Vierter Akt


[49] Gemach der Königin.


RHODOPE.

O, einen Augenblick Vergessenheit!

Wozu das Rätsel ewig wiederholen?

Es wird ja bald gelöst. – Ich sollt es machen,

Wie meine Mädchen, die zum Zeitvertreib

Auf alle Töne horchen und sich streiten,

Von welchem Vogel jeder kommt, und ob

Der rot ist oder grün. – Welch ein Geräusch!

Ist Karna da mit ihm? Still, alles still.

Es war wohl nichts. – Wie hab ich mich verändert!

Wann fragt ich sonst den Schall nach dem Woher,

Mich schreckte nichts, mich schreckte nicht einmal

Des Feuers Glut, und wenn sie noch so rot

Am Himmel aufstieg und sich noch so drohend

Verbreitete: ich wußte, daß ein Kreis

Von treuen Wächtern, unsichtbar um mich

Herum gereiht, des Königs Lieblingstochter

Mit Blut und Leben schirmte. Jetzt – ein Schritt!

Sie sinds! Ja, Karna ist so klug, als tapfer;

Das hört ich stets, und heute soll ichs sehn.[49]

Noch nicht! Vielleicht auch gar nicht! Nein, ihr Götter,

So grausam werdet ihr nicht sein. Ich will

Ja nicht, daß ihr die Hand mir reichen sollt,

Um mich am Rand des Abgrunds fest zu halten,

Ich will nur sehn, wer mich hinunterstößt.

Je mehr ich sinne, um so weniger

Begreif ich meinen Gatten. Hört ichs doch

In frühster Jugend schon, daß die Befleckte

Nicht leben darf, und wenn mich das als Kind

Durchschauert hat, jetzt habe ich den Grund

Für dies Gesetz in meiner Brust gefunden:

Sie kann nicht leben, und sie wills auch nicht!

Gilt das für ihn allein nicht? Oder will er

Den Frevler heimlich opfern, weil er hofft,

Mir seine Missetat noch zu verbergen?

Habt Dank, ihr ewigen, auch das kann sein!

Und findet Karna den Entflohnen tot,

Den kalten Dolch in seiner heißen Brust,

So weiß ich, wessen Hand ihn niederstreckte,

Und frage niemals mehr, wo Gyges blieb!

LESBIA tritt ein.

O, Königin, er kommt!

RHODOPE.

Ich harre schon!

LESBIA.

Und hinter ihm schiebt, wie ein Eisen-Riegel,

Sich eine Schar Bewaffneter zusammen.

RHODOPE.

Ich glaubs, daß Karna sein Geschäft versteht.

LESBIA.

Muß es denn sein?

RHODOPE.

Er oder ich! Vielleicht

Wir alle beide!

LESBIA.

O, du machst mich stumm!

RHODOPE.

Sag Karna, daß er jetzt zum König sende,

Ich laß ihn bitten auf ein einzig Wort.

LESBIA ab.

RHODOPE.

Nun, ihr dort unten, die ihr keinen Frevel

Verhindert, aber einen jeden rächt,

Herauf, herauf, und hütet diese Schwelle,

Ein blutig Opfer ist euch hier gewiß.

GYGES der während dem eingetreten ist.

Du hast mich rufen lassen, Königin![50]

RHODOPE.

Du weißt warum! – Du weißt es, denn du zitterst,

Kannst du es leugnen? Deine Farbe wechselt,

Und hörbar klopft das Herz in deiner Brust.

GYGES.

Hat nicht dein Gatte auch vor dir gezittert,

Hat er die Farbe nicht, wie ich, gewechselt,

Und hat sein Herz nicht ganz, wie meins, geklopft?

Erinnre dich der Stunde, wo er dir

Zum ersten Mal ins Antlitz schauen durfte,

Und frag dich, ob er mir nicht völlig glich.

RHODOPE.

Dir?!

GYGES.

Königin, gewiß. Ihm schwindelte,

Er stand geblendet da, und als ihm die

Besinnung wiederkehrte, riß er stumm

Die Krone sich vom Haupt, wie einen Kranz,

Der plötzlich welk geworden ist im Haar,

Und warf sie mit Verachtung hinter sich.

RHODOPE.

Er! ha!

GYGES.

Du lächeltest ihn freundlich an,

Als du es sahst, da kam ihm so viel Mut,

Sich dir um einen halben Schritt zu nähern.

Doch seine Kniee wankten unter ihm,

Sie wollten einen edlern Dienst verrichten,

Und eh dus ahntest, lag er so vor dir!


