Siebente Szene

[350] Gerichtsdiener Adam und noch ein Gerichtsdiener treten ein.


ADAM zu Meister Anton. Nun geh Er nur hin und bezahl Er seine Wette! Leute im roten Rock mit blauen Aufschlägen Dies betont er stark. sollten Ihm nie ins Haus kommen? Hier sind wir unsrer zwei! Zum zweiten Gerichtsdiener. Warum behält Er seinen Hut nicht auf, wie ich? Wer wird Umstände machen, wenn er bei seinesgleichen ist?

MEISTER ANTON. Bei deinesgleichen, Schuft?

ADAM. Er hat recht, wir sind nicht bei unsersgleichen, Schelme und Diebe sind nicht unsersgleichen! Er zeigt auf die Kommode. Aufgeschlossen! Und dann drei Schritt davon! Daß er nichts herauspraktisiert!

MEISTER ANTON. Was? Was?[350]

KLARA tritt mit Tischzeug ein. Soll ich – Sie verstummt.

ADAM zeigt ein Papier. Kann Er geschriebene Schrift lesen?

MEISTER ANTON. Soll ich können, was nicht einmal mein Schulmeister konnte?

ADAM. So hör Er! Sein Sohn hat Juwelen gestohlen. Denn Dieb haben wir schon. Nun wollen wir Haussuchung halten!

MUTTER. Jesus! Fällt um und stirbt.

KLARA. Mutter! Mutter! Was sie für Augen macht!

LEONHARD. Ich will einen Arzt holen!

MEISTER ANTON. Nicht nötig! Das ist das letzte Gesicht! Sahs hundert Mal. Gute Nacht, Therese! Du starbst, als dus hörtest! Das soll man dir aufs Grab setzen!

LEONHARD. Es ist doch vielleicht – – Abgehend. Schrecklich! Aber gut für mich! Ab.

MEISTER ANTON zieht ein Schlüsselbund hervor und wirft es von sich. Da! Schließt auf! Kasten nach Kasten! Ein Beil her! Der Schlüssel zum Koffer ist verloren! Hei, Schelmen und Diebe! Er kehrt sich die Taschen um. Hier find ich nichts!

ZWEITER GERICHTSDIENER. Meister Anton, faß Er sich! Jeder weiß, daß Er der ehrlichste Mann in der Stadt ist.

MEISTER ANTON. So? So? Lacht. Ja, ich hab die Ehrlichkeit in der Familie allein verbraucht! Der arme Junge! Es blieb nichts für ihn übrig! Die da – Er zeigt auf die Tote. war auch viel zu sittsam! Wer weiß, ob die Tochter nicht – Plötzlich zu Klara. Was meinst du, mein unschuldiges Kind?

KLARA. Vater!

ZWEITER GERICHTSDIENER zu Adam. Fühlt Er kein Mitleid?

ADAM. Kein Mitleid? Wühl ich dem alten Kerl in den Taschen? Zwing ich ihn, die Strümpfe auszuziehen und die Stiefel umzukehren? Damit wollt ich anfangen, denn ich hasse ihn, wie ich nur hassen kann, seit er im Wirtshaus sein Glas – Er kennt die Geschichte, und Er müßte sich auch beleidigt fühlen, wenn Er Ehre im Leibe hätte. Zu Klara. Wo ist die Kammer des Bruders?

KLARA zeigt sie. Hinten!


Beide Gerichtsdiener ab.


KLARA. Vater, er ist unschuldig! Er muß unschuldig sein! Er ist ja dein Sohn, er ist ja mein Bruder![351]

MEISTER ANTON. Unschuldig, und ein Mutter-Mörder? Lacht.

EINE MAGD tritt ein mit einem Brief zu Klara. Von Herrn Kassierer Leonhard!

MEISTER ANTON. Du brauchst ihn nicht zu lesen! Er sagt sich von dir los! Schlägt in die Hände. Bravo, Lump!

KLARA hat gelesen. Ja! Ja! O mein Gott!

MEISTER ANTON. Laß ihn!

KLARA. Vater, Vater, ich kann nicht!

MEISTER ANTON. Kannst nicht? Kannst nicht? Was ist das? Bist du –


Beide Gerichtsdiener kommen zurück.


ADAM hämisch. Suchet, so werdet ihr finden!

ZWEITER GERICHTSDIENER zu Adam. Was fällt Ihm ein? Trafs denn heute zu?

ADAM. Halt Ers Maul! Beide ab.

MEISTER ANTON. Er ist unschuldig, und du – du –

KLARA. Vater, Er ist schrecklich!

MEISTER ANTON faßt sie bei der Hand sehr sanft. Liebe Tochter, der Karl ist doch nur ein Stümper, er hat die Mutter umgebracht, was wills heißen? Der Vater blieb am Leben! Komm ihm zu Hülfe, du kannst nicht verlangen, daß er alles allein tun soll, gib du mir den Rest, der alte Stamm sieht noch so knorrig aus, nicht wahr, aber er wackelt schon, es wird dir nicht zu viel Mühe kosten, ihn zu fällen! Du brauchst nicht nach der Axt zu greifen, du hast ein hübsches Gesicht, ich hab dich noch nie gelobt, aber heute will ichs dir sagen, damit du Mut und Vertrauen bekommst, Augen, Nase und Mund finden gewiß Beifall, werde – du verstehst mich wohl, oder sag mir, es kommt mir so vor, daß dus schon bist!

KLARA fast wahnsinnig, stürzt der Toten mit aufgehobenen Armen zu Füßen und ruft wie ein Kind. Mutter! Mutter!

MEISTER ANTON. Faß die Hand der Toten und schwöre mir, daß du bist, was du sein sollst!

KLARA. Ich – schwöre – dir – daß – ich – dir – nie – Schande – machen – will!

MEISTER ANTON. Gut! Er setzt seinen Hut auf. Es ist schönes Wetter! Wir wollen Spießruten laufen, Straß auf, Straß ab! Ab.[352]

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 350-353.
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