Siebente Szene

[374] Zimmer im Hause des Tischlers. Abend.


KARL tritt ein. Kein Mensch daheim! Wüßt ich das Rattenloch unter der Türschwelle nicht, wo sie den Schlüssel zu verbergen pflegen, wenn sie alle davongehen, ich hätte nicht hinein können. Nun, das hätte nichts gemacht! Ich könnte jetzt zwanzig Mal um die Stadt laufen und mir einbilden, es gäbe kein größeres Vergnügen auf der Welt, als die Beine zu brauchen. Wir wollen Licht anzünden. Er tuts. Das Feuerzeug ist noch auf dem alten Platz, ich wette, denn wir haben hier im Hause zwei Mal zehn Gebote. Der Hut gehört auf den dritten Nagel, nicht auf den vierten! Um halb zehn Uhr muß man müde sein! Vor Martini darf man nicht frieren, nach Martini[374] nicht schwitzen! Das steht in einer Reihe mit: Du sollst Gott fürchten und lieben! Ich bin durstig! Ruft. Mutter! Pfui! Als ob ichs vergessen hätte, daß sie da liegt, wo auch des Bierwirts Knecht sein Nußknackermaul nicht mehr mit einem Ja, Herr! aufzureißen braucht, wenn er gerufen wird! Ich habe nicht geweint, als ich die Totenglocke in meinem finstern Turmloch hörte, aber – Rotrock, du hast mich auf der Kegelbahn nicht den letzten Wurf tun lassen, obgleich ich die Boßel schon in der Hand hielt, ich lasse dir nicht zum letzten Atemzug Zeit, wenn ich dich allein treffe, und das kann heut abend noch geschehen, ich weiß, wo du um zehn zu finden bist. Nachher zu Schiff! Wo die Klara bleibt? Ich bin ebenso hungrig, als durstig! Heut ist Donnerstag, sie haben Kalbfleisch-Suppe gegessen. Wärs Winter, so hätts Kohl gegeben, vor Fastnacht weißen, nach Fastnacht grünen! Das steht so fest, als daß der Donnerstag wiederkehren muß, wenn der Mittwoch dagewesen ist, daß er nicht zum Freitag sagen kann: geh du für mich, ich habe wunde Füße!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 374-375.
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