Er kniet während dem nieder.


RHODOPE.

Du wagst?

GYGES.

Was denn? Es war ja so. Du strecktest

Ihm unwillkürlich, halb um ihm zu wehren,

Halb auch vielleicht, um ihn empor zu ziehn,

Die Hand entgegen, die er scheu und schüchtern

Ergriff, und die sich doch zur Fingerspitze

Verkürzte, ehe er sie noch berührt.

Tatst du das nicht? O, sprich!

RHODOPE.

Auf! Auf mit dir!

GYGES sich wieder erhebend.

Ihn aber traf es, wie ein Wetterschlag.

Ihm war zumut, als hätt er sich bisher,

Wie ein erebscher Schatten, kalt und nüchtern,

Nur unter die Lebendigen verirrt[51]

Und jetzt erst Blut bekommen, wie sie selbst;

Als hätte er ihr Lachen und ihr Weinen,

Ihr Jubeln, Seufzen, ja ihr Atemholen,

Nur nachgeäfft und nie geahnt, warum

Die Menschenbrust sich ewig hebt und senkt.

Da brannt er vor Verlangen, auch zu leben,

Und sog dein süßes Bild mit Augen ein,

Die, sonst gleichgültig alle Dinge spiegelnd

Und wieder wechselnd, wie ein stilles Wasser,

Der Wimper jetzt ihr Zucken kaum verziehn.

So glomm er, deine Schönheit in sich trinkend,

Allmählig vor dir auf in düstrem Feuer,

Wie deine weiße Hand, wenn du sie abends

Vor eine Flamme hältst, du aber fuhrst

Vor deinem roten Widerschein zurück.

RHODOPE.

Nicht weiter!

GYGES.

O, nicht weiter! Weiß ich mehr?

Was er empfand, das kann ich nachempfinden

Und ganz so voll und glühend, wie er selbst.

Doch, wie er warb, und wie er dich gewann,

Ist sein Geheimnis; einer nur kanns haben,

Und dieser einzige ist er, nicht ich.

Nun weißt du denn, warum ich zitterte:

Ein Wonneschauer wars, der mich ergriff,

Ein heilges Grausen, das mich schüttelte,

Als ich so plötzlich vor dir stand und sah,

Daß Aphrodite eine Schwester hat;

So sag mir jetzt, wozu beriefst du mich!

RHODOPE.

Zum Tode! –

GYGES.

Wie?

RHODOPE.

Hast du ihn nicht verdient?

GYGES.

Wenn du ihn mir verhängst, so muß es sein!

RHODOPE.

In dieser Stunde noch!

GYGES.

Ich bin bereit!

RHODOPE.

Dich packt kein Schauder, wie er jeden Menschen,

Wie er den Jüngling doppelt packen muß?

Glaubst du vielleicht, es sei nicht bittrer Ernst,

Weil dir ein Weib den blutgen Spruch verkündigt,[52]

Und du das Weib nur noch als Mutter kennst?

O hoffe nicht, daß auch die Mildeste

Ihn ändern wird. Sie kann den Mord vergeben,

Sie kann sogar für ihren Mörder bitten,

Wenn er ihr so viel Odem übrig ließ.

Doch eine Schande, die sie vor sich selbst

Vom Wirbel bis zum Zeh mit Abscheu füllte,

Solch eine Schande wäscht das Blut nur ab:

Je mehr sonst ganz nur Weib, nur scheues Weib,

Je mehr vom Manne wird sie da verletzt!

GYGES.

Entsetzlich!

RHODOPE.

Kommt der Schauder? Hör mich aus!

Wenn du nicht jetzt gerichtet vor mir ständest,

Von blanken Schwertern vor der Tür bewacht,

Und willig oder nicht, das sichre Opfer

Der Unterirdschen, die ich schon beschwor:

Ich öffnete, wenn auch mit zager Hand,

Noch eh die Sonne sinkt, mir selbst die Adern

Und wüsche mich in meinem eignen Blut!

Denn alle Götter stehn schon abgewandt,

Wenn auch voll Mitleid da, die goldnen Fäden

Zerreißen, die mich an die Sterne knüpfen

Und aufrecht halten, mächtig zieht der Staub,

Und zögre ich, so hüpft die neue Schwester,

Die Kröte, mir vertraulich ins Gemach!

GYGES.

O Königin, ich könnte manches sagen,

Und vielen Sand mir aus den Locken schütteln,

Der mir nur angeflogen ist im Sturm!

