Hephata, tue dich auf!
1

[182] Woni am Sunntig früeih in mine Gidanke dohi gang,

's isch so lieb und heimlig gsi, und d'Sunne het gschiene

rechts und links an d'Dörfer und an die gwiisgete Chilchtürn,

und die Chilchtürn stöhn und bschauen enander vo witem

übers Weizefeld und über die duftige Matte

und 's will ken der Afang mache: »Nochber fang du a!

Bisch du nit der ältst und hesch die chräftigste Glocke?«

»'s het jo no nit Nüni gschlage«, seit er zum Nochber,

»und dört stoht e Burst im Feld, und lueget an d'Birbäum,

denkwol i will warte, se bringi 'n au no in d'Chilche.«

Drum es het e Vögeli pfiffen uffeme Birbaum,

woni gstande bi, druf denki, woni em zuelos:

Predigt echt der Fink uf siner laubige Chanzle.[182]

's chunnt eim schier so vor, und d'Blümli sitzen und lose.

Nei, wie lost das Glockeblümli, weger es schnuft nit,

wenni 's nummen au verstünd! Er wirdene sage,

wie sie der himmlisch, Vater do usem saftigen Erdrich

nährt und chleidet und puzt mit allerlei lieblige Farbe,

wenn sie scho nit spinnen und überbindlige neihe;

und es gangem selber so. Si Röckli seig gwachse,

wiener größer worde seig, er trag's doch afange

menge Monet Tag und Nacht und Sunntig und Werchtig,

und es seig no nagelneu, wie ehnen am Schilfmeer

's Plunder blibe seig, wo d'Chinder Israel treit hen,

d'Schnider seigen all verlumpt, wo unterne gsi sin,

und er heig kei Schüren und heig kei Zehnten im Etter,

und kei Burgergob; doch gang der Vater im Himmel

nie verbei, er geb em näumis z'Morgen und z'Mittag;

het er nit so gseit, se hani mer's eso vorgstellt.

Woner ufghört het und woner's Schnäbeli puzt het,

d' Immli hen scho Orgle gspilt, se denki, jez gangi

do dur d'Rebberg uf, und woni oben am Gupf bi,

lütet's übersmol mit alle Glocken in d'Chilche.

Jo do bini, denki, 's isch ordli, aß der au wartet,

bis me chunnt, und gang in d'Chilche. Was i drin ghört ha,

will i jez verzehle. – Gang, Vreni, leng mer e Stuhl her! –

Chani 's nit sage, wie er, se willi 's sage, wie i 's cha.

Betet hen sie wie bi üs und gorglet und gsunge;

wo sie gsunge hen, se chunnt der Pfarer uf d'Chanzle

und dreiht's Stundeglas und rüttlet's e wenig und chlopft druf –

's het nit welle laufen – und druf wo d'Orgle verbrummt het,

fangt er z' predigen a, vo sellem Tauben und Stumme,[183]

wo ne fremde Ma am galiläische Meer her

gwandlet seig und heig dem Chranke d'Finger ans Ohr gleit

und an d'Zungen au, und wiener ›Hephata‹ grüeft heig,

›Hephata, tue dich auf!‹ druf seig dem Chranke uf eimol

's Wasser in d'Auge gschosse: ›Nei, loset, wie brusche die Welle‹,

heig er gseit, wie pfift der Wind so lieblich im Schilfrohr,

und wie singt der Fischer dört so lieblig am Ufer!‹

Und der Vater und d'Mutter seig schier vor Freude vergange,

's seig e himmlisch Wunder gsi. Der Dokter chönnt's nit so,

's seig e chräftig Wort, das Hephata, seit er, vom Himmel.

Jo, 's mueß chräftig si! I möcht's wol au nemol höre,

hani denkt, und woni's denk, se frogt er: »Und tönt's nit,

wome numme lost, an allen Enden und Orte

und uf alle Matte, in alle menschliche Herze?

Stöhnt emol im Winter ufs Feld und lueget wie's ussieht!

