Sechste Szene

[530] Ein Diener tritt ein; ihm folgt Salome.


SALOME zum Diener.

Wards dir untersagt,

Hier ungemeldet jemand einzulassen?

Ich nehms auf mich!

JOSEPH.

Du, Salome?

SALOME.

Wer sonst?

Kein böser Geist! Dein Weib! Dein armes Weib,

Um das du warbst, wie Jakob warb um Rahel,

Und das du nun –


Zu Mariamne.


Verfluchte, war es dir

Noch nicht genug, daß du das Herz des Bruders

Mir abgewendet hast? Mußt du mir jetzt

Auch den Gemahl noch rauben? Tag und Nacht

Denkt er an dich, als wärest du schon Witwe,

Und ich noch weniger, als das! Bei Tage

Folgt er auf Schritt und Tritt dir nach! Bei Nacht

Träumt er von dir, nennt ängstlich deinen Namen,

Fährt aus dem Schlummer auf –


Zu Joseph.


Hielt ichs dir nicht

Noch diesen Morgen vor? Und heut sogar,

Wo ganz Jerusalem in Aufruhr ist,

Heut ist er nicht bei mir, nicht auf dem Markt,

Wo ich, weil er nicht kam, ihn suchen ließ,

Er ist bei dir, und ihr – ihr seid allein!

MARIAMNE.

Die ist es sicher nicht! So ist ers selbst!

Wenn noch ein Zweifel übrig blieb, so hat

Die blöde Eifersucht ihn jetzt erstickt! –

Ich war ihm nur ein Ding und weiter nichts.

JOSEPH zu Salome.

Ich schwör dir –

SALOME.

Daß ich blind bin? Nein! Ich sehe!

MARIAMNE.

Der Sterbende, der seinen Feigenbaum

Abhauen ließe, weil er seine Früchte

Nach seinem Tode keinem andern gönnte,

Der Sterbende wär ruchlos, und er hätte

Den Baum vielleicht doch selbst gepflanzt und wüßte,

Daß er den Dieb, daß er sogar den Mörder

Erquicken müßte, der ihn schüttelte.

Bei mir fällt beides weg! Und doch! Und doch![530]

Das ist ein Frevel, wie's noch keinen gab.

SALOME zu Joseph.

Du sprichst umsonst! Ein Auftrag! Welch ein Auftrag?

MARIAMNE.

Ein Auftrag! Dies das Siegel! – Wär es möglich,

Jetzt müßt es doch am ersten möglich sein!

Allein es ist nicht möglich! Keine Regung

Unedler Art befleckt mein Innerstes,

Wie es auch stürmt in meiner Brust! Ich würde

Antonius in diesem Augenblick

Dieselbe Antwort geben, die ich ihm

An unsrem Hochzeitstag gegeben hätte,

Das fühl ich, darum triffts mich, wie's mich trifft,

Sonst müßte ichs ertragen, ja verzeihn!

SALOME zu Mariamne.

Ich bin für dich nicht da, wie's scheint?

MARIAMNE.

Doch! Doch!

Du hast sogar die größte Wohltat mir

Erzeigt, ich, die ich blind war, sehe jetzt,

Ich sehe hell und das allein durch dich!

SALOME.

Verhöhnst du mich? Auch das sollst du mir büßen,

Wenn nur mein Bruder wiederkehrt! Ich werde

Ihm alles sagen –

MARIAMNE.

Was? Ja so! Das tu!

Und hört er drauf – – Warum denn nicht? Was lach ich?

Ist das denn noch unmöglich? – – Hört er drauf,

So nimm mein Wort: ich widersprech dir nicht!

Ich liebe mich nicht mehr genug dazu!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 530-531.
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