Ich will es nicht. Nur eines glaube mir:

Erst jetzt erkenn ich, was ich tat, und doch

Wars kaum geschehn, so hats mich schon gedrängt,

Es abzubüßen. Wenn dein Gatte mir

Den Weg zum Orkus nicht vertreten hätte,

Ich wäre längst ein Schatten unter Schatten,

Und du gesühnt, wenn auch noch nicht versöhnt.

RHODOPE.

Mein Gatte wehrte dirs und wußte doch –

GYGES.

Gleichviel! Die seltne Regung, die ihn faßte,

Hat mich um das Verdienst des freien Todes,[53]

Dich aber um dein Opfer nicht gebracht.

Leb wohl! – Und deine Schwerter bleiben rein!

RHODOPE.

Halt! Nicht durch eigne Hand und nicht durch Mord,

Durch deinen höchsten Richter sollst du fallen,

Gleich kommt der König und bestimmt dein Los.

GYGES.

Der Sterbende, er sei auch, wer er sei,

Hat eine letzte Bitte frei. Du wirst

Mir nicht mein armes Totenrecht verkürzen,

Ich weiß, du kannst es nicht! So laß mich gehn!

RHODOPE macht eine abwehrende Bewegung.

GYGES.

Ich tat, was ich vermogte. Komme nun,

Was kommen soll, ich trage keine Schuld.

KANDAULES tritt ein.

RHODOPE ihm entgegen.

Ich irrte nicht! Es war im Schlafgemach

Ein Mensch versteckt!

GYGES.

Ja, König, was ich dich

Nur ahnen ließ, weil mir der Mut gebrach,

Es zu bekennen: es ist aufgedeckt,

Und todeswürdig steh ich vor dir da!

KANDAULES.

Gyges!

GYGES.

Mit diesen meinen beiden Augen

Verübt ich einen Frevel, den die Hände

Nicht überbieten, nicht erreichen würden,

Und zückt ich auch auf dich und sie den Dolch.

RHODOPE.

So ists!

GYGES.

Zwar wußt ichs nicht, das kann ich schwören,

Mir sind die Frauen fremd, doch wie der Knabe

Nach einem wunderbaren Vogel hascht

Und ihn erdrückt, weil er sein zartes Wesen

Nicht kennt, indes er ihn nur streicheln will,

So hab ich auch das Kleinod dieser Welt

Zerstört und ahnte nicht, daß ich es tat.

RHODOPE.

Sein Wort ist edel. Wehe ihm und mir,

Daß es nicht frommt!

GYGES.

Wenn den kastalschen Quell

Aus dem die Lieblinge der Götter trinken,

Und der in einem Farbenspiel erglänzt,[54]

Als wär er mit zerpflückten Regenbogen

Von Iris eignen Händen überstreut;

Wenn diesen Quell, der dem Parnaß entspringt,

Ein Steinwurf trübt, so fängt er an, zu tosen

Und steigt in wilden Wirbeln himmelan.

Dann singt auf Erden keine Nachtigall

Und keine Lerche mehr, und in der Höhe

Verstummt sogar der Musen heilger Chor,

Und eher kehrt die Harmonie nicht wieder,

Bis ein ergrimmter Strom den frechen Schleudrer

Hinunter knirscht in seinen dunklen Schoß:

So ists mit einer Frauenseele auch!

KANDAULES.

Gyges, ich bin kein Schurke.

GYGES.

Herr, du bist

Rhodopens Gatte, bist ihr Schutz und Schirm

Und mußt ihr Rächer sein.

KANDAULES.

Ich bin vor allem

Ein Mann, der für den Frevel, den er selbst

Beging, nicht einen andern sterben läßt.

GYGES.

König, was rettest du?

KANDAULES.

Mich selbst!

GYGES.

Er rast,

Hör nicht auf ihn!

RHODOPE.

Mein Herr und mein Gemahl,

Was sprachst du da? Ich kanns dir selbst nicht glauben,

Wenn dus nicht wiederholst!

KANDAULES.

Sprich du für mich!

Du sollst mich nicht entschuldigen, du sollst

Nur sagen, wie es kam.

RHODOPE.

So ists? Ihr Götter,

Lacht über mich! – Ich habe schon geklagt!

KANDAULES.

Sprich, Gyges!


Ab.


GYGES.

