Der Abendstern

[154] De bisch au wieder zitli do

und laufsch der Sunne weidli no,

du liebe, schönen Obestern!

Was gilt's, de hättsch di Schmützli gern!

Er trippelt ihre Spure no,

und cha si doch nit übercho.

Von alle Sterne groß und chlei

isch er der liebst, und er ellei;

si Brüderli der Morgestern,

si het en nit ums halb so gern;

und wo sie wandlet us und i,

se meint sie, müeß er um sie si.

Früeih, wenn sie hinterm Morgerot

wohl ob em Schwarzwald ufe goht,

sie führt ihr Bübli an der Hand,

sie zeigt em Berg und Strom und Land,

sie seit: »Tue gmach, 's pressiert nit so!

Di Gumpe wird der bald vergoh.«

Er schwezt und frogt sie das und deis,

sie git em Bricht, so guet sie 's weiß.[154]

Er seit: »O Mutter, lueg doch au,

do unte glänzt's im Morgetau

so schön wie in dim Himmelssaal!«

»He«, seit sie, »drum isch's 's Wiesetal.«

Sie frogt en: »Hesch bald alles gseh?

Jez gangi, und wart nümme meh.«

Druf springt er ihrer Hand dervo,

und mengem wiiße Wülkli no;

do, wenn er meint, jez han i di,

verschwunden isch's, weiß Gott, wohi.

Druf, wie si Mutter höcher stoht,

und alsgmach gegenem Rhistrom goht,

se rüeft sie 'm: »Chumm und fall nit do!«

Sie führt en fest am Händli no:

»De chönntsch verlösche, handumcher.

Nimm, was mer's für e Chummer wär!«

Doch, wo sie überm Elsis stoht,

und alsgmach ehnen abe goht,

wird nootno 's Büebli müed und still,

's weiß nümme, was es mache will;

's will nümme goh, und will nit goh,

's frogt hundertmol: »Wie wit isch's no?«

Druf, wie sie ob de Berge stoht,

und tiefer sinkt ins Oberot,

und er afange matt und müed

im rote Schimmer d'Heimet sieht,

se loßt er sie am Fürtuch goh,

und zottlet alsgmach hinte no.

In d'Heimet wandle Herd und Hirt,

der Vogel sizt, der Chäfer schwirt;

und 's Heimli betet dört und do

si luten Obesege scho.

Jez, denkt er, hani hochi Zit;

Gott Lob und Dank, 's isch nümme wit.

Und sichtber, wiener nöcher chunnt,

umstrahlt si au si Gsichtli rund.[155]

Drum stoht si Mutter vorem Hus:

»Chumm, weidli chumm, du chleini Muus!«

Jez sinkt er freudig niederwärts –

jez isch's em wohl am Muetterherz.

Schlof wohl, du schönen Obestern!

's isch wohr, mer hen di alli gern.

Er luegt in d'Welt so lieb und gut,

und bschaut en eis mit schwerem Mut,

und isch me müed, und het e Schmerz,

mit stillem Friede füllt er's Herz.

Die anderen im Strahlegwand,

he frili jo, sin au scharmant.

O lueg, wie 's flimmert wit und breit

in Lieb und Freud und Einigkeit!

's macht kein em andere 's Lebe schwer,

wenn's doch do nieden au so wär!

Es chunnt e chüeli Obeluft,

und an de Halme hangt der Duft.

Denkwohl, mer göhn jez au alsgmach

im stille Frieden unters Dach!

Gang, Liseli, zünd 's Ämpli a!

Mach kei so große Dochte dra!

Quelle:
Johann Peter Hebel: Gesamtausgabe, Band 3, Karlsruhe 1972, S. 154-156.
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