Alles isch harte Stei, und alli Pflanze vertrochnet,

alli Bäch sin gfroren, und mühsam dreiht si no's Mühlrad,

alli Fenster verschlossen und alli Türe mit Strau deckt,

und kei Trostle singt, ke Summervögeli sunnt si;

's isch scho Liechtmeß – 's wird nit anderst, – d' Fasten isch au do

und me meint, es blib jez so, und weiß em nit z'helfe,

bis im Merz en andere chunnt, und ›Hephata‹ usspricht:[184]

›Hephata, tue dich auf!‹ – ›Wie weiht der Tauwind so lieblig‹,

seit der Vater zum Suhn, wo uffe Stauffemer Mert chunnt,

und chnüpft's Brusttuch uf. ›Wie wird der Bode so lucker,

los, wie's rieslet und tropft, und lueg do, wie alles so grün wird!‹

Und deheim seit d'Mutter: ›Gang Töchterli weidli ans Fenster,

loß der Früeihlig in d'Stuben und sag em fründli Gottwilche,

und lönt d'Schöfli us, der Hirt fahrt ebe durs Dorf ab.‹

Jez chunnt alles in Trieb und schießt in heimlige Chnospen

in de Gärten am Hag und an de laubige Bäume;

und der Vogel, wo vor churzem d'Wegstür nit gha het,

isch e riche Ma, und het in alle Reviere

Würmli uf der Weid, uf alle Bündtene 's Zehntrecht,

het si eige Huus und Hof; die flißigi Huusfrau

baut e Bettli dri, und wemme näume derzu chunnt,

nei, se bhüetis Gott, was lit im Bettli verborge:

goldni Eili rund und chli, mit Düpflene gsprenklet.

Was isch in de Chnospe, was isch im Eili verborge?

Niemes weißt's und niemes luegt und nieme cha's uftue;

's Vögeli selber it, doch sizt es geduldig und wartet,

bis die Stimm vom Himmel chunnt und ›Hephata‹ usspricht.

Und es tönt jez Tag und Nacht und Sunntig und Werchtig:

›Hephata, tue dich auf!' und alli höre's und folge;

und me het nit Auge gnug zum freudige Bschaue;

's hangt an alle Hürsten, an alle luftige Bäume,

's duftet in alle Gärten und stoht in prächtige Gstalte.[185]

Goldeni Chäfer schwirre. Sie hen das Hephata au ghört.« –

Druf lengt der Pfarer in Sack und nimmt e Prisen und schnupften

und luegt no nem Stundeglas und pöpperlet wieder –

»Hephata, tue dich auf!« – – – – –


2

Anneme Sunntig früeih, se gangi in mine Gidanke

uf der Stroß spaziren, und wie's eim eppen au go cha,

chummi witer, as i weiß und as i ha welle.

Drum 's isch au so heimlig gsi und d'Sunne het gschiene

rechts und links an d'Dörfer und an die gwiißgete Chilchtürn,

und die Chilchtürn stöhn und bschauen enander vo witem,

über 's Weizefeld und über die duftige Matte,

und 's will kein der Afang mache: »Nochber, fang du a!

Bisch rat du der ältst und hesch die chräftigste Glocke?« –

»'s het jo no nit Nüni gschlage«, seit er zum Nochber,

»und sie tränke no an alle Brunne und hole

in der Metzg no Fleisch und flechte de Chindere d'Zupfe.«

Sieder gangi und gang, und los, wie d'Vögeli froh sin,

wil es Sunntig isch und wil sie elleinig im Feld sin,

und pfif au mi Morgepsalm und d'Vögeli lose,

luege nenander an und denke, das isch e Lehrjung,

seig er, wer er well in sine plüschene Hose.

Nu i gang dur d'Rebberg uf in mine Gidanke,

– 's het scho weichi Trübli gha und zitige Beeri –[186]

bis es zsemmelütet an allen Enden und Orte

übers Stoppelfeld und über die grasige Matte;

und es lüpft mer's Herz und 's Wasser schießt mer in d'Auge:

»Gohsch jez in kei Chilche, und goht der Sunntig di nüt a?«

sagi zu mer und lauf und chumm no, ebe wil's Zit isch,

anne Chilchhof uffem Gupf und schlenkere 's Gertli,

woni gha ha, weg und denk: Jez gangi uf Grotwohl

zue der nächste Türen in und setz mi, wo's Platz isch,

zu de Mannen oder Bueben oder uf d'Orgle.

Und jez loset, was der Pfarer predigt und gseit het;

chani 's it sage wie er, se will is sage, wie i 's cha. –

Vreneli, leng mer e Stuhl und jag z'erst d'Hühner zur Tür us.

Betet hei sie, wie bi üs und gorglet und gsunge.

Wo sie gsunge hen, se stigt der Pfarer uf d'Chanzle

und dreiht's Stundeglas und rüttlet's e wenig und chlopft druf;

's het nit welle laufe, und druf, wo d'Orgle verbrummt het,

fangt er e Predig a vo sellem Tauben und Stumme,

wo ne fremde Ma am galiläische Meer her

gwandlet seig und heig dem Chranke d'Finger ins Ohr gleit

und uf d'Lefzgen au, und wiener ›Hephata‹ grüeft heig:

›Hephata, tue dich auf!‹ se seig dem Chranken uf eimol

's Wasser in d'Auge gschosse. ›Nei loset, wie brusche die Welle!‹

heig er gseit, wie pfift der Wind so lieblig im Schilfrohr!

