Seltsamer Spazierritt

[103] Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus, und läßt seinen Buben zu Fuß nebenher laufen. Kommt ein Wanderer, und sagt: »Das ist nicht recht, Vater, daß Ihr reitet, und laßt Euren Sohn laufen; Ihr habt stärkere Glieder.« Da stieg der Vater vom Esel herab, und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann, und sagt: »Das ist nicht recht, Bursche, daß du reitest, und lässest deinen Vater zu Fuß gehen. Du hast jüngere Beine.« Da saßen beide auf, und ritten eine Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann, und sagt: »Was ist das für ein Unverstand: Zwei Kerle auf einem schwachen Tiere; sollte man nicht einen Stock nehmen, und euch beide hinabjagen?« Da stiegen beide ab, und gingen selbdritt zu Fuß, rechts und links der Vater und Sohn, und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann, und sagt:[103] »Ihr seid drei kuriose Gesellen. Ist's nicht genug, wenn zwei zu Fuß gehen? Geht's nicht leichter, wenn einer von euch reitet?« Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und der Sohn band ihm die hintern Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Straße stand, und trugen den Esel auf der Achsel heim.

So weit kann's kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen.

[1808]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 103-104.
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