Die leichteste Todesstrafe

[231] Man hat gemeint, die Güllotine sei's. Aber nein! Ein Mann, der sonst seinem Vaterland viele Dienste geleistet hatte, und bei dem Fürsten wohl angeschrieben war, wurde wegen eines Verbrechens, das er in der Leidenschaft begangen hatte, zum Tode verurteilt. Da half nicht Bitten, nicht Beten. Weil er aber sonst bei dem Fürsten wohl angeschrieben war, ließ ihm derselbe die Wahl, wie er am liebsten sterben wolle, denn welche Todesart er wählen würde, die sollte ihm werden.[231] Also kam zu ihm in den Turm der Oberamtsschreiber: »Der Herzog will Euch eine Gnade erweisen. Wenn Ihr wollt gerädert sein, will er Euch rädern lassen; wenn Ihr wollt gehenkt sein, will er Euch henken lassen; es hängen zwar schon zwei am Galgen, aber bekanntlich ist er dreischläferig. Wenn Ihr aber wollt lieber Rattenpulver essen, der Apotheker hat. Denn welche Todesart Ihr wählen werdet, sagt der Herzog, die soll Euch werden. Aber sterben müßt Ihr, das werdet Ihr wissen.« Da sagte der Malefikant: »Wenn ich denn doch sterben muß, das Rädern ist ein biegsamer Tod, und das Henken, wenn besonders der Wind geht, ein beweglicher. Aber Ihr versteht's doch nicht recht. Meines Orts, ich habe immer geglaubt, der Tod aus Altersschwäche sei der sanfteste, und den will ich denn auch wählen, weil mir der Herzog die Wahl läßt, und keinen andern«, und dabei blieb er, und ließ sich's nicht ausreden. Da mußte man ihn wieder laufen und fortleben lassen, bis er an Altersschwäche selber starb. Denn der Herzog sagte: »Ich habe mein Wort gegeben, so will ich's auch nicht brechen.«

Dies Stücklein ist von der Schwiegermutter, die niemand gerne umkommen läßt, wenn sie ihn retten kann.

[1811]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 231-232.
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