES.

Und mußt ihn ich nicht sehn?

Die Ampel war nur eben angezündet

Und brannte hell.

RHODOPE.

So scheints! – Und doch vernahm

Ich mancherlei Geräusch, das nicht von dir

Und auch von mir nicht kam.

KANDAULES.

Die Nacht ist reich

An Schällen und an seltsam fremden Klängen,

Und wer nicht schläft, hört viel.

RHODOPE.

Es rasselte.

KANDAULES.

Ein Mauerwurm!

RHODOPE.

Es klang, als ob ein Schwert

An etwas streifte.

KANDAULES.

Mags! Wo wär der Ton,

Den die Natur in wunderlicher Laune

Nicht irgend einem possenhaften Tier[42]

Als Stimme einverleibte? Reiß einmal

Dein Kleid entzwei und merke dir den Laut,

Ich schaff dir ein Insekt, das ganz so schnarrt.

RHODOPE.

Auch seufzen hörte ich.

KANDAULES.

Und seufzen Mörder?

RHODOPE.

Nein, nein! Das ists!

KANDAULES.

Der kühle Nachtwind wars,

Er wollte dir um Mund und Wangen spielen

Und seufzte, als er nur auf Mauern stieß.

Ei, gibts doch Bäume, die, wie jener Stein

Das Licht des Tages trinkt, um es im Dunkeln

Zurück zu geben, Klang und Schall verschlucken,

Die singen, plappern, ächzen dann bei Nacht!

RHODOPE.

So nimmst du es? Noch mehr! Mir fehlt ein Schmuck.

KANDAULES.

Ein Edelstein vielleicht? Ein Diamant?

Der da?

RHODOPE.

Du hast ihn? Du?

KANDAULES.

Wer sonst? Du siehst!

RHODOPE.

Dank, ewgen Dank, ihr Götter, und vergebt

Den Zweifel eines Herzens, das sich schuldlos

Zertreten wähnte! O, ihr seid uns nah,

Wie Licht und Luft!

KANDAULES.

Erinnyen, hinab! –

Da!

RHODOPE.

In den Tempelschatz mit ihm! Ich bin

Den Gnädigen ein reiches Opfer schuldig,

Vor allem ihr, der Allverknüpferin!

Aus goldnen Körben sollen ihre Tauben

Von heute an die weichsten Körner picken,

Aus Marmorbecken löschen ihren Durst!

Und du, Kandaules, du – – –

KANDAULES.

Der Jüngling küßt,

Wenn er des Mädchens denkt, die eigne Hand,

Die sie ihm drückte, als sie von ihm schied,

Der Mann braucht etwas mehr.

RHODOPE.

O Tag des Glücks!

Ist dir dein Weib so teuer? Nun, da bitt ich

Dir stilles Unrecht ab. Ich sorgte immer,[43]

Es sei mehr Stolz auf den Besitz, als Liebe,

In der Empfindung, die dich an mich fesselt,

Und deine Neigung brauche schon den Neid

Der andern, um nicht völlig zu erlöschen!

Nun fürcht ich das nicht mehr.

KANDAULES.

Und niemals sollst

Dus wieder fürchten! Weiß ich doch, was dir

Das Herz vergiftet hat. Du glaubtest dich

Verkürzt durch Gyges! Und es ist gewiß,

Daß ich gar manchen Tag mit ihm verbrachte,

Und fast ein Jäger ward, weil er es ist.

Zwar griff das nicht in deine Rechte ein,

Denn, was den Mann mit einem Mann verbindet,

Ist für das Weib nicht da, er brauchts bei ihr

So wenig, wie den Schlachtmut, wenn er küßt.

Doch, muß ich deine Furcht auch törigt nennen:

Ich spar kein Mittel, um dich rasch zu heilen,

So höre denn: mein Günstling Gyges geht!

RHODOPE.

Wie?

KANDAULES.

Heute noch!

RHODOPE.

Unmöglich!

KANDAULES.

Wär dir das

Jetzt nicht mehr recht? Du schienst es sonst zu wünschen!

RHODOPE.

O, daß ich dies in meinem Freudenrausch

Vergessen konnte!

KANDAULES.

Was denn?

RHODOPE.

Deine Hand! –

Der wars, der stand auf einmal mir vor Augen,

Als wär sein feur'ger Umriß in der Luft

Zurück geblieben! O, wie fürchterlich

Bestätigt sichs. – Gib her! – Er hat den Ring!

KANDAULES.

Der ist mein Eigentum!

RHODOPE.

Sprich, hast du ihn

Nicht wieder abgelegt, seit du ihn trägst?

Auch nicht verloren, oder sonst vermißt?

KANDAULES.

