Der Maulwurf

[64] Unter allen Tieren, die ihre Jungen säugen, ist der Maulwurf das einzige, das seiner Nahrung allein in dunkeln Gängen unter der Erde nachgeht.

Und an dem einen ist's zuviel, wird mancher sagen, der an seine Felder und Wiesen denkt, wie sie mit Maulwurfshügeln bedeckt sind, wie der Boden zerwühlt und durchlöchert wird, wie die Gewächse oben absterben, wenn das heimtückische Tier unten an den Wurzeln weidet.

Nun, so wollen wir denn Gericht halten über den Missetäter.

Wahr ist es, und nicht zu leugnen, daß er durch seine unterirdischen[64] Gänge hin und wieder den Boden durchwühlt, und ihm etwas von seiner Festigkeit raubt.

Wahr ist es ferner, daß durch die herausgestoßenen Grundhaufen viel fruchtbares Land bedeckt, und die darunter liegenden Keime im Wachstum gehindert, ja erstickt werden können. Dafür ist jedoch in einer fleißigen Hand der Rechen gut.

Aber wer hat's gesehen, daß der Maulwurf die Wurzeln abfrißt? wer kann's behaupten?

Nun, man sagt so: Wo die Wurzeln abgenagt sind und die Pflanzen sterben, wird man auch Maulwürfe finden; und wo keine Maulwürfe sind, geschieht das auch nicht. Folglich tut's der Maulwurf. – Der das sagt, ist vermutlich der nämliche, der einmal so behauptet hat: Wenn im Frühlinge die Frösche zeitlich quaken, so schlägt auch das Laub beizeiten aus. Wenn aber die Frösche lange nicht quaken wollen, so will auch das Laub nicht kommen. Folglich quaken die Frösche das Laub heraus. – Seht doch, wie man sich irren kann!

Aber da kommt ein Advokat des Maulwurfs, ein erfahrner Landwirt und Naturbeobachter, der sagt so:

»Nicht der Maulwurf frißt die Wurzeln ab, sondern die Quadten oder die Engerlinge, die unter der Erde sind, aus welchen hernach die Maikäfer und anderes Ungeziefer kommen. Der Maulwurf aber frißt die Quadten, und reinigt den Boden von diesen Feinden.«

Jetzt wird es also begreiflich, daß der Maulwurf immer da ist, wo das Gras und die Pflanzen krank sind und absterben, weil die Quadten da sind, denen er nachgeht und die er verfolgt. Und dann muß er's getan haben, was diese anstellen, und bekommt für eine Wohltat, die er euch erweisen will, des Henkers Dank.

»Das hat wieder einer in der Stube erfunden, oder aus Büchern gelernt«, werdet ihr sagen, »der noch keinen Maulwurf gesehen hat.«

Halt, guter Freund! der das sagt, kennt den Maulwurf besser als ihr alle, und eure besten Schermäuser, wie ihr sogleich sehen werdet. Denn ihr könnt zweierlei Proben anstellen, ob er die Wahrheit sagt.

»Erstlich, wenn ihr dem Maulwurf in den Mund schaut.«[65] Denn alle vierfüßigen oder Säugtiere, welche die Natur zum Nagen am Pflanzenwerk bestellt hat, haben in jeder Kinnlade, oben und unten, nur zwei einzige, und zwar scharfe Vorderzähne, und gar keine Eckzähne, sondern eine Lücke bis zu den Stockzähnen. Alle Raubtiere aber, welche andere Tiere fangen und fressen, haben sechs und mehr spitzige Vorderzähne, dann Eckzähne auf beiden Seiten, und hinter diesen zahlreiche Stockzähne. Wenn ihr nun das Gebiß eines Maulwurfs betrachtet, so werdet ihr finden: Er hat in der obern Kinnlade sechs und in der untern acht spitzige Vorderzähne und hinter denselben Eckzähne auf allen vier Seiten, und daraus folgt: Es ist kein Tier, das an Pflanzen nagt, sondern ein kleines Raubtier, das andere Tiere frißt.

»Zweitens, wenn ihr einem getöteten Maulwurf den Bauch aufschneidet, und in den Magen schaut.« Denn was er frißt, muß er im Magen haben, und was er im Magen hat, muß er gefressen haben. Nun werdet ihr, wenn ihr die Probe machen wollt, nie Wurzelfasern oder so etwas in dem Magen des Maulwurfs finden, aber immer die Häute von Engerlingen, Regenwürmern und anderm Ungeziefer, das unter der Erde lebt.

Wie sieht's jetzt aus?

Wenn ihr also den Maulwurf recht fleißig verfolgt, und mit Stumpf und Stiel vertilgen wollt, so tut ihr euch selbst den größten Schaden und den Engerlingen den größten Gefallen. Da können sie alsdann ohne Gefahr eure Wiesen und Felder verwüsten, wachsen und gedeihen, und im Frühjahr kommt alsdann der Maikäfer, frißt euch die Bäume kahl wie Besenreis, und bringt euch zur Vergeltung auch des Gukuks Dank und Lohn.

So sieht's aus.

[1807]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 64-66.
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