Nei, wie singt der Fischer dört so lieblig am Ufer!‹

Und der Vater und d'Mutter seig schier vor Freude vergange.[187]

»'s isch e chräftig Wort, das Hephata«, seit er, »vom Himmel,

's tut's kei Dokter no, kei Apotheker vo Sulzburg.«

Jo 's mueß chräftig si; wol möchti 's au nemol höre,

hani denkt, und wie n is denk, se seit er: »Und tönt's nit

wo me numme loset, an allen Enden und Orte

und uf alle Matten, in alle menschliche Herze?

Am Dreikünigtag wie isch der Bode mit Schnee deckt,

hart und chalt, voll Gsöm und Gwürm e leidige Chilchhof.

Tribt e Gräsli, lacht e Blüemli, zittigt e Chörnli?

's duuren ein die arme Vögel, Spatzen und Finke,

und die arme Lüt in ihrem verrissene Plunder.

Wuchen um Wuche vergoht. Es isch scho Pauli Bikehrung,

's wird nit anderst, numme d'Not wird größer und herber,

d'Liechtmeß chunnt, 's isch no wie almig; d'Fasten isch au do,

und der Vogt und 's Gricht, der Kaiser und sini Saldate

zwinge 's nit. Kei Menschewort dringt aben in Bode,

bis im Merz en andere chunnt und ›Hephata‹ usspricht,

›Hephata, tue dich auf!‹ ›Wie weiht der Tauwind so liebli‹,

seit der Vater zum Suhn, wo mit enander in Wald göhn,

und chnüpft 's Brusttuch uf, – ›wie wird der Bode so lucker!

Loos, wie's rislet und tropft, und lueg doch, wie alles so grün wird.‹

Und deheim seit d'Mutter: ›Gang, Töchterli, weidli ans Fenster,

loß mer de Früehlig in d'Stube mit sine heitere Auge

und löhnt d'Schöfli us, der Hirt fahrt ebe durs Dorf ab.[188]

Jez chunnt alles in Trieb und schießt in heimlichi Chnospe,

in de Gärten, im Feld, an alle Bäumen und Hecke;

und der Vogel, wo vor churzem d'Wegstür nit gha het,

isch e riche Buur. Er het in alle Reviere

Würmli uf der Weid, in alle Bündtene 's Zehntrecht,

hat si eige Huus und Hof. Die flißige Huusfrau

baut e Bettli dri, und wemme näume derzue chunnt,

nei, se bhüetis Gott, was lit im Bettli verborge?

Goldni Eili, rund und chli, mit Düpflene gsprenklet.

Was isch in de Chnospe, was isch im Eili verborge?

Niemes weißt's und niemes luegt und nieme cha's uftue.

Tag um Tag vergoht, der Ostermentig und -zistig,

bis die Stimm vom Himmel tönt und ›Hephata‹ usspricht.

Und jez rüeft es Tag und Nacht und Sunntig und Werchtig:

›Hephata, tue dich auf!‹ und 's höre 's alli und folge.

Und me het nit Auge gnug zum freudige Bschaue:

's Chnöspli tut si uf. O lueg die schöne Zirinkli!

's Vögeli fliegt vom Nest; o lueg e Stübli voll Chinder! –

He, es währt vom Ostertag e freudige Firtig

bis zum Pfingstfest, Tag und Nacht und Sunntig und Werchtig;

's glitzeret zendum wie Gold und Silber und Demant,

's weiht e Blüteduft ab alle Bäumen und Hecke,

's tönt, me weiß nit was, in alle Gärten und Matte

wie Klavier- und Harfeton und silberne Glöckli;

wo me lost und wo me luegt, isch Leben und Lebe,

d'Gluckere goht selbzwölft und d'Lämmli weiden im Grüne,

d'Halme schieße, d'Ähre schwankt, d'Sägese juckt scho,

und me seit Gottlob und Dank und wartet afange

uf e warme Rege. Was seit der Barometer?

Obe will er usen und 's Rüttle bringt en nit abe,

und der Himmel isch zu, wie zu den Zeiten Eliä,

zweites Buch der Könige Kapitel das siebzehnt. – –

Quelle:
Johann Peter Hebel: Gesamtausgabe, Band 3, Karlsruhe 1972, S. 182-189.
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