Das seltsame Rezept

[140] Es ist sonst kein großer Spaß dabei, wenn man ein Rezept in die Apotheke tragen muß; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein Spaß. Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit einem Wagen und zwei Stieren vor der Stadtapotheke still, lud sorgsam eine große tannene Stubentüre ab, und trug sie hinein. Der Apotheker machte große Augen, und sagte: »Was wollt Ihr da, guter Freund, mit Eurer Stubentüre? Der Schreiner wohnt um 2 Häuser links.« Dem sagte der Mann, der Doktor sei bei seiner kranken Frau gewesen, und habe ihr wollen ein Tränklein verordnen, so sei in dem ganzen Haus keine Feder, keine Dinte, und kein Papier gewesen, nur eine Kreide. Da habe der Herr Doktor das Rezept an die Stubentüre geschrieben; und nun soll der Herr Apotheker so gut sein, und das Tränklein kochen.

Item, wenn es nur gut getan hat. Wohl dem, der sich in der Not zu helfen weiß.

[1809][140]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 140-141.
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