Geiz und Verschwendung

[37] Der Geizige rafft Geld und Gut zwecklos zusammen; der Verschwender bringt es zwecklos durch.

Der Geizige hat keinen, der Verschwender hat einen unnützen Genuß von dem Seinigen.

Der Geizige kann auf die goldene Mittelstraße zurückkehren, sobald er will; dem Verschwender wird es immer schwerer, je weiter er sich davon entfernt.

Der Geizige kann, aber er will es selten; der Verschwender möchte oft, aber er kann nicht mehr.

Der eine macht sich Feinde; der andere erwirbt Freunde, die schlimmer sind als ein Feind.[37]

Jenen peinigt der Wunsch, immer weiterzukommen; diesen die Reue, daß er schon so weit gekommen ist.

Geiz ist die Wurzel alles Übels; Verschwendung ist ein Baum voll bitterer Früchte.

Den Geizigen verzehrt die Sorge; den Verschwender die Ausschweifung. Jenen lohnt am Ende die Furcht; diesen der Kummer.

Nicht selten wird der jugendliche Verschwender noch ein geiziger Greis.

Sehr oft kommt das Vermögen geiziger Sammler an verschwenderische und im eigentlichen Sinne lachende Erben.

[1804]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 37-38.
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