Königin, o, wenn du wüßtest,

Wie er dich immer pries, und wie ich stumpf

Auf alle seine Flammenworte hörte,

Weil jeder Vogel, der dem Busch entrauschte

Und meinem Pfeil entging, indem er sprach,

Mein Auge auf sich zog – wenn du dir sagtest,[55]

Wie sehr dies unaufmerksam-kindsche Wesen,

Das er für einen Ausdruck stillen Mißtrauns

Und halben Zweifels nahm, obgleich es nur

Aus flüchtgem Sinn entsprang, ihn reizen mußte –

Wenn du uns beide nur ein einzig Mal

Auf einer unsrer Streiferein im Walde

Gesehen hättest, ihn in seiner Glut

Und mich in meiner Blödheit, unverständig

Nach bunten Steinen an der Erde spähend,

Indes er mir den Sonnen-Aufgang zeigte:

Ich bin gewiß, du blicktest wieder mild!

Er glich dem Priester, der dieselbe Flamme,

Die ihn durchlodert, zu des Gottes Ehre

Auch in der fremden Brust entzünden mögte:

Wenn dieser, leidenschaftlich-unvorsichtig,

Die heiligen Mysterien enthüllt,

Um dumpfe Sinne rascher zu erwecken

Und falsche Götzen sichrer zu entthronen:

Fehlt er so schwer, daß man ihm nicht verzeiht?

RHODOPE macht mit der Hand eine abwehrende Bewegung.

Er hat sein Gattenrecht dir abgetreten?

GYGES.

Nenn es nicht so.

RHODOPE.

Du brauchtest nicht beim Wein

Nach seiner Hand zu greifen und dabei

Den Ring ihm abzuziehn, wie ichs mir dachte,

Er gab ihn dir von selbst zurück, du kamst

Vielleicht sogar mit ihm zugleich?

GYGES.

Wie kannst

Dus glauben, Königin?

RHODOPE.

Du bist ein Jüngling –

Du denkst so edel –

GYGES.

War ich denn sein Knecht?

Und hat er je verlangt, daß ich es sei?

Nein, Königin, entschuldige mich nicht,

Es bleibt bei deinem Spruch! Und halt ihn nicht

Für grausam, er ist mild. Ich ging den Weg,

Den ich wohl nimmer hätte gehen sollen,

Doch nahm ich gleich auch meinen Fluch dahin.[56]

Ich wurde reif zum Tode, denn ich sah,

Daß alles, was das Leben bieten kann,

Vergeben war, und wenn ich in der Nacht

Ihn nicht schon fand und die entweihte Schwelle

Mit meinem rasch vergoßnen Blut dir wusch,

So ist die Schuld nicht mein: ich warb um ihn.

O, hätt ich ihn ertrotzt, wie ichs versuchte,

Dann zitterte in deiner Seele jetzt

Nur noch ein Schauder vor dem Mörder nach,

Der dir das Atmen um so süßer machte,

Dein Gatte aber würde, als dein Retter,

Noch feuriger, wie je, von dir geküßt.

RHODOPE.

Und Dinge kämen, die's uns fürchterlich

Enthüllen würden, daß die Götter nicht

Des Menschenarms bedürfen, sich zu rächen,

Wenn eine Schuld, die keine Sühne findet,

Weil sie im Dunkeln blieb, die Welt befleckt.

Doch, sie sind gnädig, dieser Frevel hat

Umsonst in Finsternis sich eingewickelt,

Er leuchtet doch hindurch. Das Wasser wird

Sich nicht in Feuer wandeln, wenn der Mund

Des Durstgen es berührt, das Feuer nicht

Erlöschen, wenn der Hauch des Hungrigen

Es auf dem Herde anbläst, nein, o nein,

Die Elemente brauchens nicht zu künden,

Daß die Natur vor Zorn im Tiefsten fiebert,

Weil sie verletzt in einem Weibe ist:

Wir wissen, was geschah!

GYGES.

Wir wissen auch,

Was noch geschehen muß! Vergib mir nur!


Er will gehen.


RHODOPE.

Halt! Das nicht mehr!

GYGES.

Was kann ich andres tun?

RHODOPE.

Du mußt ihn töten!

GYGES.

Ha!

RHODOPE.

Du mußt! Und ich –

Ich muß mich dir vermählen.

GYGES.

Königin![57]

RHODOPE.

So geh.

GYGES.

Ihn töten!

RHODOPE.

Wenn du zu mir sagst:

Jetzt bist du Witwe! so erwidre ich:

Jetzt bist du mein Gemahl!

GYGES.

Du hast gesehn,

Wie er von hinnen ging. Er sprach für sich

Kein einzig Wort, er überließ es mir,

Und ich, ich sollte – – Nein!

RHODOPE.

