Sechste Szene

[348] DIE MUTTER tritt schnell ein. Kennst mich noch?

MEISTER ANTON auf das Hochzeitskleid deutend. Den Rahmen, ja wohl, der hat sich gehalten, das Bild nicht recht. Es scheint sich viel Spinnweb darauf gesetzt zu haben, nun, die Zeit war lang genug dazu!

MUTTER. Hab ich nicht einen aufrichtigen Mann? Doch, ich brauch ihn nicht apart zu loben, Aufrichtigkeit ist die Tugend der Ehemänner.

MEISTER ANTON. Tuts dir leid, daß du mit 20 Jahren besser vergoldet warst, als mit 50?

MUTTER. Gewiß nicht! Wärs anders, so müßt ich mich ja für die und mich schämen!

MEISTER ANTON. So gibst du mir einen Kuß! Ich bin rasiert, und besser, wie gewöhnlich!

MUTTER. Ich sage ja, bloß um zu prüfen, ob du dich noch auf die Kunst verstehst. Das fiel dir lange nicht mehr ein!

MEISTER ANTON. Gute Hausmutter! Ich will nicht verlangen, daß du mir die Augen zudrücken sollst, es ist ein schweres Stück, ich wills für dich übernehmen, ich will dir den letzten Liebesdienst erweisen, aber Zeit mußt du mir lassen, hörst du, daß ich mich stähle und vorbereite, und nicht als Stümper bestehe. Noch wars viel zu früh!

MUTTER. Gott sei Dank, wir bleiben noch eine Weile beisammen.

MEISTER ANTON. Ich hoffs auch, du hast ja ordentlich wieder rote Backen!

MUTTER. Ein possierlicher Mensch, unser neuer Totengräber. Er machte ein Grab, als ich heute morgen über den Kirchhof ging, ich fragte ihn, für wen es sei. »Für wen Gott will, sagte er, vielleicht für mich selbst, es kann mir gehen, wie meinem Großvater, der auch mal eins auf den Vorrat gemacht hatte, und in der Nacht, als er aus dem Wirtshaus zu Hause kam, hineinfiel und sich den Hals brach.«

LEONHARD der bisher im Wochenblatt gelesen hat. Der Kerl ist nicht von hier, er kann uns vorlügen, was ihm gefällt!

MUTTER. Ich fragte ihn, warum wartet Er denn nicht, bis man die Gräber bei Ihm bestellt? Ich bin heute auf eine Hochzeit gebeten,[348] sprach er, und da bin ich Prophet genug, um zu wissen, daß ichs morgen noch im Kopf spüren werde. Nun hat mir aber gewiß jemand den Tort angetan und ist gestorben. Da müßt ich morgen beizeiten heraus und könnte nicht ausschlafen.

MEISTER ANTON. Hans Wurst, hätt ich gesagt, wenn das Grab nun nicht paßt?

MUTTER. Ich sagte es auch, aber der schüttelt die spitzen Antworten aus dem Ärmel, wie der Teufel die Flöhe. Ich habe das Maß nach dem Weber Veit genommen, sagte er, der ragt, wie König Saul, um einen Kopf über uns alle hinaus, nun mag kommen, wer will, er wird sein Haus nicht zu klein finden, und wenns zu groß ist, so schadets keinem, als mir, denn als ehrlicher Mann laß ich mir keinen Fuß über die Sarglänge bezahlen. Ich warf meine Blumen hinein und sprach: nun ists besetzt!

MEISTER ANTON. Ich denke, der Kerl hat bloß gespaßt, und das ist schon sündlich genug. Gräber im voraus machen, hieße vorwitzig die Falle des Todes aufstellen; den Halunken, der es täte, sollte man vom Dienst jagen. Zu dem lesenden Leonhard. Was Neues? Sucht ein Menschenfreund eine arme Witwe, die ein paar hundert Taler brauchen kann? Oder umgekehrt die arme Witwe den Menschenfreund, der sie gehen will?

LEONHARD. Die Polizei macht einen Juwelen-Diebstahl bekannt. Wunderbar genug. Man sieht daraus, daß trotz der schlechten Zeiten noch immer Leute unter uns leben, die Juwelen besitzen.

MEISTER ANTON. Ein Juwelen-Diebstahl? Bei wem?

LEONHARD. Beim Kaufmann Wolfram!

MEISTER ANTON. Bei – Unmöglich! Da hat mein Karl vor ein paar Tagen einen Sekretär poliert!

LEONHARD. Aus dem Sekretär verschwunden, richtig!

MUTTER zu Meister Anton. Vergebe dir Gott dies Wort!

MEISTER ANTON. Du hast recht, es war ein nichtswürdiger Gedanke!

MUTTER. Gegen deinen Sohn, das muß ich dir sagen, bist du nur ein halber Vater.

MEISTER ANTON. Frau, wir wollen heute nicht darüber sprechen![349]

MUTTER. Er ist anders, als du, muß er darum gleich schlecht sein?

MEISTER ANTON. Wo bleibt er denn jetzt? Die Mittagsglocke hat längst geschlagen, ich wette, daß das Essen draußen verkocht und verbrät, weil Klara heimliche Ordre hat, den Tisch nicht zu decken, bevor er da ist.

MUTTER. Wo sollt er bleiben? Höchstens wird er Kegel schieben, und da muß er ja die entfernteste Bahn aufsuchen, damit du ihn nicht entdeckst. Dann ist der Rückweg natürlich lang. Ich weiß auch nicht, was du gegen das unschuldige Spiel hast.

MEISTER ANTON. Gegen das Spiel? Gar nichts! Vornehme Herren müssen einen Zeitvertreib haben. Ohne den Karten-König hätte der wahre König gewiß oft Langeweile, und wenn die Kegel nicht erfunden wären, wer weiß, ob Fürsten und Barone nicht mit unsern Köpfen bosseln würden! Aber ein Handwerksmann kann nicht ärger freveln, als wenn er seinen sauer verdienten Lohn aufs Spiel setzt. Der Mensch muß, was er mit schwerer Mühe im Schweiß seines Angesichts erwirbt, ehren, es hoch und wert halten, wenn er nicht an sich selbst irre werden, wenn er nicht sein ganzes Tun und Treiben verächtlich finden soll. Wie können sich alle meine Nerven spannen für den Taler, den ich wegwerfen will. Man hört draußen die Türklingel.

MUTTER. Da ist er.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 348-350.
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