Achte Szene

[375] Klara tritt ein.


KARL. Endlich! Du solltest auch nur nicht so viel küssen! Wo sich vier rote Lippen zusammenbacken, da ist dem Teufel eine Brücke gebaut! Was hast du da?

KLARA. Wo? Was?

KARL. Wo? Was? In der Hand!

KLARA. Nichts!

KARL. Nichts? Sind das Geheinmisse? Er entreißt ihr Leonhards Brief. Her damit! Wenn der Vater nicht da ist, so ist der Bruder Vormund!

KLARA. Den Fetzen hab ich festgehalten, und doch geht der Abendwind so stark, daß er die Ziegel von den Dächern wirft! Als ich an der Kirche vorbeiging, fiel einer dicht vor mir nieder, so daß ich mir den Fuß daran zerstieß. O Gott, dacht ich, noch einen! und stand still! Das wäre so schön gewesen, man hätte mich begraben und gesagt: sie hat ein Unglück gehabt! Ich hoffte umsonst auf den zweiten![375]

KARL der den Brief gelesen hat. Donner und – Kerl, den Arm, der das schrieb, schlag ich dir lahm! Hol mir eine Flasche Wein! Oder ist deine Sparbüchse leer?

KLARA. Es ist noch eine im Hause. Ich hatte sie heimlich für den Geburtstag der Mutter gekauft und beiseite gestellt. Morgen wäre der Tag – Sie wendet sich.

KARL. Gib sie her!

KLARA bringt den Wein.

KARL trinkt hastig. Nun könnten wir denn wieder anfangen. Hobeln, sägen, hämmern, dazwischen essen, trinken und schlafen, damit wir immerfort hobeln, sägen und hämmern können, sonntags ein Kniefall obendrein: ich danke dir, Herr, daß ich hobeln, sägen und hämmern darf! Trinkt. Es lebe jeder brave Hund, der an der Kette nicht um sich beißt! Er trinkt wieder. Und noch einmal: er lebe!

KLARA. Karl, trink nicht so viel! Der Vater sagt, im Wein sitzt der Teufel!

KARL. Und der Priester sagt, im Wein sitzt der liebe Gott. Er trinkt. Wir wollen sehen, wer recht hat! Der Gerichtsdiener ist hier im Hause gewesen – wie betrug er sich?

KLARA. Wie in einer Diebsherberge. Die Mutter fiel um und war tot, sobald er nur den Mund aufgetan hatte!

KARL. Gut! Wenn du morgen früh hörst, daß der Kerl erschlagen gefunden worden ist, so fluche nicht auf den Mörder!

KLARA. Karl! Du wirst doch nicht –

KARL. Bin ich sein einziger Feind? Hat man ihn nicht schon oft angefallen? Es dürfte schwer halten, aus so vielen, denen das Stück zuzutrauen wäre, den rechten herauszufinden, wenn dieser nur nicht Stock oder Hut auf dem Platz zurück läßt. Er trinkt. Wer es auch sei: auf gutes Gelingen!

KLARA. Bruder, du redest –

KARL. Gefällts dir nicht? Laß gut sein! Du wirst mich nicht lange mehr sehen!

KLARA zusammenschaudernd. Nein!

KARL. Nein? Weißt dus schon, daß ich zur See will? Kriechen mir die Gedanken auf der Stirn herum, daß du sie lesen kannst? Oder hat der Alte nach seiner Art gewütet, und gedroht, mir das Haus zu verschließen? Pah! Das wär nicht viel anders, als[376] wenn der Gefängnisknecht mir zugeschworen hätte: Du sollst nicht länger im Gefängnis sitzen, ich stoße dich hinaus ins Freie!

KLARA. Du verstehst mich nicht!

KARL singt.

Dort bläht ein Schiff die Segel,

Frisch saust hinein der Wind!


Ja, wahrhaftig, jetzt hält mich nichts mehr an der Hobelbank fest! Die Mutter ist tot, es gibt keine mehr, die nach jedem Sturm aufhören würde, Fische zu essen, und von Jugend auf wars mein Wunsch. Hinaus! Hier gedeih ich nicht, oder erst dann, wenn ichs gewiß weiß, daß das Glück dem Mutigen, der sein Leben aufs Spiel setzt, der ihm den Kupfer-Dreier, den er aus dem großen Schatz empfangen hat, wieder hinwirft, um zu sehen, ob es ihn einsteckt oder ihn vergoldet zurück gibt, nicht mehr günstig ist.