Du mußt es tun,

Wie ich es fordern muß. Wir dürfen beide

Nicht fragen, obs uns schwer wird oder leicht.

GYGES.

Wenn er kein Gatte war: er ist ein Freund,

Wie's keinen zweiten gibt! Kann ich ihn töten,

Weil er zu sehr mein Freund gewesen ist?

RHODOPE.

Du wehrst dich, doch es ist umsonst.

GYGES.

Was soll

Mich zwingen, wenn dein Reiz mich nicht bezwang?

Ich liebe dich, mir ist, als wäre ich

Mit einem Starrkrampf auf die Welt gekommen,

Und dieser löste sich vor deinem Blick!

Die Sinne, welche, wie verschlafne Wächter,

Bisher nicht sahn, noch hörten, wecken sich

In selgem Staunen gegenseitig auf

Und klammern sich an dich, rund um dich her

Zerschmelzen alle Formen, sonst so scharf

Und trotzig, daß sie fast das Auge ritzten,

Wie Wolkenbilder vor dem Sonnenstrahl;

Und wie ein Schwindelnder, der in den Abgrund

Zu stürzen fürchtet, könnt ich nach der Hand

Dir greifen, ja, an deinen Hals mich hängen,

Eh mich das bodenlose Nichts verschlingt!

Doch nicht mit einem Tropfen seines Blutes

Mögt ich mir diesen höchsten Platz erkaufen,

Denn selbst im Rausch vergäße ich ihn nicht!

RHODOPE.

Du kannst es mir versagen, das ist wahr! –

Verlaß mich denn!

GYGES.

Was sinnst du, Königin?[58]

RHODOPE.

Ein Werk, das still beschlossen und noch stiller

Vollbracht wird. – Geh!

GYGES.

Versteh ich dich?

RHODOPE.

Vielleicht.

GYGES.

Du könntest?

RHODOPE.

Zweifle nicht! Ich kann und will.

GYGES.

Nun, bei den Göttern, welche droben thronen,

Und den Erinnyen, die drunten horchen,

Das darf nicht sein, und nimmer wirds geschehn!

RHODOPE.

So sagst du Ja?

GYGES.

Du weckst mich aus dem Schlummer,

Nicht wahr, wenn er in Träumen mir erscheint,

Und trotz der Todeswunde immer lächelt,

Bis mir das Haar sich sträubt.

RHODOPE.

Nicht mehr! Nicht mehr!

GYGES.

Auch drückst du einen Kuß mir auf die Lippen,

Damit ich in der Angst mich gleich besinne,

Warum ich es getan – du wendest dich,

Als obs dich schauderte bei dem Gedanken?

Das schwör mir erst!

RHODOPE.

Ich werde dein Gemahl.

GYGES.

Was frag ich auch! Ich siegte ja noch nicht.

RHODOPE.

Gilts hier denn einen Kampf?

GYGES.

Ja, Königin,

Du denkst doch nicht von mir, daß ich ihn morde?

Ich fordre ihn auf Leben oder Tod.

RHODOPE.

Und wenn du fällst?

GYGES.

So fluche mir nicht nach,

Ich kann nicht anders.

RHODOPE.

Fall ich nicht mit dir?

GYGES.

Doch wenn ich wiederkehre?

RHODOPE.

Am Altar

Wirst du mich finden, ebenso bereit,

In deine Hand die meinige zu legen,

Als nach dem Dolch zu greifen und das Band

Zu lösen, das mich an den Sieger knüpft,

Wenn er es ist!

GYGES.

Noch eh die Sonne sinkt,[59]

Entscheidet sichs! So leb denn wohl.

RHODOPE.

Leb wohl! –

Und wenns dich freuen kann, vernimm noch eins:

Du hättest mich der Heimat nicht entführt,

Um so an mir zu tun!

GYGES.

Meinst du, Rhodope?

Das heißt: ich wäre eifersüchtiger

Und neidischer gewesen, hätte mehr

Gefürchtet, weil ich wen'ger bin, als er,

Und doch beglückt es mich, daß du dies meinst,

Und ist genug für mich, mehr als genug!


Ab.


RHODOPE.

Nun Brautgewand und Totenhemd herbei!

LESBIA stürzt herein und wirft sich Rhodopen zu Füßen.

Du Gnädige! – Vergib! – Ich danke dir!

RHODOPE sie aufhebend.

Du wirst mir wohl nicht danken, armes Kind!

Und doch! Zuletzt! Ja, Lesbia, zuletzt!

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 49-60.
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