Unglückliche, was quälst du dich mit Schatten!

RHODOPE.

Er weicht mir aus! – Du schickst den Gyges fort?

Auf einmal fort, wie einen Missetäter?[44]

Warum?

KANDAULES.

Das sagt ich nicht. Er geht von selbst.

RHODOPE.

Er geht von selbst? Was treibt ihn denn von hinnen?

KANDAULES.

Ich weiß es nicht und hab ihn nicht gefragt.

RHODOPE.

Du weißt es nicht? So will ich dir es sagen:

Er hat an dir gefrevelt, wie noch keiner,

Und du mußt strafen, wie du nie gestraft!

KANDAULES.

Rhodope, welch ein Wort! Er ist gewiß

Der Edelste der Edlen.

RHODOPE.

Ist er das,

Wie kannst du ihn so ruhig ziehen lassen?

KANDAULES.

Weil auch der Beste wider seinen Willen

Statt Segens stillen Fluch verbreiten kann.

RHODOPE.

Ist das sein Fall? Und hat ers selbst gefühlt?

KANDAULES.

Und wenn auch nicht – Sein Sinn ist stolz, er strebt

Nach großen Dingen, und er darf es wagen.

RHODOPE.

Meinst du?

KANDAULES.

Kein Königsthron steht ihm zu hoch.

Und wenn er geht und mir den Grund verbirgt:

Gib acht, mit einer Krone kehrt er wieder

Und spricht dann lächelnd: diese trieb mich fort!

RHODOPE.

Ja?

KANDAULES.

Teures Weib, dich hat die Nacht verstört,

Der Schreck –

RHODOPE.

Kann sein!

KANDAULES.

Du hörtest allerlei –

RHODOPE.

Was nicht zu hören war! Fast glaub ichs selbst,

Denn – nun besinn ich mich – ich sah auch falsch!

Du hast den Ring nicht wieder abgelegt,

Du hast ihn nicht verloren, noch vermißt,

Und mir kams dennoch vor – ich spähte scharf,

Und Morgen wars, und alles andre sah ich –

Als fehlte er an deiner Hand. So zeugt

Denn Sinn hier gegen Sinn, das blinde Auge

Verbürgt das taube Ohr. Vergib mir nur,

Daß ich dich quälte, und vergönne mir

Ein wenig Einsamkeit, um mich zu fassen.

KANDAULES will reden.[45]

RHODOPE.

Ja wohl! Ja wohl! Vergib nur, Herr, und geh.

KANDAULES ab.

RHODOPE.

Kein andrer ists, als Gyges – das ist klar!

Er hat den Ring gehabt – das ist noch klarer!

Kandaules ahnts, er muß – das ist am klarsten!

Und statt das Ungeheure ungeheuer

An ihm zu ahnden, läßt er ihn entfliehn.

So wird ein Rätsel durch ein andres Rätsel

Gelöst, das mich von Sinnen bringen kann,

Wenn es mir dunkel bleibt! Ein Gatte sieht

Sein Weib entehrt – entehrt? Sprich gleich: getötet –

Getötet? – Mehr, verdammt, sich selbst zu töten,

Wenn nicht des Frevlers Blut zur Sühne fließt!

Der Gatte ist ein König, trägt das Schwert

Der Dike, braucht von der Erinnys nicht

Den Dolch zu borgen, hat die heilge Pflicht,

Den Greul zu strafen, wenn die Liebe ihn

Nicht antreibt, ihn zu rächen, muß den Göttern

Das Opfer bringen, wenn ers mir versagt!

Und dieser Gatte, dieser König zückt

Nicht Schwert, noch Dolch, er läßt den Frevler fliehn!

Doch das soll nicht gelingen! Mir auch fehlts

Nicht an erprobten Dienern. Nicht als Sklavin,

Als Königstochter trat ich in dies Haus,

Und mein Geleite war ein königliches.

Die alten Vielgetreuen ruf ich auf,

Daß sie dem Fliehenden den Weg vertreten,

Dann sprech ich zu Kandaules: hier bin ich,

Dort ist der Günstling, wähle, dieser Dolch

Ist für mich selbst, wenn nicht dein Schwert für ihn!

LESBIA tritt herein.

Vergibst du, Königin?

RHODOPE.

Was denn, mein Kind?

Daß du zu mir zurück kehrst? O, vergib

Nur du, daß ich dich von mir lassen konnte,

Mir war – ich wußte selbst nicht, was ich tat.

Doch mein ich, daß der König zu mir sagte,

Du gingest gern, und ach, ich hatte ihm

In jener Nacht so viel schon weigern müssen,[46]

Daß mir der Mut zum neuen Nein gebrach.

LESBIA.