KLARA. Und du willst den Vater allein lassen? Er ist sechzig Jahr!

KARL. Allein? Bleibst du ihm nicht?

KLARA. Ich?

KARL. Du! Sein Schoßkind! Was wächst dir für Unkraut im Kopf, daß du fragst! Seine Freude laß ich ihm, und von seinem ewigen Verdruß wird er befreit, wenn ich gehe, warum sollt ichs denn nicht tun? Wir passen ein für allemal nicht zusammen, er kanns nicht eng genug um sich haben, er mögte seine Faust zumachen und hineinkriechen, ich mögte meine Haut abstreifen, wie den Kleinkinderrock, wenns nur ginge!


Singt.


Der Anker wird gelichtet,

Das Steuer flugs gerichtet,

Nun fliegst hinaus geschwind!


Sag selbst, hat er auch nur einen Augenblick an meiner Schuld gezweifelt? Und hat er in seinem überklugen: Das hab ich erwartet! Das hab ich immer gedacht! Das konnte nicht anders enden! nicht den gewöhnlichen Trost gefunden? Wärst dus gewesen, er hätte sich umgebracht! Ich mögt ihn sehen, wenn du ein Weiber-Schicksal hättest! Es würde ihm sein, als ob er selbst in die Wochen kommen sollte! Und mit dem Teufel dazu!

KLARA. O, wie das an mein Herz greift! Ja, ich muß fort, fort![377]

KARL. Was soll das heißen?

KLARA. Ich muß in die Küche – was wohl sonst? Faßt sich an die Stirn. Ja! Das noch! Darum allein ging ich ja noch wieder zu Hause! Ab.

KARL. Die kommt mir ganz sonderbar vor!


Singt.


Ein kühner Wasservogel

Kreist grüßend um den Mast!

KLARA tritt wieder ein. Das Letzte ist getan, des Vaters Abendtrank steht am Feuer. Als ich die Küchentür hinter mir anzog, und ich dachte: Du trittst nun nie wieder hinein! ging mir ein Schauer durch die Seele. So werd ich auch aus dieser Stube gehen, so aus dem Hause, so aus der Welt!

KARL singt, er geht immer auf und ab, Klara hält sich im Hintergrund.

Die Sonne brennt herunter,

Manch Fischlein, blank und munter,

Umgaukelt keck den Gast!


KLARA. Warum tu ichs denn nicht? Werd ichs nimmer tun? Werd ichs von Tag zu Tag aufschieben, wie jetzt von Minute zu Minute, bis – Gewiß! Darum fort! – Fort! Und doch bleib ich stehen! Ists mir nicht, als obs in meinem Schoß bittend Hände aufhöbe, als ob Augen – Sie setzt sich auf einen Stuhl. Was soll das? Bist du zu schwach dazu? So frag dich, ob du stark genug bist, deinen Vater mit abgeschnittener Kehle – Sie steht auf. Nein! Nein! – Vater unser, der du bist im Himmel – Geheiliget werde dein Reich – Gott, Gott, mein armer Kopf – ich kann nicht einmal beten – Bruder! Bruder! – Hilf mir –

KARL. Was hast du?

KLARA. Das Vaterunser! Sie besinnt sich. Mir war, als ob ich schon im Wasser läge, und untersänke, und hätte noch nicht gebetet! Ich – Plötzlich. Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern! Da ists! Ja! Ja! ich vergeb ihm gewiß, ich denke ja nicht mehr an ihn! Gute Nacht, Karl!

KARL. Willst du schon so früh schlafen gehen? Gute Nacht!

KLARA wie ein Kind, das sich das Vaterunser überhört. Vergib uns –

KARL. Ein Glas Wasser könntest du mir noch bringen, aber es muß recht frisch sein!

KLARA schnell. Ich will es dir vom Brunnen holen!

KARL. Nun, wenn du willst, es ist ja nicht weit![378]

KLARA. Dank! Dank! Das war das letzte, was mich noch drückte! Die Tat selbst mußte mich verraten! Nun werden sie doch sagen: sie hat ein Unglück gehabt! sie ist hineingestürzt!

KARL. Nimm dich aber in acht, das Brett ist wohl noch immer nicht wieder vorgenagelt!

KLARA. Es ist ja Mondschein! – O Gott, ich komme nur, weil sonst mein Vater käme! Vergib mir, wie ich – sei mir gnädig – gnädig – Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 375-379.
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