Sechste Szene

[373] SEKRETÄR tritt ein. Guten Abend!

LEONHARD. Herr Sekretär? Was verschafft mir die Ehre –

SEKRETÄR. Du wirst es gleich sehen!

LEONHARD. Du? Wir sind freilich Schulkameraden gewesen!

SEKRETÄR. Und werden vielleicht auch Todeskameraden sein! Zieht Pistolen hervor. Verstehst du damit umzugehen?

LEONHARD. Ich begreife Sie nicht!

SEKRETÄR spannt eine. Siehst du? So wirds gemacht. Dann zielst du auf mich, wie ich jetzt auf dich, und drückst ab! So!

LEONHARD. Was reden Sie?

SEKRETÄR. Einer von uns beiden muß sterben! Sterben! Und das sogleich!

LEONHARD. Sterben?

SEKRETÄR. Du weißt, warum!

LEONHARD. Bei Gott nicht!

SEKRETÄR. Tut nichts, es wird dir in der Todesstunde schon einfallen!

LEONHARD. Auch keine Ahnung –

SEKRETÄR. Besinne dich! Ich könnte dich sonst für einen tollen Hund halten, der mein Liebstes gebissen hat, ohne selbst etwas davon zu wissen, und dich niederschießen, wie einen solchen, da ich dich doch noch eine halbe Stunde lang für meinesgleichen gelten lassen muß!

LEONHARD. Sprechen Sie doch nicht so laut! Wenn Sie einer hörte –

SEKRETÄR. Könnte mich einer hören, du hättest ihn längst gerufen! Nun?

LEONHARD. Wenns des Mädchens wegen ist, ich kann sie ja heiraten! Dazu war ich schon halb und halb entschlossen, als sie selbst hier war!

SEKRETÄR. Sie war hier, und sie ist wieder gegangen, ohne dich in[373] Reue und Zerknirschung zu ihren Füßen gesehen zu haben? Komm! Komm!

LEONHARD. Ich bitte Sie – Sie sehen einen Menschen vor sich, der zu allem bereit ist, was Sie vorschreiben! Noch heut abend verlobe ich mich mit ihr!

SEKRETÄR. Das tu ich, oder keiner. Und wenn die Welt daran hinge, nicht den Saum ihres Kleides sollst du wieder berühren! Komm! In den Wald mit mir! Aber wohl gemerkt, ich faß dich unter den Arm, und wenn du unterwegs nur einen Laut von dir gibst, so – Er erhebt eine Pistole. Du wirst mirs glauben! Ohnehin nehmen wir, damit du nicht in Versuchung kommst, den Weg hinten zum Hause hinaus durch die Gärten!

LEONHARD. Eine ist für mich – geben Sie mir die.

SEKRETÄR. Damit du sie wegwerfen, und mich zwingen kannst, dich zu morden, oder dich laufen zu lassen, nicht wahr? Geduld, bis wir am Platz sind, dann teil ich ehrlich mit dir!

LEONHARD geht und stößt aus Versehen sein Trinkglas vom Tisch. Soll ich nicht wieder trinken?

SEKRETÄR. Courage, mein Junge, vielleicht gehts gut, Gott und Teufel scheinen sich ja beständig um die Welt zu schlagen, wer weiß denn, wer gerade Herr ist! Faßt ihn unter den Arm, beide ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 373-374.
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