So bin ich nicht mehr frei? So darf ich mich

Zu deinen Dienerinnen wieder zählen?

RHODOPE.

O nein! Als Schwester komm an meine Brust.

LESBIA.

Was ist geschehn? Du bist bewegt, wie nie.

RHODOPE.

Entsetzliches, das keinen Namen hat!

Denn eh ichs nennen kann, hat sichs verändert

Und ist noch grauenvoller, als es war.

Ja, Nachtgeburt, die mir entgegen grinst,

Mir deucht, dein erstes Antlitz könnt ich küssen,

Nun dämmernd mir das zweite sich enthüllt.

LESBIA.

Kann ich was für dich tun? – Die Frage ist

Wohl törigt, nicht?

RHODOPE.

Du kannst nicht töten, Mädchen,

Und wer nicht töten kann, der kann für mich

Auch nichts mehr tun.

LESBIA.

Gebieterin!

RHODOPE.

So ists!

Du starrst mich an, du kannst es gar nicht fassen,

Daß solch ein Wort aus meinem Munde kommt.

Ja, Lesbia, ich bins! Rhodope ists,

Die euch so oft gewarnt und abgehalten,

Dem Tode in sein traurig Amt zu greifen,

Und wenn es auch nur eine Spinne galt!

Ich hab es nicht vergessen, doch das war,

Als ich im frischen Morgentau mich wusch

Und in dem Strahl der Sonne trocknete:

Jetzt rufe ich nach Blut, jetzt ist von mir

Nur so viel übrig, als die Götter brauchen,

Um das zu rächen, was ich einmal war!

LESBIA.

Weiß dein Gemahl denn nichts? Am Rächer kanns

Der Königin von Lydien nicht fehlen.

RHODOPE.

So scheints! Und doch – Nun, wissen will ichs bald!

Geh, Lesbia, und ruf mir Karna her!

LESBIA.

Du meinst, ich soll ihm etwas von dir sagen.

RHODOPE.

Das ist vorbei! –

LESBIA.

Doch deinen Schleier willst du!

RHODOPE.

Nein! Nein![47]

LESBIA.

Mich graust! Es ist das erste Mal!


Ab.


RHODOPE.

Er kann den Freund nicht opfern, darum wird

Sein Weib verschont. Denn sonst ertrüg ers nicht!

LESBIA tritt mit Karna ein.

RHODOPE.

Karna, du weißt, was du geschworen hast,

Als dir dein Herr, mein königlicher Vater,

Am goldnen Tor die Tochter übergab.

Saß ich auch hoch auf meinem Elephanten,

War ich auch tief verhüllt in meinen Schleier,

Doch hab ich wohl beachtet, was geschah,

Und nicht ein Wort vergessen, das du sprachst.

KARNA.

Auch ich nicht, und ich hoffs dir darzutun!

RHODOPE.

So such den Griechen Gyges auf und künd ihm,

Daß ich ihn sehen will.

KARNA.

Du?

RHODOPE.

Eile dich,

Damit er nicht entkommt, verfolge ihn,

Wenn er entfloh, und bringe ihn zurück,

Noch eh es Nacht wird, muß er vor mir stehn.

KARNA.

Ich liefre ihn, lebendig oder tot.


Ab.


LESBIA.

Was hör ich? Gyges wär es?

RHODOPE.

Gyges ists!

LESBIA.

Er hätte dich gekränkt?

RHODOPE.

Er hat gefrevelt

Am Heiligsten, er hat den schwersten Fluch

Auf mich herabgezogen, jenen Fluch,

Den alle Götter wider Willen schleudern,

Weil er nur Menschen ohne Sünde trifft,

Er ist es, der mich töten lehrt!

LESBIA.

Er nicht!

Ich schwöre dirs!

RHODOPE.

Wie kannst du?

LESBIA.

Königin,

Auch ich erlebte etwas, und ich weiß,

Daß er die Seele eher lassen würde,

Als dich verletzen.

RHODOPE.

So.

LESBIA.

Ich habe dir[48]

Ein Wort von ihm zu sagen! O, wie bitter

Hat mich dies Wort geschmerzt, als ichs vernahm,

Jetzt freuts mich fast. Ich soll dir von ihm melden,

Er hätt mich gar nicht angesehn! – Er liebt dich!

Nun frag dich, ob es möglich ist!

RHODOPE.

Er liebt mich!

So ists gewiß!

LESBIA.

Wie?

RHODOPE.

Törin, sage mir,

Kann man das lieben, was man niemals sah?

Und wenn mich Gyges sah: wann sah er mich?

LESBIA legt sich die Hand vor die Augen.

RHODOPE.

Nun sprich als Mädchen, ob er sterben muß!

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